Eigentlich sieht er aus wie ein ganz normaler Gedenkstein, die Zeit hat ihre Spuren in dem schlichten, hellen Gestein hinterlassen. Wäre da nicht der Totenschädel über den sechs Namen. Weist er doch auf die Tragödie hin, die sich vor 200 Jahren am Würmufer abgespielt hat.

Weil der Stadt - Eigentlich sieht er aus wie ein ganz normaler Gedenkstein, die Zeit hat ihre Spuren in dem schlichten, hellen Gestein hinterlassen. Ein Grabmal, wie es auch auf vielen anderen Friedhöfen zu finden ist. Wäre da nicht der Totenschädel über den sechs Namen, der sofort ins Auge sticht. Weist er doch auf die Tragödie hin, die sich an einem Frühlingsabend vor 200 Jahren am Würmufer vor den Toren der Keplerstadt abgespielt hat. Sieben Menschen starben, zahlreiche wurden verletzt. Der Weiler Heimatforscher Wolfgang Schütz hat mithilfe uralter Ratsprotokolle und handschriftlichen Aufzeichnungen die Geschehnisse von damals dokumentiert.

 

Es geschah am Pfingstmontag 1815. In der Keplerstadt, die zu jener Zeit an die 1800 Bürger zählte, herrschte reges Treiben. Die österreichischen Pioniere des kaiserlich-königlichen Infanterieregiments Nr. 42 „Graf Erbach“ hatten im Städtchen Quartier bezogen. „Sie waren auf dem Weg nach Waterloo, wo sie als Hilfstruppen nachrücken sollten“, berichtet der Heimatkundler Schütz. Jene Einquartierung war eine große Belastung für die Stadt, musste sie doch einen Kredit von 4000 Gulden aufnehmen und Futter fürs Vieh sowie Verpflegung und Unterkunft für die Infanteristen stellen.

Für besagten Unglücksabend kündigten die Österreicher Unterhaltung mit Militärmusik und bengalischem Feuerwerk am Ufer der Würm an, sozusagen als Dank für die Weiler Gastfreundlichkeit. „Die ganze Stadt war an diesem Abend auf den Beinen“, erzählt Wolfgang Schütz. Den Überlieferungen nach hatten die Pioniere Boote oberhalb des Brühlwegs zu Wasser gelassen, um flussabwärts unter dem Brühlsteg hindurchzufahren. „Es sollte ein frohes Fest werden in diesen schweren Wochen der europäischen Kriege“, berichtet der Heimatforscher. Doch es sollte alles anders kommen.

Gegen halb neun drängelten sich rund 130 Schaulustige auf dem Holzsteg dicht aneinander. Unter ihnen befand sich auch die 16-jährige Marianne Gall, Tochter des Weiler Gerbermeisters Jacob Anton Gall, in dessen Haus am Viehmarkt (heute Badtorstraße 38) der Soldat und böhmischer Militärmusiker Johann Didorczak aus Eger einquartiert war. Offenbar schwärmte das Mädchen für den wesentlich älteren Krieger in weißer Uniform mit schwarzem Tschako und aufgestecktem Federbusch. „Vielleicht winkte Marianne ihrem Musiker noch zu, der wohl am Ende des Kahns saß“, erzählt Wolfgang Schütz.

Dann geschah das Unglück. Die Zuschauer drängelten, reckten die Hälse, jeder wollte die musizierenden Pioniere sehen. Während das Boot den Steg passierte, drehte sich die Menschenmenge plötzlich um und stürzte zum anderen Brückengeländer. Der hölzerne Steg kippte unter der Last um, stürzte in die Würm und begrub viele Menschen unter sich. Marianne Gall und der Egerländer starben. Auch Anna Knöpple, Emerentia Grein und Catharina Schöninger, allesamt junge Weilerinnen, mussten ihr Leben lassen, ebenso wie der Sattler Johann Anton Beyerle und der Strumpfstricker Joseph Back. Die Toten wurden im Spital aufgebahrt, zwei Tage später wurden sechs von ihnen in einem Sammelgrab auf dem Weiler Friedhof beerdigt. Bis heute erinnert der vom Totenschädel gekrönte Grabstein an das fürchterliche Unglück.

Schon am nächsten Tag machte im Städtchen das Gerücht die Runde, der Steg sei schon lange marode gewesen. „Doch diesen Vorwurf wies das Oberamt entschieden zurück“, weiß der Heimatforscher. Stattdessen habe man alles dafür getan, dass nichts über das Unglück nach außen drang. Mit Erfolg. Bei seinen Recherchen fand Wolfgang Schütz heraus, dass tatsächlich keine Zeitung über die Tragödie berichtet hatte. „Da hat die Zensur gegriffen“, sagt der Heimatforscher. Dass es über vergleichbare Zwischenfälle oder Tragödien, die sich in jenen bewegten und von Kriegen beherrschten Zeiten abspielten, nur wenige bis gar keine Aufzeichnungen gibt, sei nicht unüblich. „Wenn sie keinen politischen Charakter hatten“, erklärt Schütz, „wurden sie häufig einfach überhaupt nicht festgehalten.“

Wolfgang Schütz kennt die Erzählungen über jenen schicksalhaften Pfingstmontag im Jahr 1815 seit seiner Kindheit. Sein Vater hatte ihm bei einem Spaziergang über den Brühlweg zum Friedhof davon erzählt. Lange Zeit habe ihn das Unglück nicht losgelassen, berichtet der heute 74-jährige Heimatforscher. Noch heute, sagt er, geht er hin und wieder auf den Friedhof, bleibt vor dem Grabmal stehen und gedenkt derjenigen, die damals ihr Leben lassen mussten. Und einige andere scheinen es ihm gleich zu tun. Denn am 15. Mai lagen ein paar Blumen auf dem fast vergessenen Gedenkstein.