Mit viel Getöse und Musik ziehen die Narren auf den Markt. Schon dieser kleine Umzug läutet die Umkehrung der Verhältnisse ein. Beim Narrensprung hat der Bürgermeister Thilo Schreiber den Schlüssel an die AHA-Recken abgegeben ...

Weil der Stadt - Seit fast 150 Jahren thront Johannes Kepler auf seinem Denkmal über dem Markt. Damit dieser Protestant, der im Tübinger evangelischen Stift pietistische Nüchternheit gelernt hat, nicht am Ende seinem Bruder im Glauben, Noch-Bürgermeister Thilo Schreiber zur Hilfe eilt, ist er an diesem Sonntagnachmittag mit einem kleinen Blumensträußchen außer Gefecht gesetzt – und mit einem großen gelben Ding. „Das ist unsere Schelmenrassel“, erklärt Schelmin Nicole Ullrich. Die Schelme feiern ihren 22. Geburtstag: Deshalb sind sie dafür zuständig, den altehrwürdigen Astronomen still zu legen.

 

Mit viel Getöse und Musik ziehen die Narren auf den Markt. Schon dieser kleine Umzug läutet die Umkehrung der Verhältnisse ein. Fahren doch die eifrigen Spicklingsweiber als erste Gruppe den Nachtisch („der größte Spickling aller Zeiten”) vor dem Hauptgericht auf. Aber ob die schwarzbraun gebräunten Zigeuner unter ihrem rauchenden Kessel überhaupt etwas zu essen dabei haben? Notwendig wäre es, ist doch der Essensnachschub im Rathaus nicht der beste .

„Thilo Schreiber, ich klage dich an und setz dich zusammen mit deiner Susi ab“, ruft Zunftmeister Daniel Kadasch dem aus dem Fenster seiner Amts(schimmel)stube grinsenden Schultes zu. Er habe nämlich, so Kadasch, noch nicht viel von der neuen Beigeordneten Widmaier (der „Susi“) gesehen und gehört. Wohl weil sie noch immer das richtige Mischverhältnis Kaffee-Filter-Wasser in der städtischen Küche testet.

Zunftmeister Kadasch steht auf einem dem Keplerdenkmal nachgebildeten Türmchen. Nur der evangelische Kepler fehlt dort. Zum Glück, droht doch auch an anderer Front die wüstgläubige Invasion.

Sogar auf dem Turm sind Wüschtgläubige

Denn auch die hoch-(!) karätige Position des Türmers auf dem Turm der Peter-und-Paul-Stadtkirche hat Schreiber mit einem Protestanten besetzt, womit er als ebenfalls protestantischer Stadtvater gezielt versucht, „hochkatholische Traditionen zu untergraben“, ruft Kadasch in die Menge des aufgebrachten Volkes.

Insgesamt elf Anklagepunkte trägt er vor. Von B wie Bett („Ihr wollt mit großen Tönen die Touristen in unser Städtle bringen, die finden dann aber nirgends ein Bett zum Schlafen“) bis B wie Bahn („Ihr diskutiert immer noch mit den Calwern solche Nebensächlichkeiten wie die Schwarzwaldbahn“). A propos Bahn: Kadasch legt dem Stadtvater nahe, eine Exkursion nach Wuppertal zu unternehmen, sei doch die Bahn dort genauso „wie die Schwarzwaldbahn auch in der Schwebe.“

Mit nur einem Schlag gelingt es dem sieben närrische Tonnen wiegenden Rammbock, das lumpige Rathaustürle zu knacken. Schreiber wird dem Zunftmeister vorgeführt und kann sich aber das Mikro ergattern, denn „gut, dass Ihr das alles seht, Ihr Leut, wie die mit mir umgehen heut!“ Er habe ein reines Gewissen, habe keine Fehler gemacht, habe er doch „gar nix g‘schafft.“ Außer Zeitung gelesen.

Hilft die Geheimwaffe Susi?

Seinem ehemaligen Volk versucht Schreiber indes, seinen geheimen Geheimplan zu offenbaren: die Geheimwaffe Susi. Die solle den Zunftmeister mit sämtlichen ihrer weiblichen Reize locken: „Er soll sich an ihrer Schönheit laben, und ich packe ihn vom hinten am Kragen.“ Ob das klappt?

Die Narren, die den Markt belegen, laben sich währenddessen an der Sonne. Die fleißigen Spicklingsweiber haben allerhand zu tun, ihr großer „größter Spickling aller Zeiten“ – immerhin zwei Meter Durchmesser misst der Apfelkuchen – ist nach einer halben Stunde ausverkauft. „Wir sind restlos zufrieden“, kann da das atemlose Weib Gudrun Schmidt nur noch rufen. Und auch Johannes Kepler scheint auf seinem Thron dennoch irgendwie zufrieden in sich hinein zu lächeln. Und das ist wichtig, ist doch der erfahrene Astronom für das Wetter am nächsten Sonntag zuständig. Dann erlebt Weil der Stadt beim Fasnetsumzug den Höhepunkt der närrischen Herrschaft