Zwei Wochen hat die Israelin Ruth Almog an Schulen im Kreis unterrichtet. Über den Holocaust sind deutsche Schüler gut informiert. Doch über das moderne Israel wissen die Jugendlichen so gut wie nichts. Ein Gegenbesuch folgt.

Leonberg - Über den Holocaust sind deutsche Schüler, vor allem die der Oberstufe, gut informiert. Doch über das moderne Israel wissen die Jugendlichen so gut wie nichts. „Manchen Schülern war gar nicht bewusst, dass es einen Staat Israel gibt“, sagt Ruth Almog. Ihre wohlvorbereiteten Unterrichtseinheiten über israelische Politik, Gesellschaft und Kunst ließ die Englischlehrerin aus Haifa deshalb zunächst in der Tasche und improvisierte. „Ich muss anknüpfen an die Lebenswelt der Jugendlichen hier.“

 

Zwei Wochen weilte die 58-Jährige, die in Haifa am renommierten Leo Baeck Education Center unterrichtet, an zwei Schulen im Kreis Böblingen: am Technischen Gymnasium des Leonberger Berufsschulzentrums und am Herrenberger Schickhardt-Gymnasium. Von Anfang an lag Almog mit ihrer Herrenberger Kollegin Danielle Zimmermann auf einer Wellenlänge. Obwohl die beiden verschiedenen Generationen angehören und sich nie zuvor getroffen hatten, „haben wir uns sofort verstanden, wir haben die gleiche Vorstellung von Pädagogik“, sagt Ruth Almog. Spontan entschieden sich die Pädagoginnen zu einem Kunstprojekt – Graffiti mit hebräischen Schriftzeichen. Nebenbei erzählte die Israelin den Schülern so einiges über ihr Land.

Disziplinierte deutsche Schüler

Sehr diszipliniert seien die Schüler in Deutschland, aber nicht sehr neugierig: „Sie haben mich als Fremde nur wenig gefragt“, sagt Ruth Almog. „Die waren schüchtern“, meint hingegen Danielle Zimmermann. Die Distanz zwischen Schülern und Lehrern in Deutschland empfand Almog größer als in Isreal. An ihrer Schule redeten die Jugendlichen die Pädagogen mit Vornamen an.

Am meisten erstaunt war die Israelin über das geringe politische Wissen deutscher Jugendlicher. „Unsere Schüler in Israel sind gut informiert über das, was auf der Welt so vor sich geht. Das ist für sie überlebenswichtig.“ Der Alltag deutscher Jugendlicher sei sehr sicher und geordnet im Gegensatz zu dem Gleichaltriger im Nahen Osten. Dies den Herrenberger und Leonberger Schülern zu vermitteln, war Ruth Almog besonders wichtig. „Daran waren sie auch sehr interessiert.“ Sehr verblüfft habe die Schüler die Information, dass alle jungen Frauen und Männer in Israel zu einem mehrjährigen Wehrdienst verpflichtet sind.

Erstmals gab es 1996 im Regierungsbezirk Stuttgart den deutsch-israelischen Lehreraustausch. Doch irgendwann schlief er ein. Renate Bagel vom Schulreferat des Regierungspräsidiums belebte ihn vor zwei Jahren wieder mit ihrem Mann Wolfgang Maresch, der am Leonberger Berufsschulzentrum unterrichtet. „Das ist ein ziemlich einmaliges Projekt“, sagt Renate Bagel.

In zwei Wochen fliegt eine Leonberger Kollegin nach Haifa

Seither hospitiert jährlich ein Pädagoge vom Leo-Baeck-Institut an der Leonberger Schule sowie einer weiteren im Kreis. Im Gegenzug fährt dann ein Kollege aus dem Kreis Böblingen an die Schule in Haifa. In zwei Wochen fliegt eine junge Kollegin von Wolfgang Maresch. Im nächsten Jahr dann will Danielle Zimmermann nach Haifa.

Unterstützt wird das Projekt von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Stuttgart, finanziert wird es vom Stuttgarter Lehrhaus. Die Stiftung für interreligiösen Dialog zahlt die Unterkunft der Lehrer, die Flugkosten tragen diese selbst.

Wie haben Familie und Bekannte auf Ruth Almogs Deutschlandreise reagiert? Bei dieser Frage wird die sonst so temperamentvolle Frau ganz still. Eine Weile ringt sie nach Worten, bevor sie ihre Geschichte erzählt. „Meine Eltern haben im Holocaust ihre gesamte Familie verloren. Das war für mich Deutschland.“ Der Schritt zum Austausch sei für sie nicht leicht gewesen, sagt Almog, die in der jüdischen Diaspora in den USA groß wurde und als Teenager nach Israel einwanderte. „Meine Eltern sind stolz, dass ich dieses Trauma überwunden habe. Sie könnten es nicht“, sagt Almog. Für ihre Kinder hingegen sei das kein Thema mehr. „Wie alle jungen Israelis lieben sie Berlin.“

Programm
Renate Bagel vom Schulreferat des Regierungspräsidiums, die das Programm koordiniert, möchte den deutsch-israelischen Lehreraustausch auf andere Schulen ausweiten. „Und zwar sowohl auf der deutschen als auch auf der israelischen Seite.“

Organisation
81 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gibt es in Deutschland. Das Lehreraustausch-Programm der Stuttgarter Gesellschaft ist bundesweit einmalig. Ihr Sprecher ist der Stuttgarter Bürgermeister Martin Schairer.

Finanzen
Etwa 3000 Euro kostet der jährliche Lehreraustausch. Die Kosten trägt das Stuttgarter Lehrhaus, Stiftung für interreligiösen Dialog. Dahinter stehen maßgeblich der Balinger Unternehmer Karl-Hermann Blickle und seine Frau Lisbeth.