Feuerwehrleute aus Leonberg und Renningen packen in der verwüsteten Stadt Sinzig mit an und erleben eine riesengroße Dankbarkeit von Menschen, die alles verloren haben.

Leonberg/Renningen - Es sind die kleinen Szenen, die besonders anrühren. Eine Frau steht auf einer verschlammten Straße vor ihrem Haus. In den Händen hält sie ein verdrecktes Fotoalbum. Sie wäscht jede einzelne Seite.

 

Dieser Versuch, unwiederbringbare Erinnerungen zu retten, ist nur einer von zahllosen Eindrücken, die Stefan Rometsch und Erhard Mohr mit nach Hause bringen. Der stellvertretende Chef der Feuerwehr Leonberg und der Kommandant der Kameraden in Renningen waren mit 18 weiteren Helfern in Sinzig im Krisengebiet des Landkreises Ahrweiler im nördlichen Rheinland-Pfalz.

Helfer sind völlig erschöpft

Als die Retter, zu denen auch Feuerwehrleute aus Gärtringen und Herrenberg zählen, nach vier Tagen im Dauereinsatz völlig erschöpft in die Leonberger Hauptwache zurückkehren, werden sie von Oberbürgermeister Martin Georg Cohn und dem Gesamtkommandanten Wolfgang Zimmermann begrüßt. Die anerkennenden Worte des Stadtoberhaupts tun den 20 Frauen und Männern spürbar gut. Doch in ihren Köpfen sind die schrecklichen Bilder vom Leid jener Menschen in Sinzig, einer 18 000-Einwohner-Stadt, die direkt an der Mündung der Ahr in den Rhein liegt. Eigentlich ein schöner Ort.

Tote im Behindertenheim

„Wir waren ja noch nicht einmal da, wo es am schlimmsten war“, erzählt Stefan Rometsch angesichts zahlreicher völlig zerstörter Ortschaften im Ahrtal. „Aber man kann die Situation dort mit nichts anderem vergleichen. Es sieht aus wie im Krieg.“

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Die Helfer aus Schwaben, die vom Innenministerium ihren Marschbefehl erhalten hatten, sind für ein bestimmtes Stadtviertel zuständig. Hier gibt es mehrere Schulen und jenes Behindertenheim, in dem zwölf Menschen ums Leben gekommen sind. „Es hat mich geschüttelt“, sagt Erhard Mohr. „Ich bin seit 45 Jahren bei der Feuerwehr und habe gedacht, ich habe alles mitgemacht. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt.“

Steinharter Schlamm

Rometsch, Mohr und ihre Kameraden sehen Straßenzüge, in denen das Wasser anderthalb Meter hochgestanden hat. Neue Einfamilienhäuser sind bis unters Dach zerstört. Die Ahrbrücke der B 9, eine viel befahrene vierspurige Bundesstraße längs des Rheins, ist einfach eingeknickt. In den Straßen türmen sich Müll- und Schlammberge.

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Die Helfer aus Baden-Württemberg packen sofort an: Per Wasserstrahl sprühen sie den mittlerweile trockenen und steinharten Schlamm vom Asphalt. Besonders hartnäckige Reste werden mit Pickel und Schaufel bearbeitet. Sie helfen den Anwohnern beim Abschleppen von zerstörten Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen. Die Wassermassen haben in den Häusern regelrecht gewütet und alles vernichtet. „Da ist nichts mehr zu machen“, schildert Rometsch. „Böden, Tapeten, alles muss raus. Manche Häuser sind nicht mehr zu retten und müssen abgerissen werden.“ Die Unmengen des Unrats werden zu zentralen Sammelstellen außerhalb der Stadt gebracht.

Angst vor Keimen und Bakterien

Ihr technisches Fachwissen kommt den Rettern aus Leonberg und Umgebung beim Umpumpen von Ölbehältern, dem Sichern von anderen Schadstoffen und dem Reinigen von Kanälen zugute. Verseuchtes Wasser ist eine der größten Gefahren für die Bevölkerung. Meistens tragen die Helfer Masken – nicht wegen Corona, sondern wegen des Schutzes vor Keimen und Bakterien.

Die Menschen in Sinzig nehmen die Unterstützung mit Begeisterung auf. „Die Dankbarkeit der Leute ist unglaublich“, schildert Stefan Rometsch. „Obwohl sie selber nichts hatten, haben sie uns mit Kaffee und warmen Essen versorgt. Eine Frau hat gesagt: Ihr bringt uns das Leben zurück.“

Panik vor einer neuen Flutwelle

Und am Sonntag regnet es wieder in Sinzig. Die Menschen rennen in Panik aus ihren Häusern. Die Angst vor einer neuen Flutwelle ist riesengroß. Selbst alte und gebrechliche Menschen springen einfach auf die Straße. Zum Glück bleibt es bei vergleichsweise harmlosen Schauern. Das Einsatzteam kann weitermachen. „Alle haben gesagt: Wir gehen erst, wenn alles erledigt ist“, lobt Rometsch das Engagement der Kameraden, die sich mit wenigen Stunden Schlaf auf Feldbetten in einem Klassenraum begnügen.

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Ähnlich geht es den Rot-Kreuz-Helfern Steffen Widmaier, Nicole Dinies und Rainer Wallenta vom Leonberger DRK und Aline Bittler aus Rutesheim, die ebenfalls im Katastrophengebiet im Kreis Ahrweiler im Einsatz waren und vom DRK-Kreisverbandspräsidenten Michael Steindorfner geehrt werden. Ihnen allen dürfte das durch den Kopf gehen, was der Renninger Feuerwehr-Chef Mohr ausspricht: „Du denkst dir: Das gibt es gar nicht. Wir sind doch in Deutschland!“