Nachbarn wollen die kleine aber feine Bühne im Untergeschoss des Leo 2000 herausklagen. Doch der Chef will bis zum Bundesgerichtshof gehen.

Leonberg - Ob international erprobte Routiniers wie Werner Acker und Peter Lehel oder Nachwuchstalente wie Daniel Weiß und Lisa Wilhelm: Sie alle fühlen sich bei „Fidi“ wohl. Und deshalb sind viele Musiker im kleinen, aber feinen Leonberger Jazzclub zu Gast, die sonst auf den Bühnen dieser Welt stehen oder in den Bands der ganz Großen mitmachen. Denn wenn Frithjof Gänger bittet, können die meisten schlecht nein sagen.

 

Im Lauf von fünf Jahren hat Gänger, selbst professioneller Saxofonspieler, eine Kultureinrichtung geschaffen, die in der Region, sieht man mal vom Bix in Stuttgart ab, in dieser Form wohl einmalig ist. Und entsprechend kommen längst nicht nur Musikfreunde aus der Leonberger Ecke in den unteren Bereich des Leo 2000-Hochhauses in der Eltinger Straße, wo der Jazzclub seit drei Jahren beheimatet ist.

Räume zweckentfremdet?

Doch ob das auch in Zukunft so bleibt, liegt in den Händen der Justiz. Ein Nachbarpaar will die kleine Kulturstätte, in der schon in Zeiten jenseits der Pandemie allenfalls 100 Gäste Platz finden und jetzt maximal 50 hineindürfen, raus haben. Das Ehepaar ist gegen die Einrichtung juristisch vorgegangen.

Begründung: In der 45 Jahre alten Teilungserklärung, eine Art Zweckbestimmung für das Grundbuchamt, wurden die Räume, in denen heute der Jazzclub eine kleine Bühne hat, als „Laden“ und „Lager“ bezeichnet. Damit, so die Argumentation des Nachbarpaares, würden die Räume zweckentfremdet.

Früher eine Tanzschule

Frithjof Gänger kann diese Argumentation nicht nachvollziehen. Schließlich war im betreffenden Untergeschoss des Hochhauses nie ein Lager, sondern zuvor von Anfang an eine Tanzschule. Und der akustische Jazz, der hier vielleicht zweimal im Monat dargeboten wird, sei von der Lautstärke her mit Sicherheit keine Lärmbelästigung.

Das sahen auch fast alle der 68 Eigentümer des Hochhauses gegenüber der Römergalerie so. In einer Versammlung vor knapp zwei Jahren stimmten nahezu alle der Nutzung der einstigen Tanzschule als Spielstätte für den Jazzclub zu – nur eben besagtes Ehepaar nicht.

Juristischer Erfolg in Leonberg

Das wollte sich mit dem eindeutigen Votum der Eigentümergemeinschaft nicht abfinden und zog vors Leonberger Amtsgericht. Doch das wies im November 2020 deren Klage ab. Richter Thomas Krüger ging in seiner Urteilsbegründung auf die Teilungserklärung ein. In der sei festgelegt, dass die Einheit „nicht zu Wohnzwecken“ genutzt werden dürfe. Darüber hinaus sei geregelt, dass jeder Eigentümer berechtigt sei, „sein Sondereigentum nach Belieben zu nutzen“. Das Gericht verwies zudem auf den Beschluss der Eigentümerversammlung, dass die Räume der früheren Tanzschule „für den Betrieb eines Jazzclubs genutzt werden könne“.

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Nicht nur bei den Machern und den Gästen des Jazzclubs war die Erleichterung groß. Mittlerweile hatte das städtische Kulturamt erkannt, welch großer Werbeträger die kleine Bühne für Leonberg ist. Auch namhafte heimische Unternehmen wie die Kreissparkasse oder die Klavierfabrik Pfeiffer fördern den Jazzclub. Beim Altstadtfest im vergangenen Sommer organisierte Gänger mehrere Bands für Auftritte rund um den Marktplatz.

Jahrelange Odyssee

Doch die Freude war von kurzer Dauer. Das klagende Paar legte Berufung beim nächsthöheren Landgericht in Stuttgart ein – und bekam dort Recht. Im Gegensatz zu den Kollegen in Leonberg erkannten die Stuttgarter Richter im Urteil vom Dezember 2021, dass durch die in der Teilungserklärung verwendete Formulierung Laden und Lager, „weitgehend ganz konkrete Nutzungen“ genannt werden. „Mit der Differenzierung wurde ein entsprechender verbindlicher Regelungswillen deutlich zu erkennen gegeben“, heißt es in der Urteilsbegründung. Die übergeordnete Kammer kassierte das Urteil des Leonberger Gerichts.

Frithjof Gänger, der nach einer jahrelangen Odyssee endlich im Leo 2000 einen festen Standort gefunden zu haben glaubte und die Clubräume auf eigene Kosten gekauft hat, versteht die Welt nicht mehr: „Hier im Haus hat es schon so unterschiedliche Nutzungen gegeben“, sagt der Saxofonist und Videokünstler. „Da könnte man ja jeden rausklagen.“

Erhebliche Auswirkungen für viele

Und hier sieht Andreas Soergel, der Anwalt Gängers, einen Ansatzpunkt, die Auseinandersetzung doch noch im Sinne seines Mandanten zu drehen. Zwar hat das Stuttgarter Landgericht keine Revision zugelassen. Doch dagegen sucht er jetzt eine Entscheidung in der höchsten Instanz: beim Bundesgerichtshof.

Denn: „Die meisten der Einheiten im Leo 2000 werden entgegen der Bezeichnung Laden/Lager genutzt“, argumentiert der Jurist, der eine Kanzlei in Stuttgart betreibt. Würde also für die Räume des Jazzclubs die Nutzbestimmung „Laden/Lager“ durchgesetzt, so sagt Soergel, hätte dies „für eine große Anzahl an Eigentümern erhebliche Auswirkungen“.

Der Gang vor den Bundesgerichtshof

Doch die Konsequenzen für andere Betriebe im Leo 2000, wo der Wohnbereich erst im sechsten Stock beginnt, sind in den Augen des Anwalts längst nicht alles: „Es gibt eine ganze Latte an Problempunkten“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Unter anderem der Widerspruch zwischen Bauplanung und Teilungserklärung. So habe der Bauträger seinerzeit im Unteren Bereich des Leo 2000 sogar eine Disco geplant, die es dann auch später gab.

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„Aus unserer Sicht ist eine Revision zuzulassen, weil die jetzige Lage der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs widerspricht“, gibt sich Andreas Soergel optimistisch. „Die Entscheidung hat Bedeutung für die komplette Gemeinschaft.“ Ob das der Rechtsbeistand der klagenden Familie anders sieht, war nicht in Erfahrung zu bringen. „Bei der derzeitigen Sach- und Rechtslage halten wir es für vollkommen unangebracht, eine Stellungnahme abzugeben“, erklärt der Leonberger Rechtsanwalt Friedrich Oberfranke auf Anfrage schriftlich.

Gänger gibt nicht auf

Bis klar ist, ob der Fall ans oberste Gericht geht, will Frithjof Gänger erst einmal weitermachen. Jüngst wurde der international renommierte Saxofonist Klaus Graf frenetisch gefeiert. Am Fasnetssamstag, 26. Februar, kommt die in der Region sehr populäre Schlagzeugerin Iris Oettinger mit ihrer Swingband in den Jazzclub.

Club-Chef Gänger hofft, dass das nicht das letzte Konzert auf seiner Bühne sein wird: „Im allerschlimmsten Fall hätten wir keine Spielstätte mehr für viele Musiker, gerade aus dem Nachwuchsbereich. Und ich hätte ein dunkles Ladenlager mit einem wahnsinnigen Wertverlust.“