Nicht eingeplante fünf Millionen Euro werden vom Gemeinderat direkt wieder ausgegeben. Die Stadträte beschließen den Etat 2022 seit vielen Jahren erstmals einstimmig.

Leonberg - Kleinvieh, so heißt es, macht auch Mist. Betrachtet man den Haushalt der Stadt Leonberg für das kommende Jahr, so sind es tatsächlich etliche vermeintlich kleinere Einzelposten, die sich am Ende angesichts ihrer Menge zu dem doch recht beträchtlichen Betrag von mehr als fünf Millionen Euro summieren.

 

Denn 153 Wünsche hatten die Mitglieder des Gemeinderates der Stadtverwaltung in Form von sogenannten Änderungsanträgen unter den Weihnachtsbaum gelegt. Einen Gutteil davon haben sich Stadträte per mehrheitlicher Abstimmung selbst erfüllt.

Weniger Kreisumlage

Dass die 5,3 Millionen Euro den ohnehin schmalbrüstigen Etat der Großen Kreisstadt mit einem Gesamtvolumen von rund 220 Millionen Euro nicht noch mehr belasten, liegt an günstigen Umständen: Die jetzt rund 29 Millionen Euro schwere Kreisumlage, jene Zwangsabgabe der Kommunen ans Landratsamt, fällt um rund 1,3 Millionen Euro geringer als geplant aus.

Zudem gibt es mehr Erträge aus der Einkommensteuer und den Zuweisungen des Landes. Unter dem Strich ist es ziemlich genau jener Betrag, den die Stadt nun an anderer Stelle wieder ausgibt.

Ausgaben-Vorbild Christian Lindner

Eigentlich, so hatten Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD) und die Finanzbürgermeisterin Josefa Schmid (FDP) bei der Präsentation des Haushaltsentwurfs vor zwei Monaten verkündet, sollten ungeplante Verbesserungen zur Schuldentilgung verwandt werden. Doch die Stadträte orientierten sich mehr am neuen Bundesfinanzminister Christian Lindner, der 60 Milliarden Euro für bereits genehmigte aber nicht genutzte Corona-Kredite kurzerhand in den Energie- und Klimafonds des Bundes transferierte.

Lieferdienst mit Lastenfahrrad wird geprüft

In Leonberg geht es naturgemäß um deutlich weniger Geld; aber wie erwähnt, es summiert sich. So hat der Gemeinderat die von der Verwaltung verfügte pauschale Kürzung von 15 Prozent in allen Bereichen bei den Schulen wieder gekippt, immerhin fast 93 000 Euro. Die KZ-Gedenkstätte bekommt eine neue Toilette für 25 000 Euro. Ein neuer Ablauf für den verschlammten Warmbronner See ist mit 40 000 Euro veranschlagt.

Ebenso gibt es für die Stadtreinigung weitere 10 000 Euro. Und auch die Überprüfung, ob ein Lieferdienst per Lastenfahrrad funktionieren könnte, ist den Fraktionen 10 000 Euro wert. Dies sind nur einige von zahlreichen Beispielen.

Klimamanager wird weiter gesucht

Hinzu kommen mehrere zusätzliche Positionen im Personaletat von unterschiedlichen Ausbildungsstellen bis hin zu zwei weiteren Kontrolleuren, die Falschparker und andere Sünder aufspüren sollen, sowie zwei Sachbearbeitern im Ordnungsamt. Die vier letztgenannten Posten wurden aber mit einem Sperrvermerk versehen, das heißt, sie sind nicht sofort freigegeben.

In mehr Personal für Umweltplanung und Klimaschutz will die Stadt ebenfalls investieren, wobei bisher noch nicht einmal die schon länger beschlossene Position eines Klimamanagers besetzt werden konnte. Ein auserkorener Bewerber hat kurzfristig abgesagt. Insgesamt steigen die städtischen Personalkosten von knapp 41 Millionen Euro in diesem Jahr auf rund 43 Millionen Euro im kommenden Jahr.

Rund 100 Millionen Dauerschulden

Dass ausgerechnet der Klimaschutz noch kein eigenes Gesicht im Rathaus hat, ärgert besonders die Grünen. „Wir müssen für die Position mehr Anreize schaffen“, forderte denn auch Bernd Murschel bei der Haushaltsverabschiedung in der Stadthalle. Der Fraktionschef der Grünen attestierte Leonberg insgesamt, „das Zukunftsthema Klimaschutz zu verschlafen“. Während im Kreistag künftig alle Beschlüsse unter Klimavorbehalt gestellt werden, geschehe im Gemeinderat nichts.

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Dass die Stadt nun fünf Millionen in verschiedene Vorhaben stecken könne, bezeichnete Murschel als „großen Dusel“. Die finanzielle Gesamtlage sei aber weiterhin mehr als kritisch: „Mit den Dauerschulden von rund 100 Millionen Euro hat Leonberg ein negatives Alleinstellungsmerkmal unter den Großen Kreisstädten in der Region.“

Kritik an Rasenmäher-Methode

Ähnlich skeptisch beurteilte auch Axel Röckle die Haushaltslage. „Wir packen ordentlich drauf, aber in zwei Jahren werden wir wieder deutlich engere Verhältnisse haben“, befürchtete der Fraktionschef der Freien Wähler. „Deshalb hätten wir die fünf Millionen nicht gleich wieder ausgeben dürfen.“ Ähnlich beurteilte es Dieter Maurmaier (FDP): „Der Gemeinderat hat tief in die Tasche gegriffen.“

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Das strukturelle Defizit und immer wieder aufgeschobene Projekte beklagten Elke Staubach (CDU) und Ottmar Pfitzenmaier (SPD), wobei den Sozialdemokraten besonders die pauschale Mittelkürzung von 15 Prozent ärgerte: „Diese Rasenmähermethode zeugt weder von Mut, noch von Überzeugungskraft, sondern sorgt für Frust.“

Blumen und Bussis für die Kämmerin

Einig waren sich alle Stadträte in ihrem Lob für die Kämmerei-Leiterin Elke Gräter und ihren Mitarbeiter Michael Neukamm, die den Haushalt weitgehend im Alleingang bearbeitet hatten, da die Ressortchefin Josefa Schmid in der Endphase erkrankt war. Gitte Hutter von den Linken ließ den beiden stellvertretend für alle engagierten Mitarbeiter der Stadtverwaltung verbale Umarmungen und „Bussis“ zuteil werden.

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Die anderen Stadträte bekundeten ihre Anerkennung mit großem Beifall. Oberbürgermeister Cohn überreichte der Kämmerei-Chefin einen Strauß Blumen, für ihren Kollegen gab es eine Flasche Wein.

In diese vorweihnachtliche Stimmung passte gut, dass der Haushalt 2022 erstmals seit mehreren Jahren einstimmig verabschiedet wurde, was den Oberbürgermeister besonders freute. „Ich danke Ihnen für Ihre Beschlüsse und die konstruktive Zusammenarbeit“, fasste der OB ein nicht spannungsfreies Jahr zusammen. „Wir sind hoch motiviert, gemeinsam viel zu erreichen.“