Anscheinend denken viele Menschen, dass Obst und Nüsse von Streuobstwiesen einfach mitgenommen werden dürfen. Doch das ist Diebstahl.

Diebstähle auf Streuobstwiesen sind seit Jahren ein Problem. Es sind nicht nur die „Spaziergänger“, die die eine oder andere Tasche mit Früchten einsammeln, sondern vor allem die Zeitgenossen, die ganz organisiert und gezielt anrücken und ganze Bäume leerpflücken. So manchem Pächter hat das inzwischen so die Lust verdorben, dass er resigniert die Flinte ins Korn geworfen hat.

 

„Es ist schon das zweite Jahr in Folge, dass unsere Birnen im Patengrundstück in den Heumaden von Fremden abgeerntet wurden“, sagt Albert Kaspari, der Vorsitzende des Obst-, Garten- und Weinbauvereins Eltingen Leonberg. Wie viele andere auch betreut er zusätzlich zum eigenen Garten auf dem städtischen Grundstück seit vielen Jahren Obstbäume.

Das Problem ist kaum in den Griff zu bekommen

„Leider ist das ein Problem, das sich so gut wie nicht in Griff bekommen lässt, da muss schon der Zufall mitspielen“, weiß Kaspari. Ein Vereinsmitglied habe kürzlich von einer solchen Dreistigkeit berichtet. Als der Mann zu seinem Walnussbaum im Heumaden ging, habe er dort eine Frau angetroffen, die fleißig Nüsse einsammelte. Auf die Frage, was sie da mache, habe sie geantwortet, sie sammle Nüsse auf „ihrem“ Grundstück. Als der Besitzer ihr drohte, die Polizei zu rufen, sei sie geflüchtet.

Ähnlich ergangen sei es zwei Vereinsmitgliedern, die ein Grundstück in Eltingen bewirtschaften. „Der Verein hat hier einen Sommerschnittkurs veranstaltet und alles war in Ordnung. Am nächsten Tag mussten die Pächter feststellen, dass der Großteil des Obstes verschwunden war“, schildert der Vereinsvorsitzende.

Wer saften will, holt die Äpfel oft erst, wenn sie am Boden liegen

„In jüngster Zeit haben sich zwei Bürger aus Leonberg an die Stadt gewandt, weil auf ihrem Grundstück Obst oder Nüsse gestohlen wurden“, sagt der Stadtsprecher Sebastian Küster. Manfred Nuber spricht ebenfalls von zahlreichen Diebstählen. „Das ist schon seit Jahren ein Ärgernis“, sagt der Obstbauberater des Landratsamts in Böblingen. Nicht nur wegen solcher Leute, die kistenweise Obst mitnehmen. Manch ein Sammler mag denken, auf ein, zwei Äpfel komme es nicht an, „aber wenn das 100 Leute denken und jeweils einen Apfel mitnehmen, ist ein Baum auch bald leer“, sagt Nuber

Es gebe zwar mitunter Grundstücke, auf denen tatsächlich Obst am Boden vergammle. Aber das sei nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, denn: „Wer saften oder mosten will, holt die Äpfel oft erst, wenn sie am Boden liegen“, sagt Nuber. „Auch für das Schnapsbrennen sollte das Obst so reif sein, dass es von alleine vom Baum fällt.“

Diebstähle fallen jetzt eher auf

Befeuern die Inflation und die gestiegenen Lebensmittelpreise die Diebstähle? Laut Nuber lässt sich das schwer abschätzen. Er vermutet aber, dass wahrscheinlich Stücklebesitzer diesen Herbst mehr eigenes Obst ernten wollen und deswegen öfter auf ihren Wiesen seien. „Dann bemerken sie die Diebstähle auch eher“, so der Obstbauberater.

Auch, wenn Grundstücke nicht eingezäunt sind, weil das im freien Feld in der Regel gar nicht zulässig ist, ist das Ernten und Auflesen dort nur mit der Erlaubnis der Eigentümer erlaubt. Ansonsten gilt auch hier: Wer sich an fremdem Eigentum vergreift, begeht einen Diebstahl. Zwar gibt es im Strafgesetzbuch den Tatbestand Mundraub seit 1975 nicht mehr, aber das Entwenden von Lebensmitteln fällt unter Paragraf 242 des Strafgesetzbuchs und erfüllt den Straftatbestand des Diebstahls. Und dieser kann mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.

Walnüsse sind das Objekt der Begierde

In Leonberg sind seit Jahrzehnten auch Walnüsse das Objekt der Begierde. An den Straßen zwischen der Kernstadt und Gebersheim, aber auch in Höfingen an der Straße nach Ditzingen, sind häufig ganze Familienverbände angerückt, um der begehrten Nüsse habhaft zu werden.

Anfang der 1990er Jahre wurden zwischen Leonberg und Gebersheim mehr als 190 junge Nussbäume gepflanzt. Die Baumpflege hat mittlerweile die Stadt Leonberg übernommen. Diese versucht seit Jahren, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Denn einige Pflücker beschädigen mit Stangen und Wurfgeschossen die Kronen, andere haben sogar mit dicken Vorschlaghämmern gegen die Stämme geschlagen. Deshalb ist man vor zehn Jahren dazu übergegangen im Herbst Plakate an den Bäumen anzubringen, dass jeder höchstens ein Kilogramm Nüsse – etwa 100 Stück – und nur vom Boden sammeln darf.

Ernten an markierten Bäumen ist erlaubt

Obst geerntet werden darf hingegen dort, wo die Baumstämme mit gelb-orange-gestreiften Bändern gekennzeichnet sind, im Rahmen der „Ernte-Bendl“-Aktion des Landkreises Böblingen können diese Bäume kostenlos abgeerntet werden. Die Bänder bewertet Nuber als „gute Zwischenlösung“. Sie seien sinnvoll, weil dadurch weniger Lebensmittel verkämen. Die Bänder würden aber nur zögerlich angenommen von Streuobstwiesenbesitzern. Das bestätigt auch Debora Widmaier, die Leiterin des Ordnungsamtes in Rutesheim. „Wir haben sie angeboten, aber niemand hat sich gemeldet“, sagt sie. Allerdings sind bei ihr in diesem Jahr auch keine Beschwerden wegen Obstklaus eingegangen.

Auch die kostenlose Streuobstwiesenbörse (www.streuobstwiesen-boerse.de) werde nicht so gut genutzt, wie sich Nuber das wünschen würde. „Auch hier haben wir im Kreis Böblingen deutlich mehr Menschen, die Obstbäume zum Ernten suchen, als Menschen, die ihre Obstbäume anbieten.“ Die beste Lösung, so Nuber, sei, wenn sich Pächter für die Wiesen fänden, die die Besitzer nicht bewirtschaften wollen. Das wäre ein nachhaltiges Engagement zur Erhaltung der Kulturlandschaft. „Und die Pacht kostet oft nur Kleinbeträge von zehn, 20 Euro im Jahr“, so Nuber.

Streuobstwiesen im Landkreis Böblingen

Obstbäume
Laut Obstbauberater Nuber stehen im Kreis Böblingen zwischen 200 000 und 250 000 Bäume auf Streuobstwiesen. In den 1960er Jahren waren es noch 550 000 Bäume. „Die Kurve geht steil nach unten“, sagt Nuber.

Verlust
Ein Grund für den Verlust ist unter anderem die Überbauung, also dass die Streuobstwiesen Bauprojekten weichen müssen. Aber auch mangelnder Pflege fallen Bäume zum Opfer. Der Streuobstbaumbestand sei überaltert. Abgestorbene Bäume würden nicht ersetzt oder die Neupflanzungen nicht genügend umsorgt. „In den ersten zehn Jahren braucht ein Baum viel Pflege“, sagt Nuber.

Förderung
Im Landkreis gibt es einige Anreize für Streuobstwiesenbesitzer, sich mehr um ihre Stückle zu kümmern. So werden zum Beispiel Nachpflanzprämien angeboten, Schnittkurse und Apfelsaftprojekte.

Ernte-Bendl
Streuobstwiesenbesitzer oder -bewirtschafter, die ihre Bäume nicht selbst abernten können oder möchten, erhalten die „Ernte-Bendl“ in den Rathäusern oder bei der Fachberatungsstelle des Landratsamts: Helmut Ohngemach, Telefon 0 70 31 / 6 63 23 81 oder E-Mail an h.ohngemach@lrabb.de.