Für Tobias Bacherle (Grüne) beginnt in Berlin ein neuer Lebensabschnitt. Florian Toncar (FDP) soll bei den anstehenden Verhandlungen über ein neues Regierungsbündnis eine tragende Rolle spielen.

Florian Toncar (FDP) und Markus Frohnmaier (AfD) kennen sich schon gut in Berlin aus. Für Tobias Bacherle beginnt dagegen ein ganz neuer Lebensabschnitt.

 

Richtung Ampel Bereits am Tag nach der Wahl ist Florian Toncar fast ununterbrochen beschäftigt. Den 41-jährigen Böblinger telefonisch erreichen – kein leichtes Unterfangen. Bis zum Mittag saß der FDP-Abgeordnete, der jetzt bereits zum vierten Mal ins Parlament einzog, in der Bundesvorstandssitzung im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin. Dann stand die Teilnahme an der konstituierenden Sitzung der neuen FDP-Bundestagsfraktion auf dem Programm.

Am Abend ist Toncar, der seit 2017 auch als Parlamentarischer Geschäftsführer in Berlin fungiert, digital zur Vorstandssitzung der baden-württembergischen FDP zugeschaltet. Nach dem Wahlerfolg vom Sonntag, als die Liberalen im Wahlkreis Böblingen mit 18,1 Prozent der Zweitstimmen deutschlandweit das beste FDP-Ergebnis erlangt haben (gleichauf mit dem Wahlkreis Rottweil/Tuttlingen), geht der Blick bereits nach vorne. Schon am Wahlabend schickte Florian Toncar voraus, dass nun offene Gespräche mit Grünen, SPD und Union folgen würden.

Wie aus Berlin am Nachmittag bekannt wurde, sollen die Vorsondierungsgespräche zunächst nur zwischen Grün und Gelb stattfinden – wohl schon in dieser Woche. Toncar wird dabei eine tragende Rolle zukommen. Wie es aus FDP-Kreisen heißt, geht die Tendenz nun in Richtung Ampel – eine Koalition, die FDP-Chef Christian Lindner am Montag als ein Bündnis des „fortschrittlichen Zentrums“ bezeichnet hat.

Coole WG Wahlkampfauto putzen, in Stuttgart abgeben und dann rein in den Zug nach Berlin, um rechtzeitig beim Kennenlernabend der Grünen-Abgeordneten zu sein. So sieht am Montag Tobias Bacherles Start in eine neue Ära aus. Nach 30 Jahren entsenden die Grünen erstmals wieder einen Abgeordneten aus dem Wahlkreis Böblingen nach Berlin. Das verdankt er dem sehr guten Listenplatz 13. „Eine spannende Sache, die man erst mal fassen muss“, sagt der Neuparlamentarier.

Bei der Verkündung der ersten Prognosen am Sonntag um 18 Uhr war die Reaktion der Kreis-Grünen bei ihrer Wahlkampfparty sehr verhalten gewesen. Nach dem Höhenflug, der die Partei fast in die 30-Prozent-Sphären katapultierte, herrschte Ernüchterung. Ernüchterung, die so gar nicht zu dem passte, was im Fernsehen gesagt wurde Die Grünen haben ihr Ergebnis von vor vier Jahren fast verdoppelt. „Das ist das beste Ergebnis, das wir bundesweit jemals erzielt hatten. Die Union ist abgestraft“, sagt Bacherle. Ob das Ergebnis mit einem Spitzenkandidaten Habeck besser ausgefallen wäre? „Ich glaube nicht“, sagt Bacherle. Auch bei Robert Habeck, mutmaßt er, wären Fehler gnadenlos ausgenutzt worden.

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Bereits am Dienstag geht’s für den 26-Jährigen in Berlin weiter: Fraktionssitzung und Treff der verschiedenen Parteiflügel. Tobias Bacherle wird sich bei der Zusammenkunft des Realo-Flügels einfinden. Als Mitglied der Grünen Jugend wird er dort eher eine Ausnahmeerscheinung sein. Lieber mit kleinen Schritten was erreichen, als mit dem Kopf durch die Wand scheitern, lautet die Begründung des 25-Jährigen.

Ein wenig von dieser Haltung scheint auch durch, wenn Bacherle über die zukünftigen Koalitionen redet, die sich für seine Partei ergeben. Rote Linien? „Um den Klimaschutz kommen wir nicht herum“, sagt er. „Wie wir den gestalten, da bin ich flexibel.“ Das Wunsch-Trio, das die Republik durch die nächsten vier Jahre lotsen soll, ist für Tobias Bacherle klar: Rot-Grün-Gelb. Das Signal auch: Bei der FDP sieht er „viele gute Ansätze“ beim Klimaschutz. „Ich schätze meinen Böblinger FDP-Kollegen Florian Toncar“, sagt Bacherle. „Ihm geht es immer um die Sache.“

Über sein zweigeteiltes Leben zwischen Sindelfingen und Berlin hat sich der Neuabgeordnete auch schon Gedanken gemacht. Den Fraktionsvorsitz im Gemeinderat wird er im November abgeben. Ob er am Mandat in der Heimat festhalten wird, hat er noch nicht endgültig entschieden. Lust auf Kommunalpolitik habe er weiterhin, betont er. In Berlin begibt sich Bacherle zunächst einmal auf Wohnungssuche. Ganz oben steht der Wunsch nach einer „coolen WG“. Dort sollen Menschen wohnen, „die nicht den ganzen Tag Politik machen“.

Fokus auf Opposition Neben seinem eigenen Wiedereinzug in den Bundestag hat die Wahl für Markus Frohnmaier einen weiteren positiven Aspekt: „Ein drohendes rot-grün-rotes Bündnis haben die Wähler verhindert“, sagt der AfD-Abgeordnete aus Weil der Stadt. Er hofft nun auf ein Bündnis aus CDU, FDP und den Grünen. Dies sei „das kleinere Übel“. Als große Oppositionspartei werde man die künftige Regierung „auf Schritt und Tritt kontrollieren“. Mit dem bundesweiten Abschneiden seiner Partei (10,5 Prozent) ist der Vertraute von Alice Weidel insofern zufrieden, als sich die AfD „als feste Größe in der deutschen Politik etablieren konnte“. Doch sei darüber zu reden, wie künftige Ergebnisse „optimaler gestaltet werden können“.

Enttäuscht auf ganzer Linie Sindelfingen - Richard Pitterle klingt sehr enttäuscht. Dass er selbst den Sprung in den Bundestag nicht schaffen würde, das war dem Kandidaten der Linken für den Kreis Böblingen klar gewesen. Hatte er doch keinen sicheren Platz auf der Landesliste ergattern können – eine Folge parteiinterner Querelen. Das schlechte Abschneiden seiner Partei jedoch schmerzt Pitterle, der von 2011 bis 2017 den Wahlkreis im Berliner Parlament vertreten hatte.

Am Wahlabend war bis Redaktionsschluss noch nicht bekannt, ob die Linke es dieses Mal überhaupt schafft, in den Bundestag einzuziehen. Und im Kreis Böblingen scheint sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft zu haben. Entsprechend schnell war demnach auch die Wahlparty im Arbeiterzentrum beendet. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Linke mitregieren kann“, sagt Richard Pitterle. „Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD ihre Versprechen von Mindestlohn, Mietmoratorium und Entlastung der mittleren Einkommen mit der FDP durchbekommt.“ Über die Gründe des schlechten Abschneidens seiner Partei will er sich erst in zwei Tagen äußern. Die Linke war ganz knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, wird aber wegen drei gewonnener Direktmandate weiterhin im Bundestag vertreten sein.