Susanne Teichert ist Sozialarbeiterin an der Heinrich-Steinhöwel-Schule und an der Peter-Härtling-Schule. Die Coronapandemie ist eine große Herausforderung, erzählt die 41-Jährige.

Weil der Stadt - Ihre Markenzeichen sind die bequeme Zimmermannshose aus schwarzem Cord und – natürlich – ihre roten Dreadlocks. Die Strähnen verfilzter Haare hat die 41-Jährige locker zu einem Pferdeschwanz gebunden. Durch ihre äußere Erscheinung und ihre offene Art hat sie sich eine gewisse Jugendlichkeit bewahrt. Die Schülerinnen und Schüler rufen Susanne Teichert meistens nur „Sue“.

 

Seit Oktober 2019 arbeitet sie mit einer Hundert-Prozent-Stelle als Jugendsozialarbeiterin in Weil der Stadts Heinrich-Steinhöwel-Gemeinschaftsschule und der angrenzenden Peter-Härtling-Schule. Wie sich ihre Arbeit in „gewohnten“ Zeiten gestalten würde, weiß die Quereinsteigerin, die erst mit 37 Jahren ihr Studium der Sozialpädagogik begonnen hatte, gar nicht. „Coronabedingt habe ich noch keinen normalen Schulalltag erlebt“, sagt Susanne Teichert.

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Die Ausnahmesituation, die schon mehr als ein Jahr dauert, hatte es vor allem zu Beginn in sich. Ab dem 17. März 2020 waren die Schulen im ersten Lockdown zu. „Im ersten Moment fragten sich alle, was jetzt passiert“, erinnert sich die Sozialarbeiterin, die in dieser Situation zu hundert Prozent weiter arbeiten konnte.

Der Kontakt hält vor allem übers Internet

„Wir wollten nicht, dass unsere Sozialpädagogen in Kurzarbeit gehen müssen, denn wir haben eine Fürsorgepflicht und wir haben geschaut, wo sie jetzt besonders gebraucht wurden“, sagt Susanne Künschner vom Verein für Jugendhilfe, dem Träger der Schulsozialarbeit in Weil der Stadt. Künschner ist die Bereichsleiterin im nordwestlichen Landkreis und Ansprechpartnerin, nicht nur, wenn’s brennt.

Fast wöchentlich änderten sich die Corona-Verordnungen des Landes Baden-Württemberg. „Wir mussten und müssen noch immer flexibel sein, haben uns im Team beraten und die Lage sondiert“, erinnert sich Susanne Teichert, die im ersten Schritt den Schülern ihre Telefonnummer zukommen ließ. Viele Familien seien zunächst in Schockstarre gefallen. „Unser Medium, mit den Schülern in Kontakt zu treten, war das Netz. Vereinzelt habe ich auch Schüler getroffen, so weit das möglich war.“ Über den geschützten Zugang der Schul-Homepage schrieb sie den Schülern. „Manche klagten, ihnen sei so langweilig und sie wüssten nicht, was sie tun sollten.“

Wer Hilfe sucht, bekommt sie auch noch spät abends

Susanne Teichert gab ihnen Tipps zur Freizeitgestaltung, forderte sie auf, ihr davon Fotos zu schicken. „So habe ich auch denjenigen die Tür geöffnet, die sich vielleicht nicht getraut hätten, mit mir in Kontakt zu treten.“ Manche Familien seien mit der Situation überfordert gewesen. „Ich weiß von Schülern, die zu Hause – nicht nur in Coronazeiten – psychische oder körperliche Gewalt erfahren. Es sind keine harten Fälle, doch man weiß sicherlich nicht alles. Denn Kinder trauen sich oft nicht, es zu erzählen, wenn was nicht in Ordnung ist, weil sie sich vielleicht auch für ihre Situation schämen.“

Die Arbeit der Sozialpädagogen baut auf Beziehungen. „Wir waren jederzeit ansprechbar, wer Hilfe suchte, bekam auch abends Viertel nach zehn eine Antwort“, sagt Teichert. Auch das Thema „Angst, in die Schule zu gehen“ begleite sie immer wieder. „Das hat unterschiedliche Ursachen und hat nicht immer mit Corona oder Mobbing zu tun.“

Es gibt Kinder und Jugendliche, die unter familiären Veränderungen leiden. Scheidung, Arbeitslosigkeit, lebensbedrohliche Krankheiten von Angehörigen. „Es kann sein, dass ein Kind die kranke Mutter pflegt und Angst hat, dass die Mutter nicht mehr da ist, wenn es von der Schule kommt.“ Manche Kinder müssen auf die kleineren Geschwister aufpassen, weil die Eltern arbeiten. Konkrete Fälle an ihrer Schule will Susanne Teichert keinesfalls nennen. „Weil der Stadt ist so klein, da ist die Gefahr groß, dass man das Kind erkennt.“

Vom Café zurück auf die Schulbank

Susanne Teichert, die mit ihrem Mann – der an der selben Schule Fachlehrer für Musik und Technik ist – in Hausen wohnt, könnte sich keinen besseren Job vorstellen. „Jeder Tag ist anders, jeder Tag bringt eine neue Herausforderung.“ Nach dem Abitur ging sie zunächst einen ganz anderen Weg, machte die Ausbildung zur Hotelfachfrau.

Danach führte sie in Heidenheim ein eigenes Café mit selbst gebackenen Kuchen und allem drum und dran. Abends wandelten sich die Räumlichkeiten in eine Kneipe mit jüngerem Publikum. „Es war toll, doch irgendwann habe ich mich gefragt, ob ich mit 50 immer noch hinter der Theke stehen will.“ Sie verneinte dies, verkaufte ihr Café und studierte an der Dualen Hochschule insgesamt drei Jahre Sozialpädagogik bis zu ihrem abschließenden Bachelor. Drei Monate Hochschule, drei Monate Praxis im Wechsel. Die Praxis absolvierte Teichert beim Landratsamt Calw im Asylbewerbersozialdienst.

Als nach ihrem Studium die Stelle in Weil der Stadt frei wurde, zögerte sie keine Sekunde, sich zu bewerben. Gleich zu Beginn des Schuljahres bot sie für die fünften Klassen wie gewohnt das Sozialkompetenztraining an, knüpfte die ersten wichtigen Kontakte zu den Kindern.

Die Kinder haben wieder Lust, in die Schule zu kommen

Dann kam Corona. Bei ihrer Arbeit steht sie in engem Kontakt mit ihren beiden Kollegen. Ute Bayer ist für die Schulsozialarbeit an der Realschule verantwortlich, Christian Hofer an der Würmtalschule Merklingen. Hinzu kommen drei Fachkräfte, die sich um die Koordination kümmern sowie zwei Bundesfreiwilligendienstleistende. Gemeinsame Kooperationsprojekte wie „Fun for Girls“, das Tischkicker-Turnier, ein Fußball- und Völkerballturnier oder der Weltmädchentag mussten 2020 alle abgesagt werden.

Nach den Erfahrungen im vergangenen Jahr habe sich im zweiten Lockdown einiges getan. „Der Unterricht ist spannender und abwechslungsreicher, die Familien haben zu Hause technisch nachgerüstet“, sagt Susanne Teichert. Was nach wie vor fehle, seien die sozialen Kontakte. „Das Regulativ der Gruppe, das so wichtig für die Entwicklung der Kinder ist, gibt es derzeit nicht.“ Und aus vielen Gesprächen weiß sie: „Fast alle haben wieder Lust, in die Schule zu kommen. Das kann man doch als positiven Aspekt mitnehmen.“