Weil der Stadt will auf den Wohnungsmangel reagieren. Ein Fachmann für Siedlungsentwicklung fordert, den Fokus auf Wohnen im Alter und günstige Mietwohnungen anstatt auf Neubaugebiete zu richten.

Weil der Stadt - Der demografische Wandel macht auch vor der Keplerstadt nicht Halt. Welche Folgen er für die Siedlungspolitik der Stadt hat, darüber hat Stefan Flaig vom Büro Ökonsult aus Stuttgart kürzlich in einem Online-Vortrag gesprochen, den er auf Einladung des Vereins Gemeinschaftliches Weil der Stadt gehalten hat. Rund 40 Interessierte, darunter auch mehrere Gemeinderäte, hörten zu. Ebenfalls mit dabei: Der Weil der Städter Bürgermeister Christian Walter.

 

„Ich habe vor meiner Wahl nicht gedacht, dass auch am Rand der Metropolregion Stuttgart das Problem des Wohnungsmangels so riesig ist“, sagte er. Walter bezog sich auf Angaben des Verbands Region Stuttgart, der bis 2035 fehlende Wohnungen für rund 200 000 Menschen prognostizierte, die zuziehen müssten, um wirtschaftlich betrachtet das Ausscheiden der älteren Jahrgänge zu kompensieren.

Der Bürgermeister wies auf eine Untersuchung zu Baulücken und Potenzialflächen in Weil der Stadt hin, die 27 Hektar identifiziert habe, was elf Prozent der bestehenden Wohnfläche der Stadt entspreche. Ein besonderes Augenmerk sei auf das Wohnen im Alter gelegt worden.

Viele können sich einen

Mit dem Ergebnis, dass 47 Prozent der Befragten weiterhin in ihrem Haus wohnen wollen, aber 62 Prozent sich auch vorstellen könnten, in einem seniorengerechten Mehrfamilienhaus zu wohnen, erklärte Christian Walter. Allerdings hatten sich an der Untersuchung von 350 Befragten nur 17 Prozent beteiligt.

Mit Blick auf die Bebauung des Areals Alte Gärtnerei mit mehr als 100 Wohneinheiten in Merklingen, zu der es jüngst auch eine nichtöffentliche Anliegerinformation gab, sagte Walter, dass die Kritik der Anwohner nachvollziehbar sei. Aber je kompakter man baue, desto wertvoller werde das Grundstück. „Wir können nicht alles mit Einfamilienhäusern zubauen“, sagte der Bürgermeister.

Dem stimmte Stefan Flaig zu. Er höre sonst oft nur, man brauche mehr Neubau. Der Fachmann für Siedlungsentwicklung fragte, wohin sich der Immobilienmarkt entwickelt, wie man mehr preiswerten Wohnraum bekommt und ob Neubaugebiete gegen die Wohnungsnot helfen. Vor allem Letzteres hält er für falsch. Angesichts einer schrumpfenden Bevölkerung gebe es künftig genügend freien Wohnraum. In Weil der Stadt lebten im vergangenen Jahr 19 220 Menschen. Für das Jahr 2035 werden 19 580 Einwohner prognostiziert. „Dies hängt zwar vom Umfang der Zuwanderung ab“, sagte Flaig. „Doch die Überalterung der Gesellschaft ist nicht aufzuhalten.“

Immer weniger Nachfrage nach Einfamilienhäusern

Nach den Erkenntnissen von Stefan Flaig, dessen Büro für Kommunen den Immobilienmarkt untersucht, gebe es schon heute weniger potenzielle Nachfrage nach Einfamilienhäusern als diese im Bestand vorhanden seien. Das eigentliche Angebot sei also größer als die Nachfrage.

Schon jetzt gebe es viele leer stehende Immobilien, erklärte der Experte. Doch seit der Finanzkrise gebe es weniger Verkäufe, „die Leute bleiben beim Betongold“. „Diese Entwicklung birgt große Potenziale, spätestens wenn die Preise in den Keller gehen und nach 2035 die Babyboomer wegsterben.“ Also die geburtenstarken 1960er-Jahrgänge.

Heute leben viele ältere Menschen auch als „Alterssingle“ in ihren Häusern oder in großen Wohnungen. Darauf beruhe großteils die wachsende Pro-Kopf-Wohnfläche. Eine Befragung in drei Gemeinden im Kreis Böblingen habe ergeben, dass es bei den Senioren ein großes Potenzial für einen Umzug in eine altersgerechte Wohnung gebe. „Das gilt sicher nicht für alle, aber für viele“, so Flaig. Wenn man einen Teil davon erschließen könne, wäre schon geholfen.

Altersgerechter Wohnraum soll gefördert werden

Aus all dem schloss der Referent, dass man den Bestand aktivieren und Baulücken schließen müsse, aber keine neuen Einfamilienhäuser mehr brauche. Sondern vor allem mehr altersgerechte Wohnungen und preisgünstige Mietwohnungen. Die Kommunalplanung müsse auf Zielgruppen ausgerichtet werden und nicht mehr nur auf Einfamilienhäuser. Altersgerechter Wohnraum, vor allem innerorts, müsse gefördert werden. „Solche Wohnungen gehen weg wie warme Semmeln“, so Flaig. Die Nachfrage sei groß. Dagegen müsse die Nachfrage junger Familien auf den Bestand gelenkt werden. Auch brauche es eine wirksame, sprich hohe, Leerstands- und Zweckentfremdungsabgabe.

Anna Gruber-Schmälzle vom Verein Gemeinschaftliches Wohnen erläuterte das Vorhaben, mit dem für rund 80 bis 100 Menschen Wohnraum geschaffen werden soll. Wobei man nach neuen Formen der Gemeinschaft für Junge und Alte gleichermaßen suche. An der Vernetzung und Zusammenarbeit mit der Kommune sei man interessiert.

Modellprojekt im Bürgerheim?

Es werde gerade darüber verhandelt, ob das Modellprojekt im Bürgerheim möglich sei. „Wir sind aber nicht auf dieses Gebäude fixiert“, ergänzte die Vereinsvorsitzende Juliane Sauerland. „Die Gespräche mit dem Ersten Beigeordneten Jürgen Katz laufen, er hält die Augen nach Alternativen offen.“

Der Weiler Rathauschef Christian Walter lobte die private Initiative und erklärte, dass die Stadt das Projekt „ergebnisoffen“ begleite. Es gebe aber auch einen finanziellen Zwang, den die Stadt habe, und das Bürgerheim sei von der Bewertung her ein „Filetgrundstück“. Das letzte Wort hierzu habe der Gemeinderat.