Josef Seethaler (87) ist 1946 aus Südmähren vertrieben worden, und hat in der Keplerstadt eine neue Heimat gefunden. Die Familie von Otto Borger (73) hat ihn freundlich begrüßt. Ihre Freundschaft steht für eine gelungene Integration.

Weil der Stadt - Es ist der 19. Juni 1946. Die Familie Seethaler im kleinen Dorf Moskowitz bekommt eine Nachricht der tschechischen Behörden: Morgen haben sie auszureisen, pro Person sind maximal 20 Kilo Gepäck zugelassen. Kein Schmuck, nur persönliche Dinge. Ihr Haus, ihre Heimat, alles müssen sie binnen eines Tages aufgeben. „Ihr kommt jetzt in eure Heimat“, wurde den Mährendeutschen mitgeteilt. Josef Seethaler ist 18 Jahre alt – und erlebt den 20. Juni 1946, als alle auf dem Dorfplatz zusammen getrieben werden, jedoch als Erleichterung. Denn die deutschstämmige Minderheit wird zuvor auf Schritt und Tritt drangsaliert.

 

„Dabei sind wir hier geboren, die Seethalers lassen sich ins Jahr 1670 zurückverfolgen“, sagt Josef Seethaler, inzwischen 87 Jahre alt. Seine Eltern haben einen Lebensmittelladen in dem 900-Seelen-Dorf Moskowitz. Gut 95 Prozent sind Deutsche und leben vorwiegend von der Landwirtschaft. Bis 1918 gehört Südmähren zu Österreich-Ungarn, nach 1945 zur Tschechoslowakei. Doch die neuen Machthaber, oft ehemalige Partisanen im Krieg, wollen die Deutschen nicht mehr dulden. Schikanen und Gängelung von den Behörden haben ihnen das Leben schwer gemacht.

Der Alltag sei mühsam gewesen, man habe Todesangst gehabt, berichtet Seethaler. Er selbst ist nach der Realschule 1944 noch eingezogen worden, diente in Wien in einer Flak-Einheit, deren Türme man noch heute sieht. Als er zurück kommt, muss er Munition einsammeln. „Bei einem Unfall wurde ich am Bein schwer verletzt“, sagt Seethaler.

Dann die Vertreibung. Am 20. Juni 1946 wird er mit seiner Familie erst in die Kreisstadt Znaim gebracht, dann wird er mit 40 anderen Menschen in einen Waggon gesperrt. „Niemand wusste: Geht es nach Westen oder nach Osten?“, erzählt Seethaler. Groß ist die Erleichterung, als der Zug im niederbayerischen Grenzstädtchen Furth im Wald hält. Von dort aus geht es nach Esslingen und nach Malmsheim. „Das war eines von zwei Lagern im Kreis Böblingen“, erzählt Zvonko Albert, der Kreisvorsitzende des Bundes der Vertriebenen, „das andere war in Unterjettingen.“ In der ehemaligen Militärbaracke beim Malmsheimer Flughafen bleibt er zwei Wochen.

Dann kommt die Familie nach Weil der Stadt. Es trifft sich gut, dass schon ein großes Kontingent an Südmährern dort wohnt – aus der Stadt Tasswitz ist eine Gruppe mit dem Pfarrer Rupert Bendl schon am 6. Februar 1946 vertrieben worden. Bendl engagiert sich ein Leben lang für das Miteinander von alten und neuen Bürgern, und ist auf dem Weiler Friedhof begraben.

So kommt Josef Seethaler am 7. Juli 1946 auf dem Weiler Marktplatz an, zusammen mit fünf bis sechs Großfamilien. Im Saal des Hotels Krone Post kommen sie unter, zwei Jahre später ziehen sie in neues Haus in der Zeppelinstraße. 1952 baut See-thaler in der Alten Renninger Straße, wo er bis heute wohnt. „Ich fand Arbeit bei den Technischen Werken und bei der Bausparkasse Württemberg in Stuttgart“, erzählt er. Andere arbeiten in der Weiler Wolldeckenfabrik. Die Landwirtschaftsfamilie Borger nimmt die Flüchtlinge herzlich auf.

„Das wurde uns von unseren Eltern vorgelebt“, erzählt Otto Borger, der Vater des Weiler Narrenchefs Michael Borger. Die Vertriebenen halfen auf dem Hof und bekamen dafür Lohn – und ein Vesper. Was in den Notzeiten fast wichtiger war.

Otto Borger geht in den katholischen Kindergarten im Spittel – seine Erzieherin ist „Tante Elisabeth“, die spätere Frau von Josef Seethaler. „Wir haben uns in der katholischen Jugend kennengelernt“, erzählt dieser. Man heiratet, bekommt drei Kinder. Seethaler ist bei der Gründung der Kolpingsfamilie dabei und sitzt von 1953 bis 1980 für die CDU im Gemeinderat.

Seethaler und Borger haben sich kennen und schätzen gelernt. „Er war da, ich war da“, meint Otto Borger schwäbisch-bescheiden, „die Vertriebenen gehörten schnell einfach dazu.“ Der Pfarrer Rupert Bendl baut Brücken, beim Fußballspielen und beim Musizieren kommt man sich näher, Musik- und Fußballverein freuen sich über neue Mitglieder. Das Gasthaus Stern, das der Vertriebene Clemens Sattmann führt, wird zum Treffpunkt. Die neuen Bürger werden Teil der Stadtgesellschaft.

Trotzdem will Seethaler, der bald 50 Jahre auch Chef des Bundes der Vertriebenen (BDV) in der Stadt ist, die Erinnerung an die alte Heimat wachhalten. Daher ist er schon in den 90er Jahren nach Südmähren und in sein Heimatdorf Moskowitz gefahren. „Das waren für uns bewegende Begegnungen“, erzählt Seethaler. Im Jahr 1998 bereist er die Region mit dem gesamten Gemeinderat, im Juni dieses Jahres mit dem Bürgermeister Thilo Schreiber, Otto Borger und dem BdV-Kreischef Zvonko Albert. Eine eindrückliche Reise. „Es war schön, das alles zu sehen“, sagt Borger. Aber auch ernüchternd – vieles ist verfallen.

Und so sind beide auch froh, wieder zurückzufahren. „Wir sind keine Revanchisten“, betont Seethaler, „wir hegen keinen Groll gegen die Tschechen.“ Im Nachhinein sei es ein Segen, in den Westen, nach Weil der Stadt gekommen zu sein: „Das ist hier unsere neue Heimat geworden.“