Beim Projekt „Stadt für morgen“ haben die Architekten in der Leonberger Innenstadt Großes vor: Die Meile zwischen Marktplatz und Leo-Center soll eine hohe Qualität bekommen, die Autos bleiben in der City, stehen aber nicht mehr im Mittelpunkt.

Bei seinem ersten Besuch in Leonberg wollte sich Oliver Lambrecht gleich den Neuköllner Platz anschauen. Der Architekt ging zur angegebenen Örtlichkeit und fragte sich: „Wo ist der Platz denn nun?“ In der Tat hat der Bereich vor dem Leo-Center wenig mit dem zu tun, was man gemeinhin unter einem Platz versteht.

 

Hier gibt es keine großzügigen Freiflächen, geschweige denn einladende Sitzgelegenheiten oder gar Brunnen. Der Neuköllner Platz in Leonberg ist eine der am stärksten frequentierten Kreuzungen in der City.

Doch geht es nicht nur nach dem Stadtplaner, der sich mittlerweile am Engelberg gut auskennt, könnte aus dem Verkehrsknoten zwischen Brennerstraße und Eltinger Straße tatsächlich in fünf bis zehn Jahren ein Platz im klassischen Sinne werden.

Die Ziele der „Stadt für morgen“

Lambrecht gehört zum Team des Tübinger Architektenbüros Eble Messerschmidt Partner, das im Auftrag der Stadt das Leonberger Zentrum unter die Lupe nimmt. Das Ziel: eine Innenstadt, in der die Menschen mehr Bewegungsfreiheit und Aufenthaltsqualität empfinden, in der das Auto nicht mehr die zentrale Rolle spielt, in der einzelne bestehende Flächen zu einem funktionierenden Ganzen verknüpft werden.

All das hat der Oberbürgermeister unter den Titel „Stadt für morgen“ gestellt. Seit rund zwei Jahren wirbt Martin Georg Cohn (SPD) für eine andere Gestaltung der Kernstadt. Plakativ ist dabei ein Umbau der Verkehrsachsen: Die jetzt noch vierstreifige Eltinger Straße soll zwischen Lindenstraße und dem Neuköllner Platz Autos pro Fahrtrichtung nur noch eine Spur bieten. Ähnliches ist in der Brennerstraße geplant.

Und im Kreuzungsbereich von Römerstraße und Poststraße, dort wo die Firma Bosch ein neues Entwicklungszentrum für autonomes Fahren baut, ist eine Fläche vorgesehen, in der sich Fußgänger, Radler und Autos gleichberechtigt auf einer Ebene begegnen. Shared Space – geteilter Raum – heißt das im Planungsdeutsch.

Die Wünsche der Bürger

All diese Vorhaben sind bei vielen Menschen angekommen. Nicht wenige haben sich sogar aktiv eingebracht, um ein Zentrum nach ihren Wünschen zu kreieren. Im September hatte es ein Werkstattgespräch gegeben, bei dem die Bürger ihre Vorschläge vortragen konnten. Und das waren nicht eben wenige.

Die hat jetzt das Projektteam ausgewertet und auf ihre Machbarkeit geprüft. Es dürften einige Ideen sein, die in den kommenden Monaten und Jahren weiterverfolgt werden. Denn bis eine „Stadt für morgen“ fertig ist, dauert es mindestens bis übermorgen.

Was in der Zukunft passieren könnte, darüber haben jetzt die Planer in der Steinturnhalle berichtet. Und die Leonberger interessieren sich für ihre Stadt. Der Baubürgermeister Klaus Brenner konnte sich als Gastgeber über einen bis auf den letzten Platz gefüllten Saal freuen.

Der Berliner Coach Andreas von Zadow, der viele Kommunen bei komplexen Strukturprojekten begleitet, fasste die Meinungen aus dem Werkstattgespräch zusammen: Die Menschen treibt der Verkehr um. Aber nicht alle sehen in einer Bevorzugung des Radverkehrs eine Pauschallösung.

So machen es die anderen

„In Leonberg gibt es doch kaum Radfahrer“, hatte ein Bürger gesagt. Ein anderer befürchtete, dass eine kombinierte Bus-Rad-Spur noch gefährlicher wäre als der Ist-Zustand. Vielen älteren Menschen würden mehr Radwege nichts bringen, genau wie Familien. Trotzdem sei der Ruf nach Veränderung groß, resümierte von Zadow und brachte zum Beleg ein weiteres Zitat: „Die Stadtmitte ist grausam.“

„Denken Sie groß, das verändert alles“, empfahl der Referent den Leonbergern und verwies auf andere Städte: Bielefeld hat einen zentralen Platz komplett autofrei umgestaltet, in Schwäbisch Gmünd wurde die Innenstadt für Autos schlicht dichtgemacht. Und in Tübingen werden gerade Radwege auf Stelzen gebaut. Alles Vorbilder für Leonberg? Das Problem hier, das erkennen die Experten durchaus an, ist Zerfaserung der Kernstadt: Oben die historische Altstadt, dazwischen ein unattraktiver Bereich, der durch das neue Postareal eine neue Qualität bekommen soll. Dann das betonlastige Problemkind neue Stadtmitte, das allerdings mit dem Leo-Center der zentrale Handelsort ist. Und schließlich Eltingen, historisch gewachsen und fast schon kiezig, was Andreas von Zadow durchaus anerkennend meinte.

Lösung durch ein Loop-System?

Die Herausforderung an die Planer ist eine Verbindung all dieser Bereiche mit Wohlfühlcharakter. Dafür schlagen sie ein sogenanntes Loop-System mit Ringbussen vor. Diese verkehren in den verschiedenen Stadtvierteln und begegnen sich an bestimmten Punkten zum Umsteigen. So könnte die ganze Kernstadt ohne Auto problemlos erschlossen werden. Auch der Bahnhof wäre so besser ins Zentrum integriert. Bisher, das haben viele Menschen bei der Planungswerkstatt beklagt, ist der gesamte Busverkehr auf eine Verknüpfung mit den Zügen ausgerichtet. Innenstadtlinien gibt es quasi nicht.

Was Lübeck Leonberg voraus hat

Wobei Leonberg eigentlich schon jetzt eine Stadt der kurzen Wege ist. Die Strecke zwischen dem Marktplatz und dem Leo-Center beträgt gerade einmal gut 800 Meter. Ein Spaziergänger schafft das ohne Stress in zehn Minuten. Zur Veranschaulichung legte der Architekt Florian Thurn eine Folie mit dem Grundriss der Lübecker Altstadt über jenen der Leonberger Innenstadt. Beide sind in etwa gleich groß. Doch während die Menschen in der Hansestadt mit Freude den knappen Kilometer in angenehmem Ambiente zurücklegen, empfinden Leonberger Flaneure den Weg vom alten ins neue Leonberg als unangenehm. Angesichts vorbeibrausender Autos und einem eben nicht attraktiven Umfeld kein Wunder.

Lösungsansatz der Planer: Das künftige Postareal nutzen, um neben dem bereits beschlossenen Brückenschlag in Richtung Marktplatz einen weiteren in Richtung alte Schuhfabrik, Steinstraße bis hin zum Reiterstadion und zur Stadthalle zu schlagen.

Was ist mit der die Schuhfabrik?

Die Schuhfabrik haben die Architekten bei ihren Überlegungen augenscheinlich als kulturelle Begegnungsstätte auf dem Zettel. Ob das so kommt, ist freilich noch nicht entschieden. Das Gebäude ist in einem baulich sehr schlechten Zustand. Nicht wenige im Gemeinderat plädieren zumindest für einen Teilabriss.

Klar aber ist: Die Meile zwischen Marktplatz und Leo-Center muss an Qualität gewinnen. Diesem Ziel soll die Reduzierung der Autospuren dienen. In ihren Entwürfen sehen die Planer aber keine Umweltspur, also eine kombinierte Bus-Rad-Spur vor. Vielmehr sollen die Bürgersteige vergrößert und Radwege angelegt werden. Radwege und Fußgängerbereiche werden durch Bäume getrennt. Die Eltinger Straße bekäme so einen komplett anderen Charakter.

Was geht schnell, was dauert?

Diese Visionen könnten vergleichsweise zügig umgesetzt werden, womöglich schon in zwei Jahren. Schnell gehen soll es zudem an der Poststraße, wo Bosch seinen Entwicklungscampus in spätestens einem Jahr in Betrieb nehmen will. Bis dahin soll auch dieser Abschnitt der Poststraße beruhigt sein. Und die Fahrbahn in der benachbarten Benzstraße, in der zahlreiche Lastwagen unterwegs sind, soll verkleinert werden.

Den Obi-Kreisel an der Einmündung zur Römerstraße, bisher ein Unfallschwerpunkt, wollen die Architekten entschärfen, den Fußweg in Richtung Bahnhof verbessern und die Buchten an den Busstationen in der Römerstraße zugunsten von mehr Raum für Passanten und wartende Fahrgäste abbauen.

Das sind konkrete Schritte. Was aus der Vision eines womöglich autofreien Neuköllner Platzes werden könnte, das sollen die Diskussionen der Zukunft ergeben.