Carl Eugen Vogt aus Backnang stellt imposante Flügel auf der alten Asphaltstrecke aus.

Leonberg - Steinmetze aus der Region stellen ein Jahr lang ihre eigens für die Ausstellung „Grenzüberschreitungen erleben“ geschaffenen Arbeiten unter freiem Himmel aus. Carl Eugen Vogt aus Backnang ist mit dem Werk „Engelsflügel“ dabei.

 

Bei drei der 19 Steinmetzarbeiten in der Ausstellung „Grenzüberschreitungen erleben“ auf der alten Autobahntrasse haben sich die Bildhauer als Ausgangsmaterial für ihr Kunstwerk Jura Kalkstein gewählt. Vergleicht man die beiden Skulpturen „Entkernung“ von Katja und Andreas Geisselhardt sowie „Schneckentempo/Elefantenrennen“ von Sigfried Stein und Walter Wieland mit dem „Engelsflügel“ von Carl Eugen Vogt werden die Unterschiede in der Interpretation ein und desselben Materials ganz besonders deutlich.

Diskret von einem Engel abgelegt

Der Engelsflügel ist formal am weitesten reduziert und wie zufällig auf dem tief eingegrabenen gepressten Schrottsockel abgelegt. Unmittelbar nach der Ausstellungseröffnung im Mai 2017 meldete sich ein Besucher mit dem Foto der Skulptur und folgendem Kommentar bei der Leonberger Kreiszeitung: „Liebe Redaktion, neulich – man feierte gerade Christi Himmelfahrt – entdeckte ich während eines Spaziergangs auf der einstigen Autobahntrasse diesen Flügel, behutsam und diskret von einem Engel abgelegt.“

Dem Steinbildhauer Carl-Eugen Vogt aus Backnang ist es offensichtlich gelungen, mit verschiedenen Bearbeitungsmethoden wie Hauen und Schleifen des feinkörnigen Kalksteins seiner Skulptur die Anmutung eines aus zwei Federschichten geformten, monumentalen Flügels zu verleihen. Das handwerkliche Meisterstück entstand in dem seit 130 Jahren bestehenden Backnanger Familienbetrieb, der seit 1998 von Carl-Eugen Vogt als Steinwerkstätte Wenzler & Vogt fortgeführt wird.

Er hatte selbst in diesem Betrieb das Steinbildhauerhandwerk erlernt. Der fossile Jura Kalkstein entstand vor mehr als 140 Millionen Jahren. Er wird vor allem im Raum Eichstätt und Treuchtlingen abgebaut und wird daher oft als Treuchtlinger Marmor bezeichnet. Entsprechend der Schicht, in der er abgebaut wird, kommt er in den Färbungen Gelb, Grau oder Rahmweiß vor. Letzterer Farbton passte am besten zu dem Flügelmotiv.

Gott erschafft die Boten

Engel kennt man als Boten oder Abgesandte in den monotheistischen Religionen des Judentums, Christentums und Islams, als Geistwesen, die der jeweilige Gott erschaffen hat. Quellen für die Engelsvorstellungen sind Heiligenlegenden, Wundergeschichten, Sagen und Märchen.

Heute finden sich Engel verbreitet in der Esoterik. Bildliche Darstellungen geflügelter Gottheiten gab es bereits im alten Assyrien als geflügelte Löwen, in Griechenland die geflügelte Nike und die Engel der Verkündigung in der mittelalterlichen Buchmalerei. Erst die zeitgenössischen Darstellungen erlauben die extreme Torsierung der Engelsfigur bis auf den einen Flügel. Heutige Betrachter können durch ihre Erfahrungen mit den Kunstwerken der letzten hundert Jahre ohne weiteres in dem Detail die ganze Figur erkennen.

Sie schätzen die Möglichkeit, aus eigener Fantasie heraus das ganze Wesen zu ergänzen und eine eigene Engelsvorstellung zu entwickeln. In das Reich der Fantasie gehört auch die poetische Erzählung, ein Engel hätte beim Überfliegen des begrünten Asphalts aus Freude darüber einen seiner Flügel hinterlassen.

Unsere Autorin

Christina Ossowski
In loser Folge stellt Christina Ossowski die insgesamt 19 Skulpturen der Ausstellung „Grenzüberschreitungen erleben“ vor, die noch bis zum 3. Juni 2018 auf der alten Autobahntrasse zu sehen sind. Seit 1991 ist Christina Ossowski bei der Stadt Leonberg tätig. Von 1991 bis 1999 ist sie Leiterin des Schul-, Kultur- und Sportamtes, das später umbenannt wurde in Amt für Kultur, Erwachsenenbildung, Sport und Stadtmarketing.