Mit Ralf-Dieter Krüger hat Weil der Stadt von jetzt an noch einen Türmer. Willi Bothner bleibt aber im Dienst auf dem hohen Bauwerk.

Weil der Stadt - Wenn der Türmer in früheren Zeiten auf dem großen Westturm den schmalen Balkon umrundete, dann rief er als Zeichen seiner Wachsamkeit den lateinischen Kontrollruf „Obsideo“ (Ich bin auf meinem Posten). Dazu erzählt die Weil der Städter Geschichtskoryphäe Wolfgang Schütz die Anekdote, der zufolge einst ein Dieb bei seiner nächtlichen Übeltat vom Obsideo derart überrascht wurde und den Ruf als schwäbisches „I seh di jo“ missverstand, dass er geglaubt habe, auf frischer Tat ertappt worden zu sein – und Hals über Kopf das Weite suchte.

 

So gesehen, ist das alte Reichsstädtle jetzt noch viel sicherer. Denn mit Ralf-Dieter Krüger hat die Stadt jetzt einen zweiten Türmer. „Unser Türmer Willi Bothner, der seit Mai 2013 seinen Dienst versieht, bekommt damit bei seinem höchsten Amt der Stadt Verstärkung“, gab Bürgermeister Thilo Schreiber bekannt.

Ein städtisches Amt

Denn gleichwenn der Türmer seinen Dienst auf einem kirchlichen Bauwerk versieht, ist es ein städtisches Amt, Chef der Türmer ist also seit ehedem der Bürgermeister. Nach einem strengen Zeremoniell wird der dann in sein Amt eingeführt. Die Trinitas aus „Diensteid ablegen“, „Urkunde übergeben“ und „Amtsbeigaben übergeben“ muss daher auch Ralf-Dieter Krüger durchlaufen. Und weil in Weil der Stadt natürlich nichts, was Geschichte betrifft, aufgesetzt ist, sondern höchst authentisch, hat der Stadtarchivar Lothar Sigloch natürlich auch für eine solche Amtseinsetzung das passende Dokument ausgegraben. Bei der Amtseinsetzung verliest der Bürgermeister daher die hochamtliche „Eidformel des Türmers“.

Der Türmer soll einen leiblichen Eid zu Gott und allen Heiligen schwören, dass er das Wohlergehen der Stadt fördert, sie vor Schaden bewahrt, dem Bürgermeister und dem Rat gegenüber gehorsam ist und treu bereit zum Dienst bereit ist.

Außerdem solle der Türmer bei Tagesanbruch den Tag anblasen und gleich darauf das Ave Maria läuten. Wobei das Ave Maria für Ralf-Dieter Krüger eine besondere Herausforderung darstellt, versieht mit ihm ein im Ruhestand befindlicher evangelischer Pfarrer das Türmer-Amt. Ist dieses Marien-Gebet einem protestantischen Herzen doch nicht so geläufig.

„Die religiöse Dimension, die du einbringen willst, ist auch für uns eine Herzensangelegenheit“, sagt der katholische Stadtpfarrer Anton Gruber bei der Amtseinsetzung. Einstimmig habe sein Kirchengemeinderat zugestimmt, Krüger als Türmer zu engagieren. Damit wird dem 69-Jährigen in nächster Zeit nicht langweilig. Genug zu tun gibt’s für alle Weil der Städter Stadtführer. „Unsere Führungen laufen total gut“, vermeldet Michaela Leven, die städtische Tourismus-Managerin. „Immer mehr Gruppen entdecken Weil der Stadt als Tagesziel.“

Zuschauer können sich in verkleidete Stadtführer besser hineinversetzen

Neben Krüger hat die Stadt zwei Dutzend neue Stadtführer ausgebildet – und die sind richtig kreativ. Da gibt’s dann mitunter nicht nur Infos, sondern auch Essen. Oder es tut sich die Kunsthistorikerin mit dem Theologen zusammen und erklären die Spitalkapelle aus zwei Blickwinkeln. Besonders gefragt indes sind die Kostümführungen. Michaela Leven kann das gut verstehen. „Sie ermöglichen einen viel direkteren Zugang“, sagt sie. „Die Zuschauer können sich viel besser hineinversetzen, wie die damaligen Zeiten waren.“

Auswahl gibt es in der Zwischenzeit reichlich. Die Nachtwächter sind nach wie vor unterwegs, ein Johannes Kepler führt durch die Gassen, der Hirte namens „Weiler Hannes“ – und die beiden Türmer.

„Wir leben in einer Zeit, die recht geschichtsvergessen ist“, hat Ralf-Dieter Krüger schon festgestellt. Das will er ändern. „Und gerade als Türmer bewahren wir die Geschichte und machen den Menschen Lust darauf.“ Grund genug für den 69-Jährigen, sich nicht zur Ruhe zu setzen, sondern von jetzt an Schulklassen, Kegelclubs und Kirchengemeinden aus ganz Deutschland durch die katholische Kirche und natürlich den Kirchturm zu führen.

Wie ist es eigentlich, wenn man als Türmer Pipi machen muss? Fragen, wie diese muss Krüger dann beantworten, und wer mit ihm auf den Turm steigt, seiner ruhigen, sonoren Stimme zuhört und das Schmunzeln in seinem Gesicht beobachtet, der weiß, da schafft jemand aus Überzeugung.

Ralf-Dieter Krüger weiß schließlich, wovon er spricht. Nach der Ausbildung zum Bankkaufmann hat er, der in Schönaich aufgewachsen ist, in Basel evangelische Theologie studiert. „Der christliche Glaube ist mir sehr viel wert“, erklärt er den Schritt. Später war er dann mehr als 20 Jahre lang Pfarrer in Bad Cannstatt, seit seinem Ruhestand nun lebt er in Weil der Stadt, weil hier zwei seiner drei Kinder schon zuvor eine Heimat gefunden hatten. Stadtführungen mit kirchlichem Schwerpunkt macht er schon länger, so kam auch der Kontakt zu dem bisherigen Türmer Willi Bothner zustande.

„Wir ergänzen uns ideal“, freut sich der bisherige, schon seit vier Jahren amtierende Türmer Willi Bothner. „Letztens hatten wir hier 60 Kinder von einer Schule, da konnten wir sie aufteilen.“

1534 ist der allererste Türmer historisch in Weil der Stadt nachgewiesen. Fast 400 Jahre später, 1927, ging mit August Lutz der letzte hauptamtliche Türmer in den Ruhestand. Sein Geist lebt jetzt gleich doppelt wieder auf – und wacht über die Stadt.