Das Hofgut wird unter der Familie von Leininger eine Anlaufstelle für Vertreter eines radikalen Pietismus.

Renningen - Nicht nur eine umfangreiche Ausstellung zur Geschichte des Ihinger Hofs hat der Renninger Stadtarchivar Mathias Graner zusammengestellt, sondern auch ein Begleitprogramm mit sechs Vorträgen rund um die heutige Versuchsstation für Agrarwissenschaften der Universität Hohenheim. Am Sonntag wollten gut 100 Zuhörer vom Archivar des Hauses Württemberg, Eberhard Fritz, ein weiteres Kapitel der wechselvollen Geschichte des Ihinger Hofs erfahren.

 

Eberhard Fritz war aus dem oberschwäbischen Altshausen angereist, wo der Herzog von Württemberg und seine Familie im dortigen Schloss wohnen.

Der Ihinger Hof als Zentrum der Separatisten war das Thema des Kenners der württembergischen Geschichte, und wieder trat die Familie von Leininger in den Mittelpunkt der Betrachtung. Schon in einem vorausgegangenen Vortrag von Gerhard Renz spielte unter anderem Moritz Siegfried von Leininger eine Rolle. Mit den Separatisten, die Eberhard Fritz beleuchtete, waren radikale Pietisten gemeint, die vor allem im 17. und 18. Jahrhundert so weit gingen, dass sie sich von der evangelischen Kirche lösen wollten. In jener Zeit, als der Familie von Leininger das Hofgut gehörte, wurde der Ort zu einem Zentrum für die Vertreter dieser Glaubensbewegung.

Wichtiger Ort für radikale Pietisten

Eine zentrale Figur des Geschehens war die in Westfalen geborene Amalia Hedwig von Leininger, deren zum Reichsritterstand gehörender Mann der Obervogt des Amtes Herrenberg war, also ein höherer Beamter im Herzogtum Württemberg. Sie machte das Hofgut im 18. Jahrhundert zu einem wichtigen Ort für die radikalpietistische Bewegung, in dem sie dort deren Vertreter aus verschiedenen Ländern aufnahm. „Amalia verfügte über einen weiten Horizont, da ihre Familie nicht aus Württemberg stammte“, sagte Eberhard Fritz. Die Baronin verfasste zwei Bücher, in denen sie ihre Gedanken – sie war beispielsweise Pazifistin und bezeichnete Krieg als Sünde – ausbreitete. Die Bücher wurden mit Hilfe der wohlhabenden Calwer Radikalpietisten im „Ausland“, im hessischen Nassau, gedruckt und heimlich nach Württemberg gebracht.

Innerhalb des Pietismus habe es Kreise gegeben, die die Meinung vertraten, dass ein wahrer Christ seinen Glauben nur außerhalb der verfassten Kirche leben könne, erläuterte Fritz. Die Gefahr der Trennung von der Kirche sei groß gewesen. Der niedere Adel wie etwa die Leiningers habe oft nur ein kleines Gut besessen, aber mit dem Kirchenpatronat eines der wichtigsten Rechte, nämlich den Pfarrer einzusetzen, so Fritz. „Nach außen hin hielt sich der niedere Adel an die Gesetze von Württemberg, aber nach innen hin befolgten sie ihre eigenen Gesetze.“ Auf diese Weise konnten sie ihre Macht gegenüber dem Herrscherhaus demonstrieren, und so kamen auch immer wieder radikalpietistische Geistliche auf Pfarrstellen innerhalb der württembergischen Kirche.

Der Baron interessiert sich für Wissenschaft

Auch nach dem Tod von Amalia 1754 – sie wurde auf dem Ihinger Hof beigesetzt – blieb der Ort unter ihrem Sohn Moritz Siegfried von Leininger ein Treffpunkt von Separatisten. Der Baron interessierte sich für die Wissenschaft und richtete ein alchimistisches Labor ein – wie viele andere Radikalpietisten auch. Ab den 1770er Jahren begann er erfolgreich, Landwirtschaft mit wissenschaftlichen Methoden zu betreiben. Dies brachte ihm einige Besuche des Herzogs Carl Eugen ein, der sich vor allem für Pferde interessiert habe, sagte Fritz.

Moritz von Leininger brachte Pietisten unterschiedlicher Ausprägung auf dem Ihinger Hof zusammen, kirchenloyale ebenso wie Separatisten. Unter ihnen waren auch Johann Georg Rapp aus Iptingen bei Wiernsheim, der nach 1785 zum bedeutendsten Separatistenführer in Württemberg aufstieg und später in den USA Gemeinschaften gründete, sowie Michael Hahn, auf den die Hahn‘sche Gemeinschaft zurückzuführen ist, die heute noch besteht.