Ob in Asien, Afrika oder Amerika: Die Walters liefern seit 40 Jahren Loks, Züge und Schienen im Kleinformat in die entlegensten Ecken des Globus.

Leonberg - Für die aktuelle Lieferung wählt Reinhold Braun ein extra großes Paket: „Da müssen Langschienen rein, da reichen die normalen Maße nicht.“ Braun kümmert sich um den Versand bei der Firma Walter Eisenbahnen. Zu tun hat er von morgens bis abends: Rund 40 Pakete verlassen täglich das Betriebsgelände im Gewerbegebiet Leo West. Die XXL-Lieferung geht nach Norddeutschland. Aber zuvor hatte Braun schon ein Paket für einen Empfänger in Spanien zurechtgemacht. „Wir haben pro Tag rund zehn Auslandssendungen“, berichtet er.

 

Und die gehen längst nicht nur in europäische Länder. „Wir haben Kunden auf der ganzen Welt“, sagt Hans-Willi Walter. In Südamerika zum Beispiel. „Die Argentinier sind regelrecht eisenbahnverrückt“, meint der Seniorchef, der gemeinsam mit seinem Sohn Till den Modellbahnhandel führt. Fans von Lokomotiven, Waggons und Schienen sitzen aber auch in Asien und Afrika. „Man glaubt gar nicht, wo überall mit Modellbahnen gespielt wird.“ Wobei gespielt das falsche Wort ist. Die Kunden der Walters machen aus der Welt der kleinen Bahnen zumeist eine Wissenschaft. „Vor knapp 100 Jahren, als der Modellbahnbau erstmals richtig populär war, wurden die Einzelstücke Pi mal Daumen gebaut“, erklärt der Chef, der als Schüler mit dem Handel von Loks begonnen hatte. „Heute ist alles millimetergenau maßstabgerecht.“

Prachtstück ist der Leipziger Hauptbahnhof

Bei den Walters, deren Geschäft genau 40 Jahre besteht, gibt es alles: Die 100 Jahre alten Spielzeugloks genau wie die Hightech-Nachbildungen heutiger Zeit. Der Schauraum im dreistöckigen Firmengebäude zwischen Kran-Scholpp und weiten Feldern mutet wie ein Spielzeugmuseum an: Es gibt nicht nur Züge aller Art und Größe. Auch klassisches Zubehör, etwa ein Schalter für Bahnsteigkarten, die mechanischen Zuganzeige-Tafeln, im Fachjargon „Hampelmänner“ genannt, Gepäckwagen oder ganze Bahnhofshallen sind hier zu sehen. Paradestück ist ein Nachbau des Leipziger Hauptbahnhofs.

Wer nun meint, er könnte mal eben schnell bei den Walters in Leo-West vorbeischauen, der irrt. Das Eisenbahn-Wunderland im Gewerbegebiet ist kein Geschäft im herkömmlichen Sinne. Eben weil es im Gewerbegebiet liegt, darf dort kein klassischer Handel wie in einem Spielwarengeschäft in der Innenstadt erfolgen.

Kein Geschäft im klassischen Sinne

„Das war auch eine Grundvoraussetzung, dass der Gemeinderat unserem Umzug nach Leo-West überhaupt zugestimmt hat“, berichtet Hans-Willi Walter. Die Grundstücke sind heiß begehrt. Und der Einzelhandel soll zur Stärkung der Innenstadt beitragen. Das ist in Leonberg nicht anders als in allen anderen Städten.

Im elterlichen Keller fängt alles an

Der Umzug in das neue Gebäude zwischen der Autobahn und dem Stadtrand ist der vorläufige Höhepunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung. Schon als 18-Jähriger beginnt Hans-Willi Walter im Keller seines Elternhauses in Stuttgart-Rohr mit dem Verkauf von Eisenbahnen. Seinen Geschäftssinn beweist er auch darin, dass er bei VfB-Heimspielen vor dem Stadion Bier verkauft. Als Student professionalisiert er seinen Handel durch den Versand kopierter Verkaufslisten, nimmt an einer Eisenbahnbörse in Wuppertal teil und initiiert im Cannstatter Kursaal den ersten Stuttgarter Eisenbahnmarkt.

1983 zieht Walter nach Leonberg und baut noch während seines Studiums den Versandhandel aus. Mit der Schreibmaschine tippt er seine Verkaufslisten und schickt sie an rund 50 Sammler in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Seine Bestände sind ruckzuck ausverkauft. Um an neue Ware zu kommen, knüpft er weitere Kontakte zu Eisenbahnliebhabern in ganz Europa. Walters Netz umspannt zwar mittlerweile die ganze Welt, aber die Herausforderungen der Anfangszeit bleiben: „Der Einkauf ist der zentrale Punkt“, sagt Hans-Willi Walter. „Die Kunst ist es, die Ware zu besorgen.“

Kataloge sind eine Bibel für Sammler

1988 bezieht „Hans-Willi Walter – Spielzeug-Raritäten“, wie das Unternehmen damals noch hieß, Geschäftsräume am Leonberger Marktplatz, die im Laufe der Jahre kontinuierlich erweitert werden. „Walters Sammler-Katalog“ und später „Hans-Willi Walters Highlights“ sind längst zu einer Art Bibel für internationale Modeleisenbahnfreude geworden.

Der Sohn Till steigt ein

Schon damals bedient er sich unorthodoxer wie genialer Marketingmethoden: Die Vorworte in den Katalogen lässt er von seinen drei Kindern schreiben. „Was spielerisch begann, erwies sich bald als strategisch kluger Schachzug“, erinnert sich der Chef. „Denn die Ehefrauen, die dem Hobby ihres Mannes oft reserviert gegenüberstanden, waren plötzlich die ersten, die die Highlights lesen wollten.“ Einer der sehr jungen Autoren war der Sohn Till. Er wächst in einer Welt der Eisenbahnen auf. Das prägt ihn so nachhaltig, dass er als 26-Jähriger im Jahr 2016 fest ins Unternehmen eintritt. Da hat sein Vater schon längst eine Außenstelle in Warmbronn eröffnet, nachdem es am Marktplatz immer enger wurde.

Kulisse für den Bienzle-Tatort

Der Spielzeug-Händler aus Leonberg ist auch zu einem medial gefragten Gesprächspartner geworden. Im Bayerischen Rundfunk gibt er seinen Expertisen in der Sendung „Kunst und Krempel“ ab, einem Vorläufermodell von „Bares für Rares“. Für eine Kulisse im Stuttgarter Tatort „Bienzle und der tiefe Sturz“ stellt er seine Modelle zur Verfügung. Dabei bekommt Walter einen Einblick in das harte Filmgeschäft: „Dietz- Werner Steck, der Bienzle, hatte seinen Text nicht richtig gelernt“, erinnert sich Walter an die Dreharbeiten. „Der Regisseur ist regelrecht ausgeflippt.“

Doch nicht nur beim Fernsehen erleben Hans-Willi und Till Walter so manche skurrile Szene. Das passiert auch, wenn sie bei Haushaltsauflösungen nach Ware fahnden. Selbst in Schlafzimmern sind Märklin-Loks auf H0-Spuren unterm Bett unterwegs. Um seine Bahn durch die ganze Wohnung fahren zu lassen, hatte ein Mann ein Loch in eine Zimmerwand geschlagen – als Tunnel sozusagen. In einem Villenviertel wurden sie beim Abtransport einer teuren Anlage für Einbrecher gehalten, auf der schwäbischen Alb mussten Vater und Sohn eine Messi-Wohnung entrümpeln, um zur Modellbahn vorzudringen. „Wir kaufen alles, was mit Eisenbahn zu tun hat“, sagt der Seniorchef.

Und das kostet Platz. Kein Wunder, dass sich die Walters 2018 um ein Grundstück im neuen Gewerbegebiet Leo-West beworben hatten. Für den Gemeinderat, der über die Vergabe der heiß begehrten Flächen zu bestimmen hatte, ein eher ungewöhnlicher Antragsteller. Normalerweise lassen sich hier finanzkräftige Großunternehmen mit internationalem Radius nieder.

„Die Stadträte konnten sich kaum vorstellen, dass man mit Eisenbahn Geld verdienen kann, und das noch in der ganzen Welt“, erinnert sich Hans-Willi Walter an die Vorbehalte in der entscheidenden Sitzung. Die Vorlage der Gewerbesteuerzahlungen der vergangenen fünf Jahre und die Fürsprache des städtischen Wirtschaftsförderers Benjamin Schweizer waren nötig, um die Zustimmung der Kommunalpolitiker zu erlangen.

Kein Gleisanschluss in Leo West

Die politische Weichenstellung reichte indes nicht aus, um die Bedenken im Genehmigungsverfahren auszuräumen. Da in Leo West kein Gleisanschluss geplant sei, so monierte das Bauordnungsamt, sei der Handel mit Eisenbahnen dort nicht möglich. „Erst nach unserem Hinweis, das sich der Handel mit Eisenbahnen auf die Maßstäbe 1:220 bis 1:32 konzentriere, wurde dem Antrag stattgegeben“, erinnert sich Walter mit einem Lächeln. Dann ging alles schnell: In nur sechs Monaten war die neue Drehscheibe für internationalen Modellbahnhandel fertig.

Krimi-Zeit zwischen Gleisen

Jetzt lagern mehr als 2500 Einzelteile im Untergeschoss am Längenbühl. Statt in gedruckten Katalogen werden die Raritäten online vermarktet. Und dass das neue Domizil nicht nur als Eisenbahn-Tempel taugt, war im Herbst zu erleben. Im Rahmen der „Stuttgarter Kriminächte“ stellte die Autorin Tatjana Kruse zwischen Lokomotiven, Signalen und Waggons ihren neuen Roman „Schwund“ vor. Das Publikum war begeistert. Und wer weiß: Vielleicht eignet sich die Firma auch als Kulisse für einen Krimi? Mord zwischen Gleisen – oder so. Hans-Willi und Tim Walter hätten bestimmt nichts dagegen, ihre Eisenbahnwelt kurzfristig zu einem Studio umzufunktionieren.