Wir sprechen mit Bürgermeistern über ihr ganz besonderes Amt. Was bedeutet es im 21. Jahrhundert Oberhaupt einer Kommune zu sein? Was bewegt einen Schultes? Diesmal: Dieter Hofmann aus Rutesheim.

Rutesheim - Das kommunalpolitische Feld ist bestellt und der Haushalt 2018 in trockenen Tüchern. Die Nachfolge ist mit der deutlichen Wahl von Susanne Widmaier geregelt. Der Rutesheimer Bürgermeister Dieter Hofmann kann am 31. März nach 16 Jahren im Rathaus beruhigt Abschied nehmen. Doch nach so viel Zeit lässt sich auch gut Bilanz ziehen, wie sich die Stadt und das Amt verändert haben.

 
Herr Hofmann, was hat Sie seinerzeit bewogen in Rutesheim zu kandidieren?
Ich war ja davor 24 Jahre im Landesdienst bei allen möglichen Ministerien. Das Thema Bürgermeister war zwar ab und zu im Kopf, aber nach so langer Zeit beim Land, als Beamter auf Lebenszeit, war es eigentlich für mich durch. Dann kam im Staatsanzeiger die Ausschreibung für das Amt des Ortsvorstehers in Höfingen. Über diesen Weg bin ich dann nach Rutesheim gegangen. Ich wäre mit Sicherheit nicht direkt vom Ministerium gekommen. Ohne Kommunalerfahrung wäre der Sprung zu groß gewesen – dieser Umweg war gut.
Was hat Sie an Rutesheim gereizt?
Wenn man in Höfingen Ortsvorsteher ist, kennt man Rutesheim vom Hörensagen und aus der Presse. Davor kannte ich Rutesheim gar nicht. Als Zuffenhausener war es für mich ein eher unschöner Ort mit der langen Durchfahrtsstraße, mit den nicht sanierten Häusern und großen Verkehrsproblemen. Aber von Höfingen aus hatte Rutesheim auch damals schon einen guten Ruf, und es wurde oft um vieles beneidet. Es war dann aber eine verdammt kurze Zeit vom 1. April 2001 bis zum 1. April 2002, dann bin ich gewechselt. Ich wäre in Höfingen gerne einige Jahre länger geblieben.
Was gab den letzten Anstoß?
Es ist Wolfgang Fürst gewesen, der ehemalige Höfinger SPD-Stadtrat und mein Stellvertreter als Ortsvorsteher. Er hat einfach gesagt: Machen Sie es!
Was macht das Amt des Bürgermeisters in Rutesheim zu einem besonderen?
Der Bürgermeister-Job ist nach wie vor interessant. Nein, es ist eigentlich kein Job. Es ist eine Berufung, wenn die Gemeinde stimmt. Das fängt schon am Umfeld an: Wie ist das Klima im Ort, wie ist es im Gemeinderat und vor allem wie steht es um die Finanzen? Und das passt hier alles. Wenn man nur Schulden zum Verwalten hat, ist das Leben nicht schön. Es würde mich nicht reizen, Bürgermeister dort zu sein, wo ich einen Berg Schulden habe. Denn dass meiste was es in dem Amt anzupacken gilt, ist nun mal leider mit Geld verbunden. Die Finanzen in Rutesheim waren früher schon gut, und sie sind heute noch besser.
Wie läuft es mit dem Gemeinderat?
Wenn der Gemeinderat mehr ein Debattier- und Streitklub ist, dann ist es schwierig. Das haben wir nicht, der ist sachlich und wenig parteipolitisch orientiert. Ich sage immer: Ich kann bei einer Klausurtagung jeden Stadtrat mit jedem im Doppelzimmer unterbringen, ohne dass sie sich in die Haare geraten.
Wie steht es um das Rathaus?
Wir sind ein gutes Team, denn einer allein kann gar nichts. Das ist zwar eine abgedroschene Floskel, aber es ist so. In der Amtsleiterrunde montags wird schon heiß diskutiert, aber nach außen treten wir geschlossen auf. Das gute Team hat mir den Einstand erleichtert, denn die Erfahrung aus der Landesverwaltung zählt im kommunalen Bereich nicht. Wenn man ankommt und gute Mitarbeiter hat, die viele, viele Jahre gut ihren Job machen, dann ist das das A und O. Wenn man die nicht hat, dann hat man von Anfang an ein Riesenproblem. Wir sind Teamplayer, arbeiten zusammen. Das macht Rutesheim aus.
Was macht ein Bürgermeister in Rutesheim?
(Hofmann lacht) Der steht natürlich auch morgens auf und geht abends ins Bett, wie jeder andere, und guckt, dass er gut über den Tag kommt. Das Gute an dem Beruf ist, wenn man ihn lange macht, dass er nicht planbar ist. Es gibt natürlich wiederkehrende Dinge und Termine. Aber das Salz in der Suppe ist, dass man morgens nicht weiß, was der Tag bringt. Anfangs habe ich einen Tagesplan aufgestellt. Das mache ich aber schon lange nicht mehr. Es kommt immer was dazwischen, Positives und Negatives. Das macht die Sache interessant.
Also ist es ein 24-Stunden-Amt?
Nein! Schlafen müssen wir alle. Aber eines ist klar, wenn du das Haus verlässt, bis du im Amt und das auch am Wochenende. Das ist eine Belastung, auch die Familie ist mit im Boot. Um Abstand zu bekommen, muss man sich Freiräume schaffen und im Urlaub raus aus dem Ort, sonst ist man immer im Dienst und kann nicht abschalten.
Wie geht Ihre Familie damit um?
Am Anfang war es schwierig, weil ich mein Versprechen gehalten habe, im Ort zu wohnen. Wir waren frisch in Schöckingen eingezogen. Meine Kinder waren alles andere als begeistert, da gab es viele Tränen abends. Meine Ehefrau hat mich immer unterstützt, sonst wäre ich nicht hier. Wenn die Familie, auch die Kinder, nicht mitzieht, kann man das Amt nicht machen.
Wie sieht es jetzt aus?
Die Kinder sind erwachsen und aus dem Haus. Wir haben hier gebaut und sind angekommen. Es wäre ja doof, nachdem ich hier alles getan habe, damit man sich wohl fühlt, nun wegzuziehen. Dass die Familie hinter dem Amt steht, ihre Interessen hinten anstellt und umzugsbereit sein muss, ist auch ein Hauptgrund, warum die Zahl qualifizierter Bewerber auf das Bürgermeisteramt immer kleiner wird und Spaßkandidaten und Chaoten überhandnehmen. Ebenso muss es die Familie ertragen, dass sie unter Beobachtung steht. So ist es meinen Kinder ergangen.
Haben Sie das Amt mit heim genommen?
Ja, klar. Die erste Zeit, wenn ich nach Hause gekommen bin, haben mir meine Kinder öfter gesagt, insbesondere meine Tochter, die fünf war: „Papa, hier bist du nicht der Chef“. Das Amt prägt dich, aber zum Glück können einen Kinder wieder ganz schön erden. Mein Problem ist, dass ich nicht gelernt hatte, abzuschalten. Früher, wenn ich aus dem Ministerium zur S-Bahn gelaufen bin, war das Geschäft aus dem Kopf. Das Abschalten muss ich jetzt wieder lernen.
Was haben Sie gerne getan und was nicht?
Es gibt auch hier schöne und weniger schöne Tage. Zum Schönsten gehören Kontakte zu den Bürgern und den Gemeinderäten. Was ich nicht mag, sind wiederkehrende Dinge. So sind 15 Weihnachtsfeiern in 16 Jahren dann auch nicht mehr prickelnd. Das Schlimmste sind lange Veranstaltungen mit unzähligen Grußworten, wo sich dann alles im Kreis dreht.
Was ein Bürgermeister macht, ist jetzt klar, aber was macht sein Stellvertreter?
Martin Killinger? Na, der macht im Grunde alles fast ähnlich wie ich, der könnte quasi meinen Job auch machen. Als Fachmann mit jahrzehntelanger Erfahrung ist er mit allen Problemen vertraut, mit vielen noch mehr als ich. Er weiß, wo die Akte mit Stichwort A oder B oder C liegt. Er hat ein unheimliches Fachwissen und er ist sehr fleißig – das ist der Vorteil, wenn man so gute Mitarbeiter hat.
Was hat sich in den zwei Amtszeiten zum Guten verändert?
Stolz bin ich darauf, dass das Klima im Ort und die Zusammenarbeit im Gemeinderat, mit den Kirchen, den Vereinen besser geworden ist. Daran muss man ständig arbeiten und dafür etwas tun. Jeder Bürger ist irgendwo ehrenamtlich engagiert. Das Miteinander muss stimmen, sonst kann man auf die Dauer nicht erfolgreich schaffen.
Und zum weniger guten?
Das Amt wird schwieriger. Der Beruf hat sich massiv verändert und nicht hin zum Einfachen. Die Bürger werden kritischer, anspruchsvoller, es gibt viele Besserwisser, und dabei könnten wir schon noch ein paar Bessermacher gebrauchen. Da ist die ständige Erreichbarkeit. Wer früher etwas vom Bürgermeister wollte, hat es sich dann gründlich überlegt, ob er ihm das schreibt. Normal war es, dass nach vier Wochen eine Antwort kam. Heute bekomme ich E-Mails um Mitternacht, und es wird erwartet, dass am nächsten Tag die Antwort parat ist. Es gibt Kommunen, da sitzt man in dem Amt auf dem Schleudersitz, und nach acht Jahren ist man weg von Fenster. Angesichts immer schwierigerer Vorschriften wird das Amt auch nicht attraktiver.
Ist Rutesheim eine gemähte Wiese ?
Das könnte man leicht sagen, aber diese Hypothek will ich meiner Nachfolgerin nicht hinterlassen. Es wäre ungerecht, weil eine Stadt nie fertig ist und Rutesheim schon gleich zweimal nicht. Es gibt immer neue Projekte, auch solche von denen man heute noch gar nichts weiß. Mich hat es anfangs belastet, dass es im Ort nichts mehr zu tun geben sollte, weil man als Neuer das gar nicht beurteilen kann, ob das auch stimmt. Da kommst du und willst Bäume ausreißen, und dann soll es keine mehr geben. Das war natürlich grottenfalsch, weil damals der Baum wegen der Nordumfahrung gebrannt hat. Zudem gab es keinen einzigen Lebenmittelanbieter im Ort. Die Höchststrafe für die Rutsheimer war, dass sie nach Flacht zum Supermarkt mussten.
Welches waren herausragende Momente?
Eine Umgehungsstraße einweihen zu dürfen, ist nicht jedem Bürgermeister gegönnt. Ich durfte das mit der Nordumfahrung und der Umfahrung Perouse sogar zweimal tun. Aber, keine Frage, die Stadterhebung 2008 war ein besonderes Jahr, das bis heute nachwirkt. Und nicht zu vergessen die 1250 Jahre urkundliche Erwähnung des Ortes.
Gab es auch Niederlagen?
Wir haben nicht alles hingekriegt, was wir machen wollten. Wir haben auch Fehler gemacht, ich habe auch Fehler gemacht. Aber wer kann schon das Gegenteil von sich behaupten? Aber im Großen und Ganzen ist mehr gelungen, als daneben gegangen. Hinterher ist man oft schlauer, aber das Positive überwiegt.
Wie sieht die Zukunft aus?
Das Leben geht weiter. Ich habe das Amt mit großer Freude und mit Engagement ausgeübt. Aber ich freue mich schon auf die Zeit danach. Weitere komplette acht Jahre hätte ich mir nicht zugetraut. Aber halbe Sachen wollte ich nicht machen. Ich habe so viele Angebote, dass ich noch weniger Zeit hätte als jetzt, würde ich sie alle annehmen. Niemand muss um meine Zukunft bangen.

Das Gespräch führte Arnold Einholz

Zur Person: Dieter Hofmann
wurde am 26. August 1958 in Stuttgart geboren, ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Nach dem Abitur 1977 folgte die Ausbildung im gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst sowie das Studium an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Stuttgart. Von 1983 bis 2000 hat er verschiedene Ämter im Ministerium für Kultus und Sport, im Staatsministerium sowie im Innenministerium bekleidet, bevor er zum Ortsvorsteher von Höfingen gewählt wurde. Seit 1. April 2002 ist Dieter Hofmann der Bürgermeister der Stadt Rutesheim. Am 31. März endet sein Amt.