Der Weissacher Rathauschef geht einen ganz neuen Weg bei der Bürgerbeteiligung: Er gründet einen Verein, in dem Bürger über die Mobilität diskutieren und nach Lösungen suchen können.

Weissach - Die vielen Porsche-Pendler und andere Verkehrsteilnehmer sorgen täglich für Staus in Weissach und Flacht – eines der größten Probleme des Ortes. Bürgermeister Daniel Töpfer (CDU) schlägt jetzt einen neuen Weg vor, um nach Lösungen zu suchen. Im Interview erklärt er seinen Plan.

 

Herr Töpfer, es gibt ja schon lange den Wunsch nach einer Umgehungsstraße für Weissach. Was könnte da ein Verein ausrichten?

Der Verein könnte zum Ausdruck bringen: Wir wollen das wirklich! Und somit als Forum agieren, bei dem sich all die treffen, die sich einbringen möchten. Also zum Beispiel der ältere Mitbürger, der seit 50 Jahren hier wohnt und seine Erfahrungen zur Gemeindeentwicklung mitbringt. Er diskutiert dort mit einem Mitbürger, der vielleicht Architekt oder Stadtplaner ist und fachliche Kompetenz einbringt. Wenn dann noch ein bisschen Geld da ist, um fachliche Expertise zum jeweiligen Thema einkaufen zu können, kann da richtig was entstehen.

Aber ein Verein kann ja keine Umgehungsstraße bauen.

Nein, aber er bereitet das Thema inhaltlich so auf, dass die zuständigen Organe wie zum Beispiel der Gemeinderat eine gute Entscheidungsgrundlage haben. Und vor allem bündelt er Meinungen und das „Hören-Sagen“ und bringt diese in die öffentliche Diskussion ein.

Töpfer will engagierte Bürger zielgerichteter vernetzen

Wie kam Ihnen die Idee, einen Verein zu gründen?

Meine Idee ist, dass wir mit einem Verein eine andere Art der Bürgerbeteiligung leben können, wie es mit einer Bürgerinitiative oder im Gemeinderat als sachkundiger Einwohner der Fall wäre. Die Idee dazu kam mir nachts beim Sinnieren, wie es uns gelingt, all die engagierten Bürger zielgerichteter zu vernetzen. Natürlich gibt es schon Bürgerwerkstätten oder Einwohnerversammlungen, aber all das ist kein dauerhaftes Engagement.

Um welche Themen könnte sich der Verein kümmern?

Es gibt schon heute kleinere Gruppen von Bürgern, die sich mit Einzelthemen befassen. Das kann die Umgehungsstraße, die E-Mobilität oder das Radwegenetz sein. Andere Beispiele sind Initiativen zur Seniorenmobilität, die im vergangenen Jahr die Mitfahrbänke entwickelt haben. All diese kleinen Satelliten möchte ich in einem Verein bündeln, der dann losgelöst von der Kommune exakt diese Themen vorantreibt und in dem sich jeder, ob Bürger oder Unternehmen, einbringen kann. So wird es auch im Satzungszweck stehen.

Ohne Geld kommt man wahrscheinlich nicht weit. Woher soll das kommen?

Die Gemeinde wird am Anfang etwas Startkapital beisteuern. Aber der Verein soll dann auch eigenständig Spenden einwerben. Wenn er dann – sagen wir beispielhaft – 10 000 Euro beisammen hat, kann er selbst entscheiden, ob er diese für Mitfahrbänke oder eine Fahrradgarage verwenden möchte. Oder ob er Untersuchungen beauftragt, zum Beispiel zur E-Mobilität. Der Verein kann im nächsten Schritt auch der Verwaltung oder dem Gemeinderat ein konkretes Konzept vorschlagen, in dem steht, wo wie viele Ladesäulen nötig sind und wo nach seiner Auffassung ein E-Carsharing-Auto stehen müsste.

Daniel Töpfer: „Der Verein soll auch eigenständig Spenden einwerben.“ Foto: factum/Bach

Aber ist es nicht Aufgabe der bezahlten Mitarbeiter im Rathaus, solche Konzepte zu schreiben?

Sicherlich, wenn es dazu einen Auftrag gibt. Ich sehe bei diesen Themen allerdings auch eine gesellschaftliche Aufgabe.

Was kann denn ein eingetragener Verein besser als die Gemeindeverwaltung oder der Gemeinderat?

Anders als die Gemeinde kann der Verein Fördergelder und Unterstützungsleistungen von privaten Firmen und Institutionen einwerben. Die Kommune darf natürlich kein Geld von Firmen annehmen. Ich denke da zum Beispiel an Förderprogramme von Verbänden, die E-Fahrzeuge spenden oder auch öffentliche Gelder, die gezielt an Vereine adressiert sind. Und der Verein kann, was keiner anderen Plattform möglich ist: Gewerbe beteiligen. Bei uns im Verein können nicht nur Bürger, sondern auch örtliche Gewerbetreibende Mitglied werden. Aber ich gebe gerne zu, dass dies auch ein Experiment von Beteiligung ist, das es so bislang nicht gegeben hat.

Kein vergleichbarer Verein im Land

Sie haben also kein Vorbild?

Nein, ich habe recherchiert und in keiner Kommune in Baden-Württemberg einen solchen Verein gefunden. Ähnlich strukturiert sind oftmals Gewerbevereine, in denen sich die örtlichen Gewerbetreibenden zusammenschließen und Aufgaben übernehmen, die halb kommunal und halb gesellschaftlich sind.

Mit wie vielen Leuten rechnen Sie?

Das Potenzial in unserer Gemeinde für ein festes Engagement sehe ich bei etwa 25 bis 30 Personen – natürlich mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten.

Kirchen, Gewerkschaften und andere Vereine sagen, die Leute wollen sich nicht mehr langfristig binden, sondern sich eher projektorientiert einbringen. Ist da ein eingetragener Verein mit fester Mitgliedschaft nicht ein Widerspruch zu diesem gesellschaftlichen Trend?

Nein, weil auch wir in dem Verein projektorientiert arbeiten. Wer sich um eine bessere Fahrrad-Infrastruktur kümmern will, muss sich nicht automatisch auch in der Projektgruppe Umgehungsstraße einbringen. Hinzu kommt, dass all die lästigen Bürokratie-Aufgaben, über die alle Vereine stöhnen, nicht bei den Ehrenamtlichen hängen bleiben. Ich schlage den Mitgliedern vor, dass unsere Kämmerin Schatzmeisterin wird und unsere Hauptamtsleiterin Schriftführerin.

Die Gemeinderäte sehen da keine Konkurrenz oder eine Entmachtung?

Nein, denn in der Satzung des Vereins wird stehen, dass es seine Aufgabe ist, die verschiedenen örtlichen Akteure, zum Beispiel den Gemeinderat, miteinander zu vernetzen.

Es fehlen noch zwei Mitglieder

Wann geht’s los? Gibt es schon die sieben Mitglieder, die es für eine Vereinsgründung braucht?

Wir wollten den Verein jetzt zu Jahresbeginn gründen. Die Corona-Pandemie hat uns zeitlich doch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zwei Mitglieder brauchen wir noch für die Gründung, aber ich bin guter Dinge, dass sich diese in den kommenden Wochen noch finden beziehungsweise motivieren lassen.

Wollen Sie selbst sich denn auch engagieren?

Ich übernehme vermutlich den Vorsitz, es sei denn es findet sich noch eine Person, die das freiwillig macht. (schmunzelt)

Wenn jetzt in der Diskussion der Begriff Umgehungsstraße wieder auftaucht: Glauben Sie nicht, dass Sie da Hoffnungen wecken, die hinterher enttäuscht werden?

Am Anfang wird es dem Verein sicherlich schnell gelingen, viele kleinere Themen voranzubringen, wie die Mitfahrbänke, ein Fahrradkonzept oder die Verbesserung der Beschilderung. Ich glaube, niemand wagt zu hoffen, dass der große Wurf, wie eine Umgehungsstraße, jetzt sofort kommt. Und auch wenn ich eine solche für unrealistisch halte: Wieso soll die Idee dazu denn nicht diskutiert und weiterentwickelt werden? Vielleicht sieht die Situation in 10 bis 15 Jahren anders aus und man ist froh, dass „Stammtischgeschwätz“ fachlich fundiert zu Papier gebracht zu haben.