Der siebte „Star Wars“-Film „Das Erwachen der Macht“ wird heiß und innig erwartet. Falls er den Fans nicht gefallen sollte, wird das den Mythos „Star Wars“ nicht beschädigen. Der hat sich längst verselbstständigt. Wie hat er das eigentlich geschafft?

Stuttgart - Es gibt zwei Dinge, zu denen jeder Mensch auf Erden eine Meinung hat: das Wetter und „Star Wars“. Bei letzterem reicht das Meinungsspektrum aber viel weiter ins Leidenschaftliche. Der fiktive Kosmos, der in Filmen, Serien, Romanen, Comics, Spielen und einer Flut von Sekundärliteratur erweitert, erforscht, interpretiert und mystifiziert wird, lässt auch mehr Blickwinkel zu.

 

Es gibt nur einen Satz, auf den sich alle einigen können. Er bezieht sich auf den Urknall von „Star Wars“ im Jahr 1977. Er lautet: „So dürfte aber kein anderer Film anfangen!“

Buchstaben im Weltall

Wenn am Donnerstag fast alle Kinos den siebten „Star Wars“-Film präsentieren, „Das Erwachen der Macht“, haben die Besucher klare Vorstellungen, was sie bekommen möchten. Das war 1977, bei „Star Wars: Eine neue Hoffnung“, ganz anders. Aus der Werbung wussten Kinogänger, dass irgendwas mit Raumschiffen, Robotern, bizarren Figuren und vielen umwerfenden Tricks auf sie zukommen würde.

Und dann fing der Film mit Buchstaben an, mit einer nach hinten in die Tiefe des Weltalls wegziehenden Texttafel, die eine verwirrende Menge an Infos lieferte. Es gab also irgendwelche Rebellen, die gegen das Galaktische Imperium fochten; Spione hatten die Geheimpläne einer Megawaffe entwendet; just in diesem Moment floh eine gewisse Prinzessin Leia vor den Mächten des Reiches.

Waghalsige Wetten

Hätte George Lucas so einen Filmbeginn in einem Drehbuchkurs als Hausaufgabe abgegeben, er wäre hochkant hinausgeworfen worden. Aber er hatte ein viel besseres Gespür für das Publikum als alle alten Hasen Hollywoods. Dass die Zuschauer sich wohl dabei fühlen würden, mitten in ein schon laufendes, komplexes Geschehen hineingeworfen zu werden, war ja nur eine der waghalsigen Wetten, die er einging. Lucas, Jahrgang 1944, setzte auch darauf, dass das Publikum ein buntes Durcheinander der Stile, Epochen, Genres und Vorbilder viel unterhaltsamer finden würde als klare Genregrenzen.

Und so hat er denn in „Eine neue Hoffnung“ (1977), „Das Imperium schlägt zurück“ (1980) und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ (1983) das einander Fremde verkuppelt, Rittergeschichte, Western, Weltraumoper, Samurai-Drama, Erwählungsmärchen, Zweiter-Weltkriegs-Kracher, epische Fantasy und Teenieschnulze.

Der große Schauwerte-Wettlauf

Lucas wusste nicht nur, dass mittlerweile ein sehr jugendliches Publikum über Erfolg oder Misserfolg entschied. Nicht mehr der übergreifende Erzählbogen des Films schien wichtig, sondern der momentane Reiz. Also wechselte Lucas bedenkenlos zwischen Slapstick, Sentimentalität und Grimmigkeit. Dass er trotzdem in einer Alle-paar-Sekunden-ein-neuer-Schauwert-Show einen großen, über den Einzelfilm hinausgehenden Erzählbogen lieferte, war ein Paradoxon, das „Star Wars“ aus dem normalen Kinoangebot heraushob.

Die Mächte des Imperiums waren normierte Heerscharen, befohlen vom Finsterling Darth Vader, der Konzentration aller Kinderschreckgestalten. Die Rebellen waren Individuen, Aufgebote aus anderen kindlichen Traumwelten: Han Solo (Harrison Ford), eine Art Westernheld, die Prinzessin Leia (Carrie Fisher), die Lichtschwerter schwingenden Jedi-Ritter wie Obi-Wan-Kenobi (Alec Guinness), die beseelten Roboter R2-D2 und C-3PO und jede Menge Aliens, die jungen Zuschauern wie zu Gefährten emporgeblühte Haustiere vorkommen mochten.

Mosernde Fans

Aber Lucas setzte auch auf Tricktechnik. „So etwas habt ihr alle noch nie gesehen“ war ein zentrales Versprechen der Reihe, die eine neue Ära des Spezialeffekt-Wettlaufs einläutete. Nach „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ schien für Lucas das Machbare aber ausgereizt. Er wusste nicht, wie er das eigene Trickniveau noch einmal drastisch hätte anheben können.

Als er 1999 endlich weitermachte und die ganze Macht der neuen Computerbilder aufbot, da klangen die Fanfaren des klassischen Soundtracks von John Williams noch schmissig wie einst. Aber bei „Die dunkle Bedrohung“ (1999), „Angriff der Klonkrieger“ (2002) und „Die Rache der Sith“ (2005) hatten gerade die älteren Fans viel zu klagen. Bombast statt Charme, moserten die Fans im Internet.

Emanzipierte Schöpfung

Doch die neuen Filme, die der Welt die Vorgeschichte zu den Klassikern lieferten, schädigten den Nimbus von Lucas, nicht den von „Star Wars“. Die Schöpfung hat sich von ihrem Schöpfer längst emanzipiert, das „Star Wars“-Universum lebt in Millionen Köpfen und Herzen. Jedes Kind, das Figürchen und Modelle über den Kinderzimmerboden schiebt, ist ein Ko-Erzähler geworden. Die Filme sind nicht mehr die „Star Wars“-Welt, sie sind nur noch Panorama-Fenster in den Kosmos von Jedis, Klonkriegern und Reitsauriern. Enttäuscht der Blick einmal, ist nur das Fenster nicht sauber genug geputzt.

Die Frage nach dem Geheimnis

Worin besteht nun aber das zentrale Geheimnis von „Star Wars“, auf das der Regisseur J.J. Abrams und die Walt- Disney-Studios, an die Lucas das Franchise verkauft hat, unbedingt Rücksicht nehmen müssen? Vielleicht gibt es auf diese Frage so viele Antworten wie Fans. Nicht unwichtig ist gewiss, dass „Star Wars“ sich so offen kindlich gibt, in seinem Bezugskuddelmuddel ebenso wie in seinem Pfeifen auf alle Schulbuchphysik.

Diese doppelt mit allem belegte Mythenpizza durfte stets ohne Serviette gegessen werden, sie war ein Fest der Unlogik und des Staunenwollens und der schamfreien Naivität. Nirgends können viele Zuschauer so schnell wieder Kind werden wie beim Betreten in der „Star Wars“-Welt – die eben auch das kindlich Chaotische hat und nicht das pädagogisch Aufgeräumte der großen Animationsfilme für Jung und Alt.

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