Folgt die Kunst der Realität oder die Realität der Kunst? Eine provokante Theaterwerbung und ihre Hintergründe.

Leonberg - „Theater um (k)eine große Flüchtlingsunterkunft in Leonberg, in Ihrer unmittelbaren Nähe!“, steht auf vielen Plakaten, die derzeit im Stadtgebiet hängen und auf eine Veranstaltung am Donnerstag, 17. März, um 19.30 Uhr in der Stadthalle hinweisen. Dazu die Aufforderung: „Kommen Sie und informieren Sie sich, diskutieren Sie anschließend mit.“ Eine weitere Unterkunft für Flüchtlinge in der Stadt? Für viele Leonberger ein rotes Tuch.

 

Ein Grundstück am Rande der Gartenstadt: Zum Monatswechsel von Januar auf Februar lässt die Eigentümergemeinschaft die unbebaute Wiese von Gestrüpp und Unrat befreien und anschließend mähen. Grünpflege eben. Doch was sich daraus entspinnt, ist alles andere als gewöhnlich. „Noch am gleichen Abend rief ein Nachbar an und fragte, ob er das Grundstück kaufen könne, es sei ja jetzt Bauland“, berichtet Antje Binder-Stohrer. Doch das Grundstück sei weder zu verkaufen, noch Bauland. „Am nächsten Morgen rief eine andere Nachbarin an und fragte, ob es denn stimme, dass hier eine Flüchtlingsunterkunft gebaut werden solle“, berichtet sie weiter. Auch das stimme nicht. Doch die stille Post geht weiter. Die Anrufe und Besuche der Nachbarn häufen sich, der Ton wird rauer. Man habe eine Protestbewegung gegen die Flüchtlingsunterkunft ins Leben gerufen und werde beim Rathaus vorstellig. „Einer wollte sein neu bestelltes Auto wieder abbestellen, da es ja eh von den Flüchtlingen zerstört werden würde“, erzählt Binder-Stohrer.

Auch Nachbarn mit erkennbarem Migrationshintergrund seien gekommen. „Sie seien nicht nach Deutschland ausgewandert, um dann neben Ausländern zu wohnen, sagten sie.“ Man habe immer wieder beteuert und erklärt, dass keine Flüchtlingsunterkunft gebaut werde. „Stattdessen sprachen die Nachbarn von Irreführung und Verschleierung und machten das daran fest, dass die Grundstückspflege zwischen 7 und 10 Uhr stattgefunden habe, also so, dass die Nachbarn nichts davon mitbekämen“, sagt Antje Binder-Stohrer.

Vorstellig geworden sind besorgte Anwohner bei Karsten Enz. Er ist wie Binder-Stohrer Mitglied der privaten Theatergruppe Hermelin. Und schaut man sich die eingangs genannten Plakate genauer an, befindet sich oben in der Ecke ein Aufkleber: „Theater Hermelin präsentiert“.

Ist die ganze Geschichte also nur Theater, eine Inszenierung? Bei der Stadt ist die Antigone-Aufführung bereits vor Weihnachten angemeldet worden. Wurde das Gerücht gar bewusst gestreut und der Protest gezielt herbeigeführt, um die Menschen vorzuführen? „Es war geplant, ‚Antigone’ aufzuführen. Dafür haben wir auch schon vor der Grundstückssache Werbung gemacht“, berichtet die junge Regisseurin des Stücks, Laura Binder. „In dem Stück geht es um Menschlichkeit. Aber die Realität, was da passiert ist, das konnten wir nicht fassen und haben das Stück dahingehend erweitert“, ergänzt ihre Mutter, Antje Binder-Stohrer. Die Werbung wurde kurzerhand umgestaltet, „neutral“ wie sie sagt. Doch die Plakate erinnern in ihrer Optik eher an Aufrufe zu Bürgerversammlungen.

Die wütenden Anwohner in der Gartenstadt gibt es aber tatsächlich. „Es haben sich mehrere Anwohner bei uns oder Gemeinderäten gemeldet, waren auch in der Bürgersprechstunde des Oberbürgermeisters“, bestätigt Stadtsprecherin Undine Thiel. Tatsächlich unterliegt das betreffende Grundstück keinem Bebauungsplan, ist damit auch kein Bauland. Eine Flüchtlingsunterkunft sei an der Stelle weder von der Stadt noch vom Kreis geplant. Die Stadt sei auch nicht Veranstalter des Stücks. „Und es ist auch nicht das erste Mal, dass sich die Verwaltung mit Gerüchten befassen muss.“