Der Künstler Michael Lange hat sich mit seiner Familie in der Leonberger Bahnhofstraße sein Lebensraum geschaffen.

Leonberg - Auf den ersten Blick ist es ein eher unscheinbares Haus in der Bahnhofstraße, eingebettet zwischen dem Layher-Areal und der Altstadt. Autos und Busse brausen lautstark und abgasintensiv vorbei. Von der Baustelle nebenan zieht eine dicke Staubwolke herbei und nebelt alles ein. Hinter dem Gebäude ragen die vorwiegend in weiß gehaltenen, neuen, modernen Wohnblöcke empor. Auf dem Areal türmt sich ein Riesenberg aus Erde und Bauschutt – die Überbleibsel des ehemaligen Hochhauses der Leonberger Bausparkasse.

 

Die Gläser klirren im Regal

„Wir haben zwölf Jahre nur Dreck und Lärm gehabt, jetzt halten wir auch noch durch und freuen uns dann, wenn wir mitten in der Stadt im Grünen leben“, sagt der Künstler Michael Lange, der mit seiner Frau Heidi und den beiden Kindern vor 18 Jahren in das ehemalige Gärtnerei-Gebäude gezogen ist. Vor gut vier Jahren wurde auch noch die Bahnhofstraße aufgerissen, um neue Leitungen und Rohre zu verlegt. „Wir hatten einen Bauzaun vor dem Haus und einen Schuttberg hinter dem Haus, waren komplett isoliert“, sagt 65-Jährige.

Hinzu kam der ohrenbetäubende Lärm. Bis zu 128 Dezibel wurden gemessen, fast so, als würden Kampfflugzeuge über einen hinweg fliegen. Die Schmerzgrenze für die Ohren liegt bei 120 Dezibel. Bei den Langers klirrten die Gläser im Regal und flogen zu Boden. Irgendwann habe er aufgehört, sich zu ärgern. Er freundete sich mit den Bauarbeitern an, daraus sei ein Geben und Nehmen entstanden. „Ich stelle ihnen Wasser zur Verfügung, ich bekomme von ihnen Material oder Maschinen für meine Kunst.“

Früher war das ein Ladengeschäft

Auf den zweiten Blick ist es ein kleines Idyll, welches sich Michael Lange mit seiner Frau Heidi erschaffen haben. Bis Mitte der 1980er Jahre hatte dort die Gärtnerei Dilger ihr Ladengeschäft, siedelte dann nach Gebersheim über. Das Gebäude vermietete die Familie den Langes, die Zeit und Geld investierten, um das untere Stockwerk in eine Wohnung und das obere, mit Zugang von der Straße her, in ein Atelier zu verwandeln.

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Michael Lange in seinem Atelier. Foto: Simon Granville
Seine Besucher empfängt der Künstler, der unter anderem das S21-Kunstwerk auf dem Golfplatz geschaffen hat, im Atelier. Eine Kombination aus Galerie und Museum. Langers Arbeiten zieren die Wände. Im Raum verteilt sind Mitbringsel aus Ländern, die er bereiste. „Art Déco ist mein Lieblingsstil“, sagt Lange und zeigt seine Schätze. Die grüne Couch an der Wand hat er letztes Jahr aus Emden mitgebracht. Zusammen mit dem Strandkorb, der draußen auf der kleinen Terrasse steht.

Die Musikbox ist aus den 1960er Jahren, die Sitzgruppe mit dem Tisch stammt aus der Wiener Werkstätte, einer Gemeinschaft von Künstlern und Kunsthandwerkern, die 1903 ins Leben gerufen wurde. Die große Standuhr haben die Langes leider noch nicht zum Laufen gebracht. „Diese auszurichten ist Millimeterarbeit.“ Nebenan ist die Werkstatt. Dazwischen führt eine Treppe hinunter in die privaten Räume. Licht spendet hier ein 70 Kilogramm schwerer Leuchter aus Messing.

Gäste sind immer willkommen

Die Tür zum Atelier steht, wenn Langer dort arbeitet, immer offen. „Ich bin kommunikativ und freue mich über Gäste, die auch spontan vorbeischauen.“ So wie im Moment die italienischen Arbeiter, die nebenan auf dem Neubau beschäftigt sind. Sie dürfen ihre Vesperpause auf der Terrasse verbringen. Den Kaffee gibt es aus der edlen italienischen Maschine. „Wir lieben Italien, haben dort schon viele Urlaube verbracht.“ Zu entdecken gibt es auch um das Haus herum einiges.

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Auch hier dominiert das Unperfekte. „Das, was wir so lieben, wenn wir in den Süden fahren, doch wenn man versucht, das hier zu kopieren, will man das nicht“, sagt Langer, dem Kritiker vorwerfen, er sei nicht ordentlich genug. Doch er mag es, wenn Pflanzen an der Fassade oder aus Lücken des gepflasterten Bodens wachsen. Wenn der Putz abblättert. Das „Nichtfertige“. Hier eine 40 Jahre alte, selbst gezüchtete Palme, da zwei schützende Mirabellenbäume. Die Gartenmöbel baute Lange selbst aus Abfall-Material von der Baustelle.

Alles neu und steril

Ach ja, die Baustelle. Der Berg vor der Terrasse würde die Langes mittlerweile gar nicht mehr stören. „Aber nur, wenn er schön grün wäre, so wie jetzt nach dem vielen Regen. Dann hätten wir unsere Ruhe“, sagt er und lacht. Am Rande der Terrasse tanzt das Wasser im Springbrunnen. „In Leonberg gibt es fast keine alten Häuser mehr mit Charme. Alles wird neu und steril gebaut“, kritisiert Michael Lange.