Eine Ausstellung befasst sich mit der Kirchenarchitektur der Nachkriegszeit.

Leonberg - Die Zahl Zwölf erscheint im Zusammenhang mit der Kirche wohl gewählt, scharte doch auch Christus mindestens zwölf Jünger um sich, die dann später zu den zwölf Aposteln wurden. Israel bestand zur Zeit Jesu aus zwölf Stämmen. Zwölf ganz besondere Sakralbauten aus der Nachkriegszeit zeigt die Wanderausstellung „Zwölf“ des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg.

 

Bei der Bevölkerung kamen die architektonischen Versuche häufig schlecht an, zu betonlastig, zu grau, zu schnörkellos in einer Zeit, die die Wucht der faschistischen Kolossalarchitektur zu verkraften hatte. Dabei sind sie oft sehr filigran, großzügig und weit im Innenraum, hoch aufgeschossen wie gotische Kathedralen, dem Himmel so nahe. Nicht wenige stehen sogar unter Denkmalschutz. Leonberg darf auch mit einem solchen Schmuckstück glänzen, der Versöhnungskirche. Das Bauwerk im Ramtel ist die vierte Station der Wanderausstellung „Zwölf“, die noch bis zum Sonntag, 27. Oktober, zu sehen ist.

Erinnerung an die Anfänge

Ausgestellt sind nicht nur Modelle der betreffenden Gebetshäuser. Die Gemeinden selbst bieten Programm dazu. So auch in Leonberg, wo jetzt Erntedank und gleichzeitig Herbstfest gefeiert wurden. Dank Axel Streicher ist ein Zeitzeuge mit gutem Gedächtnis gefunden worden, der nach dem Gottesdienst erzählte, wie das mit der Jugend so war in den späten 1960er Jahren, als das legendäre „Ramtel-U“ die Bevölkerung – zu Unrecht – in Angst und Schrecken versetzte. Doch davor musste das Gotteshaus, dessen Kellerräume unter dem Kirchturm den jungen Leuten eine Zuflucht boten und die den Namen „Ramtel-U“ erklären, erst einmal gebaut werden.

Axel Streicher erläutert im Interview mit Gemeindemitglied Henry Müller-Späth, wie der Stadtteil „hinter der Autobahn“ nach dem Zweiten Weltkrieg von Flüchtlingsfamilien aus dem Osten bevölkert wurde, die sich eine Kirche wünschten. Kulturelles Leben war Mangelware, also entschloss man sich zu einem Experiment – der „Kolonie im Ramtel“. Die offene Jugendarbeit war gar nicht vorgesehen, sie entwickelte sich von alleine.

Die 60er und 70er Jahre waren wild

Weil die Gymnasiasten zu dieser Zeit ihre eigenen Möglichkeiten zum Austoben hatten, wurde das Ramtel-U vorwiegend von Lehrlingen genutzt. Diese wiederum hatten schon ein wenig Geld und fuhren mit Rollern in den Hof. Schnell war so ein Gerücht im Umlauf, es war von einer Rockergang die Rede. Doch die Halbstarken waren ganz brav, wie Streicher betont, nur etwas laut. Quasi als sich selbst erfüllende Prophezeiung schließlich kam es 1973 dann doch zu einem Eklat, einige der „Rocker“ gerieten kurzfristig sogar in Polizeigewahrsam. Als es ein Jahr später auch noch zweimal brannte, kam das endgültige Aus für den in Eigenregie geführten Treff.

Die auf das Interview folgende Schlagermusik aus den 1960er Jahren passt zwar nicht ganz zu dem lange verwehten Geist des Ramtel-U, bietet aber dank Petticoat und engen Hosen einen gewissen angemessenen Retro-Charme. Im Schein einer goldenen Herbstsonne sind Familien und ältere Gemeindemitglieder in und vor der Kirche zusammengekommen, um mit dem Musikverein Lyra und im anschließenden Platzkonzert ein friedliches Fest zu feiern. Da es auf Spendenbasis stattfindet, kann sich Pfarrerin Elisabeth Nitschke über einen Überschuss für die Kirchturmsanierung freuen.

Kirche und Ausstellung

Die Versöhnungskirche mit dem markanten Turm. Landesdenkmalamt Versöhnungskirche:
Sie wurde zwischen 1963 und 1965 erbaut. Entworfen hat sie der Stuttgarter Architekt Heinz Rall. Den Blickfang des Betonbauwerks bildet der weithin sichtbare Turm. Er ist leicht abgeschrägt. Dazu ist das Dach der Kirche in Stufen angelegt, was auch im Inneren an den Seiten aufgegriffen wird. Hier gibt es geometrische Durchbrüche im Beton, durch die Licht einfallen kann. Den Namen Versöhnungskirche erhielt das Gotteshaus ein Jahr vor Eröffnung in einem Wettbewerb. Er soll verdeutlichen, wie wichtig die Versöhnung der Völker nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs ist.

Ausstellung: Etwa 1000 Kirchenbauten wurden zwischen 1960 und 1980 in Baden-Württemberg errichtet. Rund 150 Kirchen der sogenannten Nachkriegsmoderne sind inzwischen denkmalgeschützt. Die Ausstellung zeigt zwölf exemplarische Beispiele, die für diese theologische wie architekturgeschichtliche Umbruchzeit stehen. Von Juli 2019 bis Juni 2020 tourt die Ausstellung des Landesdenkmalamtes durch die jeweiligen Kirchen. Dort werden alle zwölf Bauten in 3D-Modellen vorgestellt, dazu gibt es virtuelle 360-Grad-Panoramen und historische Bilder zu sehen. Die Ausstellung in Leonberg ist noch bis Sonntag, 27. Oktober, zu sehen: montags von 11 bis 17 Uhr, dienstags bis freitags von 9 bis 17 Uhr sowie sonntags nach dem Frühgottesdienst bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.