Mit intensiv interpretierten Gedichten und Balladen zieht Ben Becker bei Leonpalooza das Publikum von Anfang an in seinen Bann.

Leonberg - Ob er sich auf diesem Bürgerplatz denn wohlfühlen werde? Diese Frage hatte Ben Becker umgetrieben, als er im Vorfeld seines Leonberger Gastspiels mit unserer Zeitung telefoniert hatte. Hernach darf festgestellt werden: Es hat ihm gefallen. Sehr sogar. Der eigenwillige Charakterschauspieler zeigte sich bei seinem Auftritt beim Festival Leonpalooza gut aufgelegt.

 

Das ist nicht zwangsläufig so. In Ludwigsburg etwa war Becker vor vier Jahren mit einem Pressefotografen handfest aneinandergeraten, von dessen Kameraklicken er sich gestört gefühlt hatte.

Das Klappern von Gläsern stört

Damit sich solche unschönen Vorfälle, die seinerzeit bundesweit Schlagzeilen gemacht hatten, nicht wiederholen, hatte der Leonberger Festivalchef Nils Strassburg vorgesorgt. Aufnahmen aller Art waren verboten. Der Fotograf unserer Zeitung durfte nur vom hinteren Bereich des Platzes aus auf den Auslöser drücken. Selbst der Gastrostand wurde während des Auftritts geschlossen. Denn auch Klappern von Gläsern oder Tellern stört den Meister.

Man mag diese Einschränkungen für überzogen halten. Doch wer sich auf die Darbietungen des 56-Jährigen und seines Pianisten Yoyo Röhm einlässt, der möchte, ehrlich gesagt, auch keine störenden Nebengeräusche hören. Zu intensiv sind Beckers Mimik, Gestik, vor allem aber seine unglaubliche Stimme. Er spielt mehrere Rollen gleichzeitig, wechselt übergangslos vom tiefen drohenden Bass in schrillen Höhen.

Der Star in der Aufwärmphase

Beim Erlkönig etwa. Ben Becker, der an einem kleinen Lesepult sitzt, ist der verführerische Böse, der im Fieberwahn liegende Junge und der panisch angstvolle Vater in einem. Das Publikum ist vom ersten Moment an fasziniert, der Star auf der Bühne aber noch in der Aufwärmphase. „Ein Flugzeug nimmt ja auch langsam an Tempo zu“, kündigt Becker mehr Intensität an und verhehlt nicht sein Lampenfieber nach der langen coronabedingten Bühnenabstinenz: „Ich wusste gar nicht, ob ich das noch kann.“

Er kann es noch. Und erklärt, warum er sich Werke aus der Gedichtsammlung „Der Ewige Brunnen“ ausgesucht hat. Im Bremer Hause seines Ziehvaters, dem bekannten Schauspieler Otto Sander, trafen sich an Weihnachten stets Künstler aller Genres, um gemeinsam zu musizieren und zu lesen. Aus dem „Ewigen Brunnen“ eben.

Nicht nur Faust II

Ben Becker geht es um die Vielschichtigkeit der Dichter. „Es heißt immer: Das ist Goethe, da kann man nicht lachen. Aber auch Goethe kann ja nicht nur Faust II schreiben.“ Zum Beleg seiner These bringt er den „Zauberlehrling“ und setzt sich einen spitzen Hut auf, der sonst bei Halloween-Parties üblich ist. Dass der deutsche Dichter schlechthin den übermütigen Lehrling eine Wanne füllen lässt, ist für Becker ein Beleg für die leichte Seite Goethes: „Warum ausgerechnet eine Badewanne? Er hätte ihn ja auch eine Wand streichen lassen können. Goethe war vorher bestimmt im Weinkeller.“

Als es dunkel wird, ist der Mime auf der Bühne in Betriebstemperatur: „Ich sehe die ganze Freaks nicht mehr, jetzt kriege ich Lust.“ Er singt, tanzt, geht in die Knie und erinnert mit tränenerstickter Stimme an seinen Ziehvater: „Papa Otto hat mir alles beigebracht, von ihm habe ich alles gelernt.“

Reverenz ans Publikum

Zum Beispiel bei den Weihnachtsfesten im Zeichen des „Ewigen Brunnens.“ So will er auch seine Auftritte verstanden wissen: „Sie sind bei mir eingeladen“, sagt er dem Publikum. „Ich mache, was ich will.“ Und das macht er auch. Er erinnert an die „Blutstropfen von Ulrike Meinhof auf dem Beton von Stammheim“. Er rezitiert die Loreley von Heinrich Heine. „Der war schon ein Kommunist als es diesen Begriff noch gar nicht gab.“

Emotionaler Höhepunkt ist „Sag mir, wo die Blumen sind“. Eine spontane Reverenz ans Leonberger Publikum. Geplant war das Anti-Kriegs-Lied nicht. Becker ist also rundum zufrieden. „Nur die Polizei hab ich vermisst“, erinnert er selbstironisch an den Ärger vor vier Jahren in Ludwigsburg.