Wie tief das Zerwürfnis war, zeigte sich Ende Mai, als der Landrat eine Liste mit Personen anforderte, die in ihre frühere Heimat, an den Ort, wo sie am 1. September 1939 gewohnt haben, „rückevakuiert“ werden sollten. Darauf standen auch Friedrich Kärcher und die Familie seines Sohnes Alfred, denn sie hatten als „Ausgebombte“ aus Hamburg 1943 in Rutesheim eine Bleibe gefunden, wo Friedrich Kärcher 1880 geboren worden war. Als Tischlergeselle hatte er seine Frau Frieda 1907 in Hamburg geheiratet. Hier hatte er bis 1943 als Schiffszimmerer auf einer Werft gearbeitet. Sohn Alfred hatte am Berliner Konservatorium Musikwissenschaft und Kompositionslehre studiert. Der Chormeister half beim Neuanfang der SKV-Sängerabteilung und war im Herbst 1945 ihr Dirigent.

 

Landrat und Militärgouverneur schalten sich ein

Die Kärchers wandten sich ans Rathaus, um bleiben zu dürfen. Der Gemeinderat lehnte ab. Im Protokoll stand: „Die Abordnung soll dahingehend wirken, dass die beiden Familien Kärcher unbedingt in aller Kürze Rutesheim verlassen müssen.“ Auch der Leonberger Landrat schaltete sich ein und bescheinigte ihm gemeinsam mit dem US-Militärgouverneur, dass er unter Einsatz seines Lebens wesentlich dazu beigetragen hat, dass Rutesheim beim Einmarsch der Franzosen unversehrt blieb. Als Bürgermeister sei er stets bestrebt gewesen, das Wohl der Gemeinde wahrzunehmen und die ihm gestellten Aufgagen zu erfüllen. Auch ein zweiter Antrag auf Bleibe wurde vom Gemeinderat in geheimer Abstimmung mehrheitlich abgelehnt.

Kurt Schaible setzt sich ein

Als Bürgermeister wurde der Gemeindepfleger Ludwig Krämer eingesetzt. Im Dezember 1947 wurde ein neuer Gemeinderat gewählt – Krämer trat zum Jahresende zurück. Der legendäre, 1948 mit 26 Jahren gewählte Bürgermeister Kurt Schaible, der im gleichen Lehrerhaus in der Hindenburgstraße wohnte, wie die Familie von Alfred Kärcher, setzte sich ein, dass die Kärchers im Ort bleiben durften. Doch die Wunden saßen zu tief. Im Jahr 1952 sind sie nach Hamburg zurückgekehrt, wo Rutesheims erster Nachkriegs-Bürgermeister am 25. August 1955 verstarb.