Christina Ossowski nimmt die Besucher mit zu einem besonderen Kunstspaziergang.

Leonberg - Es ist inzwischen Gras darüber gewachsen: über die alte Autobahntrasse bei Leonberg. Bald zwanzig Jahre ist es her, dass hier Autos durchgebraust sind – jetzt ist es eine idyllische grüne Wiese mit Büschen und Bäumen, die teilweise neu gepflanzt wurden.

 

„Mutter Erde“ hat sich zurückerobert, was der Mensch ihr einst genommen hat – und genau das ist beziehungsreiches Thema der Ausstellung „Grenzüberschreitungen erleben“, welche von der Steinmetz- und Steinbildhauerinnung der Region gestaltet worden ist. „Die Geschichte wird damit zu einer wunderschönen Bühne für die Steinskulpturen“, formuliert Andreas Geisselhardt, der alles „erfunden“ hat.

Das Interesse ist groß

Der thematische Bogen des einmaligen Kunstprojekts spannt sich von der Bedrohtheit, aber auch der Kraft der Natur („Mutter Erde“) gegen ihre Beherrschung durch den Menschen – der dann als „Sonntagsfahrer“ (Frank Hintz) das zerstört, was er sucht – über das Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit, Geist und Materie bis zu gestalterischen Bezügen zur Heimatregion. Gemeinsam ist allen Werken ein Korpus aus einem gepressten Schrottauto: Auf diesem steht die Steinskulptur oder ist in sie eingebunden.

Christina Ossowski, ehemalige Leiterin des Kulturamts, nimmt etwa 50 Kunstinteressierte mit auf eine unterhaltsame und spannende Führung zu den achtzehn Kunstwerken, die auf dem Gelände verteilt sind, und spickt ihre Kommentare mit kunstgeschichtlichen und philosophischen Reflexionen sowie heiteren Anekdoten. Unter den Besuchern sind auch einige der Künstler selbst zu finden: Obermeister der Steinmetz- und Steinbildhauerinnung Stefan Machmer aus Ditzingen, Till Failmezger aus Pleidelsheim, der schon in fünfter Generation das Handwerk seiner Väter erlernt hat, sein Vater Jörg, Howard Schwämmle aus Magstadt, Andreas und Katja Geisselhardt, sowie Jochen Flogaus.

Möbiusband,Mutter Erde und Befreiung

Ausgangspunkt der künstlerischen Gestaltung ist der Schrottwürfel eines Autos – ob es ein Diesel war und welche Euronorm er nicht erfüllt hat, ist nicht mehr zu erkennen, auch die gesamte Elektrik ist weg – und so beginnt die Führung bei „Entkernung“ von Katja und Andreas Geisselhardt. Aus Jura Kalkstein, der einmal am Boden eines Meeres lag, ist eine Stele gehauen, aus deren Mitte ein Stück herausgebrochen ist, so dass ein Durchblick auf die Landschaft möglich wird. Stefan Machmer hat ein „Möbiusband“ aus unpoliertem Marmor gestaltet. Frank Lämmle will den Betrachter lehren: „Beim Sehen, sehen“ – ein roher Granitblock, aus dem das einstige Auto („wie ein Geschwür“) herauswächst.

Bei Jörg Failmezger versucht eine überlebensgroße, wuchtige Frauengestalt („Mutter Erde“) mit den Maßen der „Venus vom Hohle Fels“ als Gewichtheberin aus der Hocke zwei Schrottautos zu stemmen. Die gewaltige Kraft der Natur betonen andere Arbeiten: Harry Bergmann hat aus Diabas, einem Basaltstein, der gut zu bearbeiten ist, Blätter gestaltet („Flora“), die energisch und selbstbewusst aus dem Schrott wachsen. Auch Till Boegel setzt auf die Kraft der Natur: In seiner „Keimung“ drängt ein zarter machtvoller Keimling dem Licht entgegen – ein „Stein in Bewegung“, wie Ossowski formuliert.

Dass diese Widerständigkeit auch Menschen eigen sein kann, zeigt Jochen Flogaus: „Befreiung“ – eine weibliche Büste quält sich unter dem Schrottauto hervor. „Galionsfigur“? „Die Siegesgöttin Nike“? Christina Ossowski gibt die Frage an das Publikum weiter – der Künstler selbst will es offen lassen – und eine Besucherin meint: die Frau, die viele Lasten zu tragen hat... Welchen Weg der Mensch letztlich geht, bleibt ungewiss. Thomas Dittus („Veränderung“) zeigt ein Tor, das einzustürzen droht. Ossowski zitiert dazu die Bibel: „Das Tor zum Leben ist eng und schmal, nur wenige finden den Eingang.“

Auseinadersetzung zwischen Natur und Technik

Manche Künstler stellen in ihren Skulpturen auch regionale Bezüge her: Andreas Geisselhardt und Boris Jourdan („Ein Stück aus der Geschichte“) spielen auf die Necknamen der Eltinger („Esel“) und der Leonberger („Schnock“) an, und Herbert Wink („Pferdestärke“) verknüpft die Rolle der Pferde für Leonberg und für das Auto, das immer noch PS misst.

Dass in der Auseinandersetzung zwischen Natur und Technik auch höhere Wesen mitspielen, zeigt Carl Vogt („Engelsflügel“). Auf dem Schrottwürfel liegt ein zarter Engelsflügel, wie unterwegs verloren – und doch scheint er mit himmlischer Macht das Auto zu erdrücken. Das imponierende Kunstprojekt der Steinmetze und Steinbildhauer präsentiert so mit Natur-Steinen einen hilflosen Protest gegen die Beherrschung der Natur.