Ein Pärchen lebt mit seinen zwei Katzen in einer Obdachlosenunterkunft in Ditzingen. Was bisher kein Problem darstellte, wird nun zu einem. Die Bewohner verstehen die Welt nicht mehr, die Stadt bleibt bei ihrer Position.

Ditzingen - Martina Michels und Michael Lehnau hatten, so schien es, ihr kleines Glück gefunden. Das Paar hatte sich wieder zusammen gerauft und lebte auf derselben Etage einer städtischen Obdachlosenunterkunft in Ditzingen. Zwei Katzen gaben den beiden das Gefühl akzeptiert und auch gebraucht zu werden. Das ging fünf Jahre so, an der Situation in der Unterkunft änderte sich nichts – bis es einen Personalwechsel in der Stadtverwaltung gab und im Haus selbst umstrukturiert werden sollte.

 

„Von heute auf morgen bekommt mein Freund einen Brief von der Stadt. Er soll einen Stock hochziehen“, erzählt Michels, die ebenso wie ihr Freund in Wirklichkeit anders heißt. Außerdem sei ihnen klar gemacht worden, dass sie die Katzen abgeben müssten. Die Katzen, so hieß es nun, seien nie erlaubt worden. In der Dreizimmerwohnung sollte eine Frauen-WG entstehen, weshalb der Mann umzuziehen habe. Für die 35-Jährige und ihren Freund brach eine kleine Welt zusammen.

Eine Fehlentscheidung mit Folgen

Die Stadt widerspricht der Darstellung nicht, begründet aber ihr Vorgehen. „Im Haus sind keine Katzen zulässig“, sagt Bürgermeister Ulrich Bahmer (CDU). „Es war ein konziliantes Entgegenkommen der Verwaltung, dass die Tiere geduldet wurden.“ Dies sei „aus einer persönlichen Zuneigung zu Tieren“ geschehen. „Das war ein Fehler“, fügt Bahmer an. „Wir leiden jetzt alle darunter.“

Die ehemals Haus-Verantwortliche in der Stadtverwaltung hatte die Tiere geduldet, ihre Nachfolgerin pocht nun anlässlich der anstehenden Veränderung im Gebäude auf die Umsetzung der Regelung. Die mit der Umstrukturierung einhergehenden Trennung des Paares wird ebenso begründet: „Es gibt keine Geschlechtermischung in der Obdachlosenunterkunft“, sagt Ulrich Bahmer über die Regelung in den beiden einfachen Gebäuden nahe der Ortsmitte. Männer und Frauen seien getrennt unterzubringen.

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Rund 60 Plätze für Obdachlose stehen laut der Stadt in Ditzingen zur Verfügung, die Zahl ist laut der Stadt konstant. Nicht alle Plätze sind belegt, die Kommune arbeitet laut Bahmer mit einem Puffer von rund zehn Prozent, um schnell reagieren zu können. Ein Zimmer sei zudem immer für den Fall eines Platzverweises reserviert.

Bewohnerin ist verärgert über „Machtspielchen“

Martina Michels ist verärgert. Sie spricht von „Machtspielchen“: „Die Dame macht das nur, weil sie meinen Freund nicht leiden kann. Deswegen so unsozial zu sein, ist nicht in Ordnung.“ Bürgermeister Ulrich Bahmer gibt zu, dass die Situation des Paares schwierig sei. Die Entscheidung sei allerdings „unter Rücksichtnahme auf die Gesamtsituation“ getroffen worden. Dazu zähle auch, dass Michael Lehnau in dem neuen Raum die Möglichkeit habe, Persönliches wie etwa Medikamente abzuschließen. In der Frauen-Wohngemeinschaft wiederum entstünde geschützter Raum für eine Schwangere, die ebenfalls auf der Etage lebe. Michels lässt das nicht gelten: „Es sind genügend andere Wohnungen in dem Haus frei.“

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Sie selbst wäre längst gerne in eine Mietwohnung gezogen. „In einer Obdachlosenunterkunft hat man keine Rechte“ sagt sie. Aber auf dem freien Wohnungsmarkt habe sie keine Chancen, weiß die gelernte Hotelfachfrau. Ihre Gesundheit hindert sie daran, in ihrem Beruf zu arbeiten, sie arbeitet stundenweise im Einzelhandel. So lange sie in der Unterkunft lebt, wäre sie schon froh, wenn mal die Wände gestrichen würden, sagt sie.

Man wolle keinen Luxus, sagt der Bürgermeister

Kommunen sind verpflichtet, die unfreiwillige Obdachlosigkeit zu verhindern. Diese liegt nach dem Gesetz unter anderem dann vor, „wenn der Betroffene nicht über eine Unterkunft verfügt, die Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet, Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt, den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft genügt“. Wie eine solche Unterkunft ausgestattet sein muss, darüber wird der Ditzinger Gemeinderat bald auf Anregung der Freien Wähler diskutieren.

„Wir wollen keinen Luxus, der zum Verweilen einlädt“, sagt Bürgermeister Bahmer. Die Unterkunft sei immer eine vorübergehende Bleibe zur Vermeidung der Obdachlosigkeit von Ditzinger Bürgern. „Wir sind auch kein Auffangbecken für Stuttgarter“, stellt er klar und verweist auf Hausverbote, welche die Stadt schon ausgesprochen habe – dann nämlich, wenn Obdachlose in Stuttgart vertrieben worden seien und entlang der S-Bahn dort ausstiegen, wo Bekannte lebten.

In Stuttgart treffen sich Wohnsitzlose im Schlossgarten

In der Landeshauptstadt treffen die Wohnsitzlosen laut einer Stuttgarter Rathaussprecherin nicht nur in den Schlossgartenanlagen zusammen, sondern auch in den Außenbezirken. „Ob für die bekannten Plätze in der Vergangenheit Platzverweise gegenüber einer Person ohne festen Wohnsitz ausgestellt wurde, können wir nicht sagen. Das Amt für öffentliche Ordnung erfasst lediglich die Gesamtanzahl der Platzverweise – ungeachtet dessen, ob es sich um einen Menschen mit oder ohne festen Wohnsitz handelt“, teilt die Stadt mit. Wohin Menschen alternativ gehen, könne nicht pauschal beantwortet werden, heißt es weiter.

Menschen ohne festen Wohnsitz können in Stuttgart ganzjährig die Zentrale Notübernachtung in der Hauptstätter Straße aufsuchen, welchee 42 Schlafplätze hat. Insgesamt verfügt Stuttgart über drei Einrichtungen; betrieben von der Evangelischen Gesellschaft in Kooperation mit der Caritas.

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