Als Kind musste Siegfried Bassler mit seiner Familie vor dem Krieg in die Schleglerstadt fliehen. Im Heimatmuseum Flacht erzählt er davon.

Weissach - Eigentlich hätte Siegfried Bassler in Heimsheim von seinen Kindheitserinnerungen in den Kriegsjahren erzählen müssen. Denn er schilderte im Vortrag „Heimsheim im Zweiten Weltkrieg“ anschaulich die Menschen und das Leben in der Schleglerstadt in jener Zeit. Aber der Stuttgarter hatte einige Bilder aus seiner Familiengeschichte mitgebracht, die er zur Aufbewahrung dem Heimatmuseum in Flacht übergab, zumindest so lange, bis man es einmal entsprechend in Heimsheim unterbringen kann, wie er sagte. So kamen zu der Veranstaltung in Flacht auch zahlreiche Zuhörer aus Heimsheim, die oft, wenn der 85-Jährige Namen von früher erwähnte oder fragte, ob diese oder jene Person noch lebe, wissend nickten oder Auskunft gaben.

 

Die Leiterin des Flachter Heimatmuseums, Barbara Hornberger, kennt den rührigen Pfarrer im Ruhestand, langjährigen Stuttgarter Gemeinderat und Bezirksvorsteher von Stuttgart-Süd aus der gemeinsamen Arbeit in der dortigen Geschichtswerkstatt. Siegfried Bassler hatte neben einer umfangreichen Ahnentafel der Familie Mauch – der Heimsheimer Herkunftsfamilie seiner Mutter Friederike – auch einen alten Merian-Stich mit einer Ansicht der Stadt mitgebracht, zusätzlich Fotos seiner Großeltern und ein ganz besonderes Objekt: ein Haarbild. Diese Haare stammen von drei Kindern seiner Großeltern, Gottliebin (einer gebürtigen Krämer aus Malmsheim) und Karl Mauch aus Heimsheim, die alle innerhalb eines Jahres an unterschiedlichen Krankheiten gestorben sind. Aus den Haaren wurden die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen sowie der des Nachnamens geformt und diese in einen Rahmen gesetzt.

Ins Haus der Großeltern

Siegfried Bassler sprach vor allem über seine Zeit in Heimsheim während des Krieges, aber auch über die Geschichte seiner Familie. Zusammen mit seiner Mutter und der kleinen Schwester wurde er 1943 aus Stuttgart wegen der Bombenangriffe evakuiert und zog in das Haus der Großeltern in Heimsheim. Das Mauch’sche Haus stand mitten im Ort und war ein eindrucksvolles Fachwerkgebäude. Es fiel zusammen mit vielen anderen dem großen Brand nach dem Angriff am 18. April 1945 zum Opfer. Eineinhalb Jahre, bis zum Herbst 1944, sollte Siegfried dort leben. Er erinnert sich heute noch lebhaft an diese Zeit, an viele Details und viele Namen.

Seine Eltern seien keine Nazis gewesen, sagte Siegfried Bassler, vor allem nicht die Mutter, „die war viel zu fromm dazu“, fügte er hinzu. Der Bub besuchte in Heimsheim die Realschule, die ebenso wie die Grundschule im Graevenitz‘schen Schloss untergebracht war. „Fünf Klassen waren in einem Raum zusammengepfercht“, erinnert er sich. Und er weiß noch, wie der Stadtpfarrer Fausel, „der war immer etwas streng, hat aber beim großen Brand von Heimsheim viel geholfen“, zwischen zwei während des Religionsunterrichts schwätzende Buben eine Bibel geworfen hat mit den Worten: „Danke deinem Schöpfer, dass ich dich nicht erwürgt habe.“

Siegfried Bassler hat so viel zu erzählen über seine Zeit in Heimsheim, dass er von einer Geschichte zur nächsten springt. Ab dem Sommer 1944 seien viele feindliche Jagdbomber unterwegs gewesen, die nicht nur die nahe Autobahn beschossen haben, sondern sogar die Menschen auf dem Feld, wie er als Elfjähriger selbst erlebt habe. Aber es gab auch schöne Momente in dieser Kindheit. Besonders eindrucksvoll sei für ihn das abendliche Milchholen in der Molkerei am Mühlbach gewesen, selbst wenn er lange habe warten müssen, denn in der Schlange stand immer ein „süßes Mädchen“, das er aber nie anzusprechen wagte.

„Geld hat keinen Wert gehabt“

Der Bub hatte aber auch andere Erlebnisse, die offensichtlich bis heute nachwirken. So sei einmal ein Pritschenwagen mit KZ-Häftlingen, wohl aus Leonberg, vor dem Schloss vorgefahren. Die Häftlinge mussten Gegenstände in den Kasten bringen und wurden von den Aufsehern mit Stöcken geschlagen, wenn sie nicht schnell genug waren, erzählte Siegfried Bassler.

Und dann gibt es noch etwas anderes, das ihn bis heute ärgert: Einmal stand am Marktbrunnen ein Wagen mit Häftlingen, die um Brot baten, so Bassler. Er lief heim zur Mutter, die ihm ein Stück abschnitt, das er den Hungrigen zuwarf. „Auf der Freitreppe vom Gasthaus Zu den drei Königen stand die Wirtin und rief ihm zu ‚so etwas tut ein deutscher Junge nicht‘“, erzählte er. Im Heimatbuch von Heimsheim wurde jedoch aus der Wirtin eine „Nachbarin“, empört sich der Verfasser zahlreicher Bücher zur Lokalgeschichte heute noch über diese „Zensur“, wie er sagt.

Das Leben in den Kriegsjahren war selbst auf dem Land für viele schwer, besonders auch für die Flüchtlinge aus der Stadt. „Meine Mutter hat aus alten Kleidern Konfirmandenkleider für die Mädchen genäht und auch Trauerkleidung für die Witwen“, erinnert sich Siegfried Bassler. Als Honorar habe es Milch, Butter und Brot für die aus der Großstadt Evakuierten gegeben. Denn „Geld hat gar keinen Wert gehabt.“

Übrigens steht der Grabstein seiner 1915 verstorbenen Großmutter Gottliebin Mauch, von deren neun Kindern nur drei überlebten, noch heute auf dem Friedhof in Heimsheim. „Das freut mich natürlich“, sagt Siegfried Bassler, denn die Familientradition bedeutet ihm offensichtlich viel.