Der Bürgermeister will mit 54 Jahren in die Wirtschaft wechseln.

Weil der Stadt - Drei Wochen ist es erst her, da hat Thilo Schreiber unserer Zeitung ein ausführliches Interview gegeben. Die spannendste Frage freilich blieb offen: Tritt er nochmals an? Für zwei Theorien ließ er ausführlich Raum. „Jetzt springen wir und packen es an“, war das Gespräch überschrieben. Schreiber skizzierte engagiert und voller Elan das, was in diesem und in den kommenden Jahren ansteht. Mehr noch: Was er angeschoben hat. Stichworte Marktplatz, Schulzentrum, Pflegeheim, Neubaugebiet Häugern und Schwarzwaldstraße.

 

Dass all das gerade in Weil der Stadt furchtbar viel Kraft kostet, verschwieg er nicht. Für ein Wortlaut-Interview ungewöhnlich deutlich verriet er: „Für das Amt braucht man viel Kraft, Weil der Stadt ist sehr anstrengend.“ Er sei dabei, alles in die Waagschale zu legen und abzuwägen – familiär, privat und beruflich.

Das hat er. Am Mittwoch versandte Thilo Schreiber die Pressemitteilung, Titel: „Verzicht auf Kandidatur bei der Bürgermeisterwahl 2020 in Weil der Stadt“: „Nach langer Überlegung und sehr sorgfältiger Abwägung – auch in privater und familiärer Hinsicht – habe ich mich dazu entschieden“, schreibt er darin.

„Neue Aufgaben, neue Herausforderungen“

Wie schon vor drei Wochen im Interview weist er darauf hin, im 21. Jahr Bürgermeister zu sein, erst seit Januar 2000 in Loßburg (Kreis Freudenstadt), dann seit November 2012 in Weil der Stadt. „Ich möchte mich nun noch einmal neuen Aufgaben und Herausforderungen stellen“, schreibt der 54-Jährige. Einen Wechsel in die freie Wirtschaft strebe er an, in der Energie-, Wohnungs- oder Sozialwirtschaft oder im Stiftungswesen.

Das sei keine Entscheidung gegen die Stadt, wenngleich er erneut betont: „Ich mache aber auch kein Geheimnis daraus, dass die letzten sieben Bürgermeisterjahre in Weil der Stadt sehr viel Kraft gekostet haben und überwiegend von Krisenmanagement geprägt waren.“

Ein Traumjob? Eher nicht

Dass der Chefsessel in dem historischen Rathaus in Weil der Stadt für ihn kein Traumjob ist, das verhehlte Thilo Schreiber in den vergangenen Jahren nicht. Aus Loßburg kam er vor siebeneinhalb Jahren, einer 7500-Einwohner-Gemeinde mit acht Ortsteilen. Letzteres Konstrukt gleicht Weil der Stadt, die finanziellen Verhältnisse dagegen nicht. Ein paar Betriebe lassen die Gewerbesteuern dort nur so sprudeln, aus der Portokasse habe er ein neues Rathaus bauen können, erzählte Schreiber einmal.

„In Loßburg war ich Bürgermeister einer Gemeinde, der es finanziell sehr gut ging. Jetzt habe ich in Weil der Stadt das Kontrastprogramm, das ich mir – um ehrlich zu sein – so dramatisch nicht erhofft habe“, sagte er im Interview im Februar 2018. Dazu eine Anekdote aus dem Wahlkampf: Wo denn die Weil der Städter Stadtbücherei sei, habe er im Wahlkampf 2012 wissen wollen. An die Schülerbücherei in Merklingen habe man ihn verwiesen. „Ich wüsste schon, was ich mit ein bisschen mehr Geld gestalten würde“, sagte Schreiber vor zwei Jahren.

Kein Geld, dafür aber eine Menge Probleme. Thilo Schreiber und später dann auch seine Beigeordnete Susanne Widmaier (heute Dornes) machten keinen Hehl daraus, dass die Strukturen im Rathaus, die sie von Hans-Josef Straub übernahmen, nicht ihren Vorstellungen einer modernen Verwaltung entsprachen. Dass Schreiber darüber in den vergangene Jahren auch öffentlich gesprochen hat, ist ein Zeichen, wie ihn das frustet.

Die Kasse ist klamm

Zum Beispiel in der Gemeinderatssitzung im Mai 2019. Die Vergabe von Reinigungsarbeiten städtischer Gebäude steht auf der Tagesordnung – eigentlich eine Formalie. Die Sitzungsvorlage hält aber Überraschendes bereit. 735 000 Euro hat die Stadt bislang für die Reinigung dieser Gebäude ausgegeben. Jetzt sind es nur noch 563 000 Euro.

In der Vergangenheit hatte die Verwaltung solche Arbeiten gar nicht ausgeschrieben, sondern Firmen direkt beauftragt – offenbar zu erhöhten Preisen. Erst seit 2012 gibt es in der Stadt eine Regelung, dass Dienstleistungsaufträge mit mehr als 40 000 Euro öffentlich auszuschreiben sind.

Thilo Schreiber schaute in dieser Sitzung nicht glücklich aus: „Nach knapp sieben Jahren, seit ich hier bin, kann ich sagen: Die Verwaltung war nicht gut aufgestellt.“ Noch nicht mal eine Liste mit allen städtischen Gebäuden habe es gegeben, als er in Weil der Stadt anfing, auch kein Gebäudemanagement. Jetzt gebe es eine Liste, die man abarbeiten könne. „So sollte es seit zwanzig Jahren laufen“, sagte Schreiber in dieser Sitzung.

Dass er Aufbauarbeit habe leisten müssen, darüber sprach er in einem Interview überraschend offen: „Mein Vorgänger hat andere Stärken gehabt, er war Jurist, ich bin ein Verwaltungsmann“, sagte er im Februar 2018. „Mir fehlen hier in Weil der Stadt einige Strukturen, die man schon vor Jahren hätte legen müssen.“

Schreiber nannte zum Beispiel Stadtwerke, Innenstadt-Attraktivierung, neue Wohnbau- und Gewerbegebiete oder eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die sozialen Wohnungsbau macht.

Immer wieder neue Probleme

Oktober 2019, erneut eine typische Weil der Städter Gemeinderatssitzung: Die Verwaltung gibt bekannt, dass das Dach dreier Technikräume im Schulzentrum von „extremem Schimmelbefall“ betroffen ist. Per Eilbeschluss musste der Beigeordnete Jürgen Katz die Sanierung in Auftrag geben.

Erneut offenbarte sich, wie die Rathausmitarbeiter solchen Problemen hinterherhecheln. Auch er sei gerade dabei, eine Liste zu erstellen, nämlich mit den dringendsten Sanierungsfällen, berichtete Katz: „Im Moment können wir nur die Feuer löschen, die am höchsten brennen.“ Und so werde es noch die nächsten zehn Jahre weitergehen.

Keine attraktive Stellenbeschreibung ist das für jemanden, der eine Stadt gestalten will. In diesem Herbst ist Wahl, in zwei Wochen legt der Gemeinderat den genauen Termin fest, wahrscheinlich wird es der 2. August. Ob er noch mal antritt, darüber ließ Thilo Schreiber bis zuletzt selbst enge Mitarbeiter im Unklaren. Seine Gemeinderäte informierte er erst am Mittwochabend.

Manche hatten vermutet, dass er Weil der Stadt verlassen will, sind jetzt aber doch überrascht mit Blick auf das Arbeitstempo, das Schreiber in den vergangenen Monaten durchgezogen hat. Im Dezember fasste der Gemeinderat den Beschluss, den Marktplatz zu sanieren – ein Projekt, das viele lange als illusorischen Traum betrachtet hatten.

„Ganze Kraft bis zum Ende“

Auch das zweite Millionenprojekt steht kurz vor seiner Grundsatzentscheidung: Nach Jahren der Planung ringen die Gemeinderäte derzeit mit der Frage, wie es mit dem Schulzentrum weitergeht. Thilo Schreiber wird noch mitdiskutieren – bis Ende September. „Gemeinderat und Bürgerschaft können versichert sein, dass ich meine Arbeit als Bürgermeister bis zum Ende der Amtszeit mit ganzer Kraft und vollem Elan fortsetzen werde“, schreibt er.