Mit einem Fahrrad-Korso macht das Heimatmuseum Flacht auf die NS-Kindermorde aufmerksam.

Weissach - Eines der mehr als 50 Kinder, die in der NS-Zeit in der Stuttgarter Kinderklinik ermordet wurden, war die dreieinhalbjährige Gerda. An ihr Schicksal erinnerte das Heimatmuseum Flacht und veranstaltete einen Fahrrad-Korso von Flacht nach Stuttgart, wo derzeit im Stadtpalais eine Ausstellung mit Bildern der Künstlerin Mechthild Schöllkopf-Horlacher an die Kindermorde erinnert.

 

Bevor sie in Stuttgart ankamen, hielten die Radfahrer und Läufer an Stationen in Stuttgart, wo die Ermordung behinderter Kinder in der NS-Zeit geplant, organisiert und durchgeführt wurde – also im damaligen Gesundheitsamt in der Hohe Straße, im Rathaus und in der ehemaligen Kinderklinik in der Türlenstraße. „In der Kinderklinik wurden mehr als 50 Kinder mit Luminal-Spritzen behandelt“, erklärt Barbara Hornberger, die Leiterin des Heimatmuseums Flacht, die den Korso organisiert hat. „Sie schliefen ein und wachten nicht mehr auf. Die Täter – Ärzte und Pflegepersonal – belogen die Eltern, ihre Kinder seien etwa an Diphtherie gestorben. So wurde es auch in die Krankenakten eingetragen.“

Mutter musste Gerda alleine aufziehen

Barbara Hornberger hat auch das Schicksal der dreieinhalbjährigen Gerda aus Flacht recherchiert, die am 12. Juli 1943 in der Kinderklinik ermordet wurde. „Das blonde Kind litt an der Littleschen Krankheit, einer spastischen Lähmung. Die Mutter Berta musste sie allein aufziehen, da der Vater Soldat war“, erzählt Hornberger. Ein Stuttgarter Arzt habe Gerda untersucht und entführte das kleine Mädchen regelrecht gegen den Willen der Mutter. Berta Metzger marschierte zu Fuß nach Stuttgart und fragte sich zur Kinderklinik durch.

„Dort bestand sie darauf, ihre Tochter zu sehen“, sagt Barbara Hornberger. „Sie war aber bereits sediert.“ Die Mutter blieb in der Stadt, um ihr Kind am nächsten Morgen wieder zu besuchen. Barsch wurde ihr beschieden, Gerda sei in der Nacht verstorben, sie dürfe sie nicht mehr sehen.

„Jahrzehnte lang sprach Berta Metzger mit niemandem über diese traumatische Erfahrung“, weiß die Museumsleiterin. „Erst kurz vor ihrem Tod 2009 offenbarte sich Berta Metzger ihrem Masseur und trug ihm auf, ihre Geschichte nach ihrem Ableben bekannt zu machen, damit Derartiges nie wieder geschehe.“ Nachbarinnen hatten durchaus gehört, mitbekommen oder geahnt, dass Gerdas plötzlicher Tod nicht krankheitsbedingt war. „Bis 1945 schwiegen sie aus Angst – so berichteten sie es mir 2013 als ich nach Gerda fragte“, sagt Barbara Hornberger.

Stolperstein des Künstlers Gunter Demnig

Seit April 2013 erinnert nun ein Stolperstein des Künstlers Gunter Demnig vor dem Tatort – der Kinderklinik – an Gerda. Bei der Verlegung des Steins äußerte Friedrich Müller, der Vorsitzende des „Zentrums für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen“ die Hoffnung, dass an Gerda auch in ihrem Heimatort Flacht mit einem Stolperstein erinnert wird. „Mit dem Fahrrad-Korso wurde jetzt an Gerda gedacht“, sagt Hornberger. „Vielleicht wird in der Zukunft Friedrich Müllers Wunsch nach einem Stolperstein in Flacht erfüllt.“

Der Fahrrad-Korso fand im Rahmen der Erinnerungswoche „Schlaf, Kindlein, schlaf …“ statt, die an die NS-Kinderwoche aufmerksam machen wollte. Die Flachter Radler entzündeten dabei ein Gedenklicht, das sie von Flacht nach Stuttgart zum Abschlussgottesdienst der Aktionswoche mitbrachten. „Sinn dieser Woche war es, zu erinnern und zu trauern, aber auch das Leben in seiner ganzen Vielfalt zu feiern“, erläuterte die Degerlocher Pfarrerin Hélène Eichrodt-Kessel.

Gerda Metzger ist nicht das einzige Opfer der Euthanasie der Nationalsozialisten in der heutigen Gemeinde Weissach. „Glücklicherweise konnten Angehörige jedoch mindestens drei Behinderte diesem Schicksal entziehen“, hat Hornberger recherchiert. „Zu diesem Thema sollte dringend weiter geforscht werden, solange noch Zeitzeugen am Leben sind“, empfiehlt die Flachter Museumsleiterin.