Weil sie die Verweltlichung und die Unwürdigkeit des Klerus für den Niedergang des religiösen Lebens verantwortlich machten, haben sich im 12. Jahrhundert Christen selbst religiös aktiv betätigt.

Perouse - Was hat die Waldenser in den Augen der katholischen Kirche und vieler großer und kleiner Machthabern so verhasst gemacht? Sie haben als schlichte Leute gelebt, Bedürftige unterstützt und das Evangelium Christi nach dem Motto „lux lucet in tenebris“ (Das Licht leuchtet in der Finsternis) verkündet. Gerade das wurde ihnen angekreidet, denn sie rüttelten an den Festen der allmächtigen Kirche.

 

Ursprünglich als Gemeinschaft religiöser Laien Ende des 12. Jahrhunderts durch den Lyoner Kaufmann Petrus Valdes in Südfrankreich gegründet, wurden die apostolische Armut predigenden Waldenser, genannt auch Arme von Lyon, während des Mittelalters von der katholischen Kirche ausgeschlossen und als Häretiker durch die Inquisition verfolgt. Trotz der Zwangsmaßnahmen breiteten sich ihre Glaubensvorstellungen rasch in Europa aus und beeinflussten später auch die evangelischen Kirchen der Reformationszeit. Die Waldenser verstehen sich als wichtige Vorläufer des reformierten Protestantismus, die Kirchen sind sehr schlicht und haben weder Altar noch Kreuz.

Waldenser wurden mit Hexen gleichgedeutet

Ein wichtiges Rückzugsgebiet waren die Waldensertäler in den Westalpen, im Piemont an der Grenze zu Savoyen. Doch auch dort kam es Ende des 17. Jahrhunderts zu Vertreibungen. In Württemberg, Baden und in Hessen fanden mehrere Tausend Waldenser in neuen Siedlungen eine neue Heimat. Die Bezeichnung Waldenser wurde im Piemont, in Savoyen (Frankreich), in der Schweiz und in den Niederlanden zum Synonym nicht nur für Häretiker, sondern von ihren Gegnern mit Hexen, Zauberern, Magiern und Astrologen in Teufelsdiensten gleichgedeutet.

Die Wurzeln der Waldenser sind im Kontext eines gesellschaftlichen Phänomens zu sehen, das eine große Anzahl von Laien im ausgehenden 12. Jahrhundert erfasste: Aufgrund verschiedener Ursachen, insbesondere aber weil sie die Verweltlichung und die Unwürdigkeit des Klerus für den Niedergang des religiösen Lebens verantwortlich machten, versuchten viele Christen, sich aktiv religiös zu betätigen und in freiwilliger Armut dem Vorbild der Apostel Christi folgend das Evangelium zu verkündigen.

Unausweichlicher Konflikt mit der katholischen Kirche

Petrus Valdes (gestorben etwa vor 1218), ein reicher Kaufmann aus Lyon, gab nach einem Läuterungserlebnis sein Vermögen auf, organisierte um 1176 Armenspeisungen und hielt mit seinen Anhängern Wanderpredigten auf der Grundlage von volkssprachlichen Evangelienübersetzungen. Es kam unausweichlich zum Konflikt mit der katholischen Kirche, weil diese das Recht auf Predigt ihrem eigenen Klerus vorbehalten sah, und weil die Freigabe des Predigtrechts an Laien die Kirche in ihrer Existenz grundlegend in Frage gestellt hätte. Valdes wurde 1182/83, nachdem er dem durch den Lyoner Erzbischof Jean Bellesmains verhängten Predigtverbot nicht Folge leisten wollte, von diesem exkommuniziert und mit seinen Anhängern aus der Gegend vertrieben.

Die frühen Anhänger von Valdes, sowohl Männer als auch Frauen, verzichteten auf persönlichen Besitz und wurden deshalb in Südfrankreich als Arme von Lyon bezeichnet. Sie ließen sich die Bibel in die Volkssprache übersetzen und folgten dem biblischen Auftrag Christi an seine Jünger: Verkündet das Evangelium allen Geschöpfen. Sie kritisierten Missstände in der katholischen Kirche, betrachteten sich aber als ihre Mitglieder.

Nach der Exkommunikation Valdes’ durch den Erzbischof von Lyon aufgrund des Streits um die Laienpredigt wurden die Armen von Lyon 1184 erstmals in dem von Papst Lucius III. nach dem Konzil von Verona verfassten Edikt als Häretiker aufgeführt, mit dauernder Exkommunikation belegt und mit schweren Strafsanktionen bedroht.

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Ab den 1230/1240er-Jahren begann die Verfolgung durch die Inquisition. Diese Verfolgungen waren meist regional und für kürzere Zeiträume organisiert. Aber auch außerhalb der inquisitorischen Nachstellungen wurden Waldenser von lokalen Machthabern verfolgt. Bis in die Neuzeit kam es immer wieder zu Versuchen, das Waldensertum auch physisch auszurotten, insbesondere in Italien, Savoyen (Frankreich), Deutschland, Österreich und Böhmen.

Nach ihrer Vertreibung aus Lyon 1182/83 gewannen die Waldenser vor allem im südfranzösischen Languedoc neue Anhänger, waren aber bereits um 1184 auch in Oberitalien aktiv. Nach 1200 dürften die Waldenser auch den süddeutschen Sprachraum erreicht haben. Bis 1250 existierten hier bereits starke Gemeinden, insbesondere im österreichischen Donauraum und in Bayern, aber auch in Schwaben und im oberen Rheinland.

Fast 700 Jahre Verfolgung

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts existierten zwei waldensische Großgruppen: die südfranzösischen Armen von Lyon und die oberitalienischen lombardischen Armen unter ihrem Wortführer Giovanni de Ronco. Obwohl das mittelalterliche Waldensertum eher flach organisiert war, bildete es trotz Verfolgung immer wieder regional übergeordnete Leitungsgremien aus.

Nach der Zuerkennung ihrer religiösen Rechte und bürgerlichen Freiheit im Revolutionsjahr 1848 ging für die Waldenser eine fast 700-jährige Zeit der Verfolgung, Vertreibung und Unterdrückung zu Ende. Die Lettere Patenti sicherten ihnen das Recht der freien Berufswahl und das Recht auf Grunderwerb zu.

Noch heute wird in den italienischen Waldensergemeinden – aber auch in Perouse – die Unterzeichnung der Lettere Patenti jedes Jahr am 17. Februar festlich mit einem Freudenfeuer begangen.