In Leonberg gestalten sich die kommunalpolitischen Entscheidungsprozesse weiterhin zäh, kommentiert LKZ-Redaktionsleiter Thomas K. Slotwinski

Manchmal lohnt sich der Blick in die Vergangenheit: Wie wurde denn zum Ferienende 2021 die kommunale Lage in Leonberg eingeschätzt? Und siehe da: kaum anders als heute. Die Analyse, die fast auf den Tag genau vor einem Jahr an dieser Stelle veröffentlicht wurde, könnte heute nahezu wortgleich erneut erscheinen. Denn so richtig unter Segeln, so hieß seinerzeit das Fazit des Kommentars, steht das Schiff Leonberg nach wie vor nicht.

 

In den Sommergesprächen des vergangenen Jahres beklagten etliche Interviewpartner langwierige Diskussionen und nicht enden wollende Entscheidungsprozesse. Diese Kritik zieht sich auch jetzt wie ein roter Faden durch die Gespräche. Vielmehr scheint die Lage noch komplizierter zu sein – sowohl was die Rahmenbedingungen als auch das Atmosphärische betrifft.

Was ist mit dem Postareal?

Nehmen wir die Fakten: Die Bebauung des Postareals, vor mehr als einem Jahr nach überaus zähen wie langwierigen Debatten im Gemeinderat beschlossen, liegt seither auf Eis. Gewiss: Wir leben in einer anderen Welt als in der des Sommers 2021. Neben der Pandemie hat uns der Russland-Ukraine-Krieg nicht nur mental, sondern auch wirtschaftlich bis ins Mark erschüttert. Dass sich ein Investor, in diesem Falle Strabag, genau überlegt, unter diesen Umständen mehrere Millionen in die Hand zu nehmen, um am Ende den erwarteten wirtschaftlichen Erfolg nicht oder allenfalls marginal zu haben, ist nachvollziehbar. Dennoch ist es erstaunlich, dass das einstmalige Vorzeigeprojekt der Leonberger Stadtentwicklung quasi von der Bildfläche verschwunden ist.

Diesen Platz hat ein neues eingenommen: Martin Georg Cohns „Stadt für morgen“. Der Oberbürgermeister setzt alles dran, seine Vision eines autoarmen Zentrums mit hoher Aufenthaltsqualität energisch voranzutreiben. Ein Planungsbüro und ein Moderator wurden angeheuert, um Entwürfe zu entwickeln und Bürgerbeteiligungen möglichst plastisch zu gestalten. Ob der laufende Verkehrsversuch das erfüllt, was sich die Planer erhoffen – eine Bestätigung, dass trotz eingeschränkter Autospuren kein Chaos ausbricht – bleibt abzuwarten. Die Ferien gehen jetzt erst zu Ende, die Verkehrsdichte in den Städten wird zunehmen.

Elementarer Zusammenhang

Fokussiert man sich auf das eine große Ziel, das in jeder Stadt von einer breiten politischen Mehrheit getragen werden dürfte – ein Zentrum mit mehr Lebensqualität – gehören beide Projekte ohnehin zusammen. Eine „Stadt für morgen“ kann es nicht geben, wenn mitten in ihr eine große Wunde in Form eines brachliegenden Postareals klafft. Der Bereich ist von elementarer Bedeutung, damit das Jahrzehnte diskutierte Zusammenwachsen der Altstadt und des Neuköllner Platz endlich Gestalt annehmen kann.

Dieser elementare Zusammenhang spielt in der politischen Diskussion momentan so gut wie keine Rolle. Fast könnte man meinen, dass ein Teil des Gemeinderats das Postareal schon abgeschrieben hat. Und der andere vor allem daran interessiert ist, dass Asphaltspuren Fahrradwegen weichen.

Keine organische Stadtentwicklung

Eine organische Stadtentwicklung sieht anders aus. Um aber diese Erkenntnis in konkretes Handeln umzuwandeln, sollte allen Beteiligten klar sein, dass ein großes Ganzes aus vielen Einzelteilen besteht, die gekonnt zusammengefügt werden müssen.

Wie beim Puzzle bedingt dies Mühe und Geduld, vor allem aber den Willen, die Löcher im Gesamtbild zu schließen. Doch genau das ist das Problem: Wie das Bild am Ende aussehen soll, darüber gehen die Meinungen nach wie vor auseinander. Oder, um eine weitere Metapher aus dem vergangenen Jahr zu bemühen: Solange nicht die meisten in einem Boot sitzen, treibt das Schiff ziellos auf offener See und droht zu kentern.