Für viele selbstverständlich, für andere schwer zu meistern: Nicht alle Wege durch Heimsheim sind für Menschen mit körperlichen Einschränkungen gemacht. Eine Arbeitsgruppe des örtlichen Seniorenrats setzt sich für Verbesserung ein.

Heimsheim - Wie ist es, sich mit dem Rollstuhl durch Heimsheim zu bewegen? Wie meistert ein gehörloser Mensch die Herausforderung, sicher über einen Zebrastreifen an einer viel befahrenen Straße zu gelangen? Welche Hürden müssen Mütter mit Kinderwagen bewältigen, wenn die Bordsteinkanten zu hoch sind?

 

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Barrierefreiheit ist ein Thema, das ganz schnell für jeden wichtig werden kann. Der Heimsheimer Stadtseniorenrat (SSR) hat sich zum Ziel gesetzt, für mehr Barrierefreiheit in der Schleglerstadt zu sorgen. Dafür hat sich im März 2019 eine Arbeitsgruppe gebildet, die seitdem mit offeneren Augen durch die Stadt geht.

Viele Stolpersteine für Menschen mit Behinderung

„Wo es hakt, merkt man oft erst, wenn man selbst betroffen ist“, weiß Margot Ritz, erster Vorstand des SSR. Die 74-Jährige weiß nach einer Hüftoperation genau, wovon sie spricht, viele Wege sind mit einer körperlichen Einschränkung nicht mehr so einfach zu bewältigen. Professionelle Unterstützung bekommen die Heimsheimer und der Arbeitskreis Barrierefrei durch den Berater Alexander Lang, der nach einem Unfall selbst seit 20 Jahren im Rollstuhl sitzt. Den Kontakt hat Bürgermeister Jürgen Troll vermittelt.

„Alexander Lang hat uns für unsere erste Begehung eine Checkliste gegeben. Mit der sind wir erst mal eine Strecke abgelaufen. Die Türbreiten öffentlicher Gebäude, Breite und Zustand der Gehwege, Sicherheitsabstände zu Radwegen – auf solche Dinge haben wir geachtet. Dabei ist uns bewusst geworden, wie viele Stolpersteine es im Alltag für Menschen mit Behinderung gibt“, erzählt die Heimsheimerin. „Dann sind wir dieselbe Strecke noch einmal mit Herrn Lang abgelaufen und waren erschrocken, wie viel wir trotz Checkliste übersehen haben.“

„Es ist ein mulmiges Gefühl“

Pandemiebedingt hat sich die Arbeitsgruppe im vergangenen Jahr nur online treffen können. Doch Alexander Lang hat unter der Prämisse „Sensibilisierung für Menschen mit Höreinschränkungen“ den Impuls für ein nächstes Projekt gegeben: eine Begehung der Hausener Straße in Richtung Leonberger Straße, eine stark befahrene Strecke von rund einem Kilometer. Ein Video der Begehung wurde an die Gruppe verschickt. Die hat sich das angeschaut, einmal mit und einmal ohne Ton. „Es ist ein ziemlich mulmiges Gefühl, wenn man nicht hören kann, ob ein Auto kommt oder ein Radfahrer vorbeizischt.“ Unbehagen schleicht sich in Margot Ritz‘ Stimme. „Da muss man wirklich mehrmals nach rechts und links schauen, bevor man sich auf den Zebrastreifen traut.“

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Doch mit dem Video können Menschen mit gesunden Ohren zumindest kurz nachvollziehen, wie es sich gehörlos lebt. Das gibt neue Einblicke und schafft Verständnis für die Situation von Menschen mit Behinderung, zumal die Sinne und die Beweglichkeit im Alter oft nachlassen. Und ein Unglück mit körperlichen Folgeschäden kann jeden jederzeit treffen.

Nächstes Projekt: Die Friedhofstoilette

Sobald es die Situation zulässt, wird die Begehung aktiv nachgeholt, in Begleitung des Bürgermeisters oder eines anderen Vertreters der Stadt. „Die Stadt unterstützt uns sehr, auch unser Bauhofleiter Achim Gompper hat uns schon begleitet“, erzählt Margot Ritz. Dabei werden die Kritikpunkte des SSR aufgenommen, und bei anstehenden Baumaßnahmen werden die Verbesserungen nach Möglichkeit gleich mit umgesetzt. Wie die Absenkung der Bürgersteige in Höhe des Einkaufszentrums in der Mönsheimer Straße, Parkplätze für Menschen mit Einschränkungen oder die Optimierung und Anpassungen an und in Gebäuden.

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Die Arbeit der Projektgruppe des Stadtseniorenrats zeigt also Wirkung. „Das nächste Projekt neben der Begehung in der Hausener Straße ist die Umgestaltung der Toiletten am Friedhof“, berichtet Margot Ritz, „der wird erweitert und umgebaut. In diesem Zug sollen die beiden vorhandenen Toiletten durch eine behindertengerechte Unisex-Toilette ersetzt werden“, auch das ist eine Anregung der engagierten Senioren.

Es gibt mehr zu tun als Kaffeetrinken

Der Heimsheimer Stadtseniorenrat führt derzeit rund 50 Mitglieder. Diese setzen sich in verschiedenen Projekten dafür ein, ihre Stadt für alle lebens- und liebenswerter zu gestalten. „Wir suchen immer Mitstreiter.“ Die Mitarbeit, findet Margot Ritz, ist bei einzelnen Projekten auch überschaubar. „Frisch in Rente und fit, die Kinder groß, Urlaub geht ja momentan auch nicht so richtig – warum also nicht mal beim SSR vorbeischauen? Vielleicht steht ja gerade ein Projekt an, bei dem man sich einbringen kann. Wir überlegen zum Beispiel, ein ‚Seniorenblättle‘ auf die Beine zu stellen, und langfristig wollen wir eine inklusive Stadt sein“, plaudert die Seniorin aus dem Nähkästchen. Margot Ritz selbst hat nach ihrem Eintritt in den Ruhestand gemerkt, „dass man als Altbürger in einer Stadt mehr tun kann als Kaffeetrinken am Seniorennachmittag“. Zum Beispiel: Mitsprechen bei der Umgestaltung der Stadt.