Wie soll das Leonberger Zentrum künftig aussehen? Planer stellen ihre Ideen vor, in denen das Auto keine zentrale Rolle mehr spielt. Das gefällt vielen, aber nicht allen.

Überdimensioniert. Jenes wertende Wort fällt gleich mehrmals. Gemeint sind die Verkehrsachsen im Zentrum von Leonberg. Und die halten Enrico Strauch vom Karlsruher Ingenieurbüro Schüßler-Plan wie auch der städtische Verkehrsplaner Stephan Kerner für – überdimensioniert.

 

Mit diesem Begriff stimmt eine Expertenrunde das Publikum in der Stadthalle auf die Zielsetzung des Abends wie auch des ganzen Projektes ein: Die Zeiten einer autogerechten Innenstadt sind vorbei. Die „Stadt für morgen“, die große Vision des Oberbürgermeisters, soll eine werden, in der Lebens- und Aufenthaltsqualität die zentralen Merkmale sind. In der Autos zwar noch unterwegs sind, aber nicht mehr den Stellenwert der vergangenen 50 Jahren innehaben.

Viel Kritik im Netz

Um diese Vision umzusetzen, hat Martin Georg Cohn mit Rückendeckung des Gemeinderats einen Verkehrsversuch initiiert: In den vierspurigen Abschnitten der Eltinger Straße und der Brennerstraße sind jeweils zwei Bahnen zu sogenannten Umweltspuren umgewidmet worden. Hier dürfen nur Radler und Busse drauf.

Seit den Pfingstferien läuft der Test, dauern soll er bis Mitte Dezember. In den Internetforen hat er der Stadt bisher viel Kritik eingebracht: Schlangenlinien, extra produzierte Staus, keine durchgängigen Umweltspuren. Auch unsere Zeitung erreichen vornehmlich kritische Leserbriefe.

Mit dem Infoabend in der Stadthalle geht Oberbürgermeister Cohn in die Offensive. Dafür hat er ein großes Beraterteam mitgebracht, das sein Projekt der „Stadt für morgen“ argumentativ unterfüttern soll. Neben den Planern aus Karlsruher noch den Berliner Coach Andreas von Zadow, der viele Kommunen bei komplexen Umstrukturierungsprozessen begleitet.

Die Stadthalle ist gefüllt, aber nicht wirklich voll. Die Erwartung, dass gerade die Kritiker die Gelegenheit zur Diskussion nützen, erfüllt sich nicht. So nimmt ein tendenziell positiv gestimmtes Auditorium die Botschaft der Experten auf: Die eher einem Autobahn-Kreuz ähnelnde Innenstadt bedarf dringend der Erneuerung.

75 Prozent gehören den Autos

Die Eltinger Straße, so rechnet Stephan Kerner vor, gehört zu 75 Prozent den Autos, zu 25 Prozent den Fußgängern. Für Radfahrer gibt es keinen Raum. Während des Verkehrsversuchs, so sagt der Leiter des städtischen Referats für innovative Mobilität, haben sich die Verhältnisse etwas verschoben. Jeweils 37,5 Prozent der Flächen gehören nun Automobilisten und Radlern, 25 Prozent den Leuten, die zu Fuß unterwegs sind.

Ist durch das Wegnehmen der Spuren das große Chaos ausgebrochen, das viele befürchtet haben? Das geht gar nicht, meint der OB. Denn der Verkehr wird ja nur zweispurig in die City hereingeführt, etwa in der Grabenstraße. Und raus geht’s auch wieder nur zweispurig. Der vergleichsweise kurze Abschnitt mit vier Bahnen ändere nichts an der Gesamtproblematik.

Um halb fünf ist es am vollsten

Kerner bringt Zahlen: Nach bisherigen Untersuchungen verlängere sich die Gesamtreisezeit von Autofahrern um 20, allerhöchstens 40 Sekunden. Voll werde es lediglich zwischen 16.30 und 17.30 Uhr. Zu allen anderen Zeiten fließe der Verkehr normal. Eine Umgestaltung der Hauptachsen inklusive des Neuköllner Platzes halten die Planer für machbar. Wobei Cohn wichtig ist, dass es nicht einfach um eine Radspur geht. Ihm schwebt eine Verkehrsführung vor, in der alle ihren Platz haben. Shared Space nennt sich dieses Konzept, bei Bosch in der Poststraße wird es umgesetzt.

Wie das aussehen kann, zeigt der Landschaftsarchitekt Florian Thurn: Die Eltinger Straße ist von Bäumen gesäumt. Außenfassaden werden begrünt. Die Straßen sind keine im klassischen Sinne mehr, sie bieten Raum für Fußgänger, Radler und Autos . Die Beläge sind durchlässig, Regenwasser fließt nicht in die Kanäle, sondern wird für die Bewässerung der Pflanzen genutzt.

Dass solche Visionen den meisten gefallen, liegt nahe. Doch es gibt auch kritische Stimmen. Kommen in solch einer Landschaft Krankenwagen überhaupt durch, will eine Zuhörerin wissen. Sie hält den Bau von mehr Sozialwohnungen für weitaus wichtiger.

Zwei Stunden mit dem Bus unterwegs

Ein Gesamtkonzept mahnt Hans-Joachim Albinus an: „Mehr Wohnungen und mehr Arbeitsplätze bringen mehr Menschen und damit mehr Verkehr.“ Auch Walter Kaczor fehlt der übergreifende Ansatz: „Das ist Stückwerk.“ Ein Vater will mehr Busse. Er hat seine zwei Kinder in unterschiedlichen Tagesstätten. „Um beide hinzubringen, bin ich mit dem Bus zwei Stunden unterwegs.“

Mit der Umweltspur zufrieden ist Klaus Hettler. „Sie wirkt entschleunigend“, sagt der Vorsitzende der Bürgervereins Eltingen, der viel mit dem Rad auf Tour ist. Andere Gäste befürchten, dass es auf Radwegen zu regelrechten Verdrängungswettbewerben zwischen schnellen Pedelec-Fahrern und normalen Radlern kommen könnte.

Die Planer versprechen alle Anregungen und Kritiken bis zum nächsten Bürgerdialog am 17. September zu berücksichtigen.