Carlos Dourado hat vor etwas mehr als einem Jahr in Gerlingen das Weltcafé eröffnet. So ungewöhnlich der 40-Jährige als Unternehmer ist, so ungewöhnlich ist auch sein Konzept.

Die Einrichtung: aus nachhaltigen Materialien in weiten Teilen selbst gemacht. Das Essen: möglichst alles selbst gemacht – und nichts landet im Müll. Die Gäste: müssen nicht unbedingt etwas konsumieren, einige gehören heute zum Personal. Im Weltcafé Exlibris von Carlos Dourado, der ehemaligen Café-Bar Exlibris, läuft einiges anders als in anderen Gastronomiebetrieben.

 

Der 40-Jährige öffnete vor etwas mehr als einem Jahr in Gerlingen in der Schulstraße das Weltcafé, in dem er auf Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung setzt. Konkret führt Carlos Dourado im Strohgäu fort, was er im Weltcafé am Stuttgarter Charlottenplatz mit Ludéric Belhadj und Reiner Bocka begonnen hat, unter dem Dach des Welthauses, in dem auch ein Weltladen ist. Dort hatte Carlos Dourado sich zurückgezogen, um sich ganz auf Gerlingen zu konzentrieren.

Gastronom will mehr bieten als Essen und Getränke

Weltcafés gibt es in etlichen Kommunen, Gastronomen wie Carlos Dourado eher nicht. Das Konzept in Gerlingen sei fast einzigartig, sagt der gebürtige Portugiese – und auch diesen für einen Unternehmer doch ungewöhnlichen Satz: „Ich bin ein Gastgeber, kein Geschäftsmann und biete mehr als Essen und Getränke.“ Ihm gehe es nicht darum, möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften. Vielmehr wolle er die Menschen nebst Speis und Trank mit der Örtlichkeit, mit Musik und Freundlichkeit glücklich machen. „Die Leute sollen reinkommen und spüren, dass es hier anders ist.“

Carlos Dourado sagt, jeder könne seine Lokalität nutzen und solle sich sein Essen leisten können – das aus Bio-, regionalen und fair gehandelten Produkten besteht. „Bei den Preisen sollte ich mindestens zwei Euro draufschlagen“, sagt der 40-Jährige, der für den Mittagstisch von 12 Uhr an je nach Essen und Größe zwischen fünf und zehn Euro verlangt. Stattdessen sei er unter den Preisen von selbst konventionellem Essen. Carlos Dourado erklärt das so: Er überlegt sich erst, was zum Beispiel eine Suppe kosten soll und dann, wie sie sich entsprechend zubereiten lässt. Ehe er Preise erhöht, bietet er einfache Gerichte an. Wie Nudeln mit Soße. „Das ist auch lecker, und so kann ich Preise günstig halten“, sagt Carlos Dourado.

Konzept stößt auch auf Unverständnis

Der weder blauäugig noch naiv ist, dem klar ist, dass er genug Geld verdienen muss, um die laufenden Kosten wie Miete und Personal zu bezahlen. „Mein Konzept erfordert Stabilität bei der Zahl der Kunden“, sagt der Gastronom. Es funktioniere also nur, wenn die Leute mitmachen. „Vielleicht wird das Ganze auch nicht klappen.“ Bisher jedenfalls ist er zufrieden. „Wegen Corona hatte ich einen schweren Start, aber es läuft gut“, so Dourado. Dennoch gebe es auch immer wieder Leute, die sein Konzept nicht verstehen würden, das, was ihm wichtig sei. Das finde er schade. So würden sich manche Gäste über die aus ihrer Sicht unbequemen Stühle aus Metall beschweren, die, so sagt Dourado, aber nachhaltig seien und „wunderschön“. Andere Gäste würden sich von den Jugendlichen gestört fühlen, denen er im Café bereitwillig einen Platz gibt, an dem sie sich aufhalten können – weil sie manchmal laut seien. Doch Carlos Dourado weiß, warum er sich den „ein bisschen verlorenen“ jungen Leuten annimmt, die nicht selten aus schwierigen Elternhäusern seien und von der U-Bahn-Haltestelle nur einen Steinwurf entfernt aus Gerlingen und Umgebung kämen. „Ich habe eine soziale Aufgabe“, sagt Carlos Dourado. Die sieht er darin, jene Jugendlichen aufzufangen, ihnen Selbstvertrauen zu geben, „ihnen zu zeigen, dass sie nützlich sind“. Manche arbeiten deshalb sogar bei ihm im Weltcafé. „Jeder Gastronom sollte sich bewusst sein, dass er auch eine soziale Aufgabe hat“, sagt Carlos Dourado. Es sollte nicht nur um Profit gehen. Insgesamt beschäftigt er zehn bis 15 Mitarbeitende. Zur Auffassung des 40-Jährigen, dass bei ihm jeder willkommen ist, gehört auch, dass er Künstlern eine Plattform gibt. Maler dürfen ihre Bilder ebenso aufhängen wie Musiker auftreten – umsonst. „Ich sehe keine Notwendigkeit, Miete oder Provision zu verlangen“, schließlich würden Veranstaltungen mehr Gäste und damit mehr Umsatz bringen. Künftig will er mit der benachbarten Bücherei stärker zusammenarbeiten.

Von der Technik in die Gastronomie

Der 40-Jährige war nicht immer Vollzeitgastronom: 13 Jahre lang hat Carlos Dourado als Software-Entwickler gearbeitet, bevor er beschloss, seine Leidenschaft, die Gastronomie, zum Beruf zu machen. Bis dato habe er immer Nebenjobs in der Gastronomie gehabt. Er liebe die „soziale Welt“. Neben dem Weltcafé in Stuttgart führte Carlos Dourado seit 2018 im Stuttgarter Heusteigviertel das französische Café Moustache mit.

„Wir werfen nichts weg“

Im Gerlinger Weltcafé serviert er vegetarische und vegane Speisen, manchmal Fisch, niemals Fleisch. Was die Leute offenbar zunehmend als nichts Ungewöhnliches wahrnehmen. „Vor vier, fünf Jahren mussten wir uns deswegen mehr erklären“, sagt Carlos Dourado, dessen dritte Einnahmequelle Caterings sind. Laut Dourado kommen grundsätzlich mehr als 80 Prozent seiner Produkte aus Gerlinger Geschäften.

Über Lebensmittelverschwendung kann er nur den Kopf schütteln. „Wir werfen nichts weg“, betont Carlos Dourado. Damit das gelingt, sind die im Weltcafé angebotenen Speisen ausschließlich „in kleinen Mengen“ vorhanden. „Es bleibt sehr wenig übrig“, stellt der Gastronom fest. Das erhalten dann entweder die Mitglieder des örtlichen Vereins Freefood, der Lebensmittel vor dem Müll rettet, oder es wird vergünstigt als Überraschungspaket, als „Too-good-to-go“-Ware verkauft.

Carlos Dourado ist Nummer fünf

Pächterwechsel
 200.000 Euro investierte die Stadt Gerlingen als Eigentümerin in die Sanierung des Weltcafés. Ein Café öffnete im Zuge des Neubaus und der Eröffnungder Stadtbibliothek erstmals im Jahr 1998, heißt es aus dem Rathaus. Insgesamt hätten es vor Carlos Dourado vier unterschiedliche Pächter mit verschiedenen Konzepten geführt. Das letzte Pachtverhältnis habe von 2016 bis März 2020 bestanden.

Fairtrade-Town
 Aus Sicht des Gerlinger Bürgermeisters Dirk Oestringer (parteilos) schärft das Konzept des Weltcafés das „Profil der Stadt als nachhaltige Stadt“. Seit Mitte Mai 2020 stand fest, dass Gerlingen an der Kampagne „Fairtrade-Towns“ teilnimmt. Die Stadt sieht diese Beteiligung als „weiteren Baustein zur Unterstützung des fairen Handels“. Am 1. April 2022 fand die Auszeichnungsfeier der Stadt zur Fairtrade-Town statt. Im Strohgäu tragen auch Ditzingen und Korntal-Münchingen diesen Titel.