Auch in Weil der Stadt verabreden sich Kritiker der Corona-Politik auf Telegram zu Montagsspaziergängen. Eine Gruppe Demonstranten fordert nun die Rückkehr zur Demokratie.

Weil der Stadt - Sie spazieren mit Kinderwagen und Kerzen in der Hand, in größeren und kleineren Gruppen, eine Prozession der Ablehnenden: Seit einigen Wochen treffen sich jeden Montagabend Kritiker der aktuellen Corona-Politik zu Spaziergängen. Die Versammlungen sind meistens unangemeldet, in den Augen der Spaziergänger keine Demo – man trifft sich eben rein „zufällig“. Auch in Weil der Stadt ist die Bewegung angekommen, inzwischen gibt es Gegenwind.

 

Denn während am vergangenen Montagabend knapp 200 Spaziergänger vom Viehmarktplatz in Richtung Paul-Reusch-Straße ziehen, hat sich vor dem Weiler Rathaus eine ganz andere Gruppe versammelt: Zur „Mahnwache für Demokratie, Rechtsstaat und gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien“ um 17.30 Uhr erscheinen gut 100 Menschen, einige davon aus den Reihen der örtlichen Parteien, aber auch viele andere Weil der Städter. Man wolle Präsenz zeigen, sagt ein anwesender Bürger. „Kritisieren darf man immer. Aber nur auf rechtsstaatlicher Basis und auf Basis von Fakten.“

Unterstützung von Kirche und Parteien

Beim Landratsamt offiziell als Demonstration angemeldet hat die Mahnwache der 24-jährige Luca Blaszczyk auf private Initiative. „Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen“, sagt er. Bereits in der Woche zuvor haben er und einige Bekannte, viele davon aus dem Umkreis des Jugendhauses Kloster, sich auf dem Marktplatz versammelt, allerdings nur mit knapp 30 Leuten. Mit der Mahnwache soll nun erneut Präsenz gezeigt werden – mit etwas mehr Vorlauf und mehr Publikum.

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Unterstützt wird die Mahnwache auch von der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde Weil der Stadt. Felix Mayer, der Gemeinderat für die SPD und Mit-Organisator der Mahnwache, hatte im Vorfeld außerdem nicht nur seine eigene Partei, sondern auch CDU, FDP und Grüne ins Boot geholt, die anlässlich der Versammlung eine gemeinsame Erklärung verfassten.

Keine Spontanversammlung

Zur aktuellen Corona-Politik beziehen sowohl Parteien als auch Organisatoren explizit keine Stellung, pochen aber auf den Erhalt eines demokratischen Dialogs. „Ihr fordert Demokratie und Freiheit“, richtet sich Blaszczyk an die „Spaziergänger“, „aber verabredet auch in Chatportalen zu unangemeldeten Demos.“ Dass sich die Kritiker der Corona-Politik mit ihren Spaziergängen nicht an demokratische Spielregeln halten, betonte am Montag auch Bürgermeister Christian Walter per Facebook: „Es ist ja nicht verboten, eine Demo gegen Coronamaßnahmen anzumelden. Und nein, ein Spaziergang, der regelmäßig stattfindet, ist keine Spontanversammlung. Und ja, ein Spaziergang mit einem klaren politischen Ziel ist eine Demo“, schreibt Walter dort.

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Hinzu kommt: Hinter Bewegungen wie den „Montagsspaziergängern“ stünden populistische Akteure und rechte Netzwerke, so Blaszczyk in seiner Ansprache auf dem Marktplatz. „Ihr wundert euch, dass man euch Nazis nennt? Das liegt daran, dass ihr mit Nazis spazieren geht.“

Zentraler Dreh- und Angelpunkt der Spaziergangs-Bewegung ist auch in Weil der Stadt: Telegram. Gern genutzt wird die Plattform in Kreisen der Corona-Kritiker, weil man sich dort in Gruppen weitestgehend anonym austauschen kann. Rund 100 Mitglieder hat der Weiler Ableger der Spaziergänger-Gruppe aktuell.

Es werden dubiose Inhalte geteilt

Ein Großteil der Diskussionen dort dreht sich um die Organisation der Spaziergänge in der Keplerstadt – zwischen Foto- und Videomaterial oder dem Durchgeben des neuen Treffpunktes tauchen aber auch hier immer wieder weitergeleitete Beiträge aus anderen Gruppen auf. Etwa Videos der Anwältin Beate Bahner, ein bekannter Kopf der Querdenker-Szene, Meldungen einer angeblichen Klage „wegen globaler Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ – Inhalte voller Falschmeldungen und Desinformation.

Und auch die Mahnwache wurde in den vergangenen Tagen in der Gruppe immer wieder heiß diskutiert. Nachdem bekannt wurde, wer die Demonstration angemeldet hatte, wurden sogar Name, Facebook-Profil und Fotos von Luca Blaszczyk geteilt. „Ein bisschen komisch“ fühle sich das schon an, kommentiert Blaszczyk. Trotzdem: Er hat mit viel mehr Hassnachrichten gerechnet. Davon kamen bisher keine bei ihm an. „Nur Zuspruch.“

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Zuspruch gibt es am Montag auch von den anwesenden Bürgern: Nicht alle, aber immerhin einige harren die eineinhalb Stunden bis zum Ende der Veranstaltung aus. In die Quere kommen sich Mahnwache und Spaziergang dabei kaum. Dass man trotzdem einen kleinen Denkanstoß geben konnten, hoffen die Veranstalter aber allemal. „Wir müssen wieder einen Schritt aufeinander zugehen“, betont Felix Mayer. „Und gemeinsam Vertrauen in die Demokratie fassen.“