Rückblick: In der Nacht zum 11. September 2019 bricht ein verheerendes Feuer aus. Es folgt der größte Einsatz in der Geschichte der Leonberger Feuerwehr.

Leonberg - Wenn es um den Brand in der Vergärungsanlage Leonberg geht, dann wird der Leonberger Feuerwehrkommandant Wolfgang Zimmermann ganz schnell ernst. „Eine Woche früher wäre es für uns schwer gewesen, das Feuer zu bewältigen“, sagt Zimmermann. Denn da waren noch Ferien gewesen. In der Nacht auf den 11. September 2019 war ein verheerendes Feuer in der großen Halle ausgebrochen, in der Bioabfälle zu Wärme und Kompost verarbeitet werden. Eine riesige Rauchsäule war oberhalb der Autobahn 8 zu sehen, es gab eine mächtige Explosion, das Feuer machte bundesweit Schlagzeilen. Die Ursache ist noch immer nicht geklärt. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Die Mitarbeiter waren nachts nicht im Dienst, die Einsatzkräfte äußerst vorsichtig. Doch was ist genau geschehen? Das Protokoll im Rückblick:

 

1:59 Bei der Feuerwehr Leonberg geht die Meldung über einen Brand in Eltingen, Richtung Seeäckerstraße ein. Doch schon bei der Fahrt wird klar: Das ist kein kleines Feuer. Der Himmel leuchtet orange, eine riesige Rauchsäule steht über dem Berg. „Als wir eintrafen, war das Dach der großen Halle schon auf 80 Metern Länge heruntergebrannt“, erinnert sich der Kommandant. „Es muss da schon einige Zeit gebrannt haben.“ Doch die Vergärungsanlage steht im Wald auf einer Anhöhe, weit weg von Siedlungen. Noch während der Fahrt wird Vollalarm für die Leonberger Wehr ausgelöst. Alle 210 Aktiven werden alarmiert, dazu die Führungsgruppe im Landkreis. Auch zusätzliche Tanklöschfahrzeuge werden angefordert. Denn auf dem Gelände gibt es keine Löschwasserleitung.

2:10 Das erste Löschfahrzeug und der Einsatzleitwagen treffen ein. Vor Ort stehen die Feuerwehrleute vor der ersten großen Hürde: Der Strom ist ausgefallen, das elektrische Tor zum Gelände geht nicht auf. Mit einem Trennschleifer muss es aufgeflext werden. Das Gelände wird erkundet, sofern es möglich ist. Dabei wird auch eine Drohne eingesetzt. Ein Teil des Hallendachs ist bereits eingestürzt, der Rest steht in Flammen. Auch der Biofilter brennt. Das ist ein 600 Quadratmeter großes Feld aus Holzstücken und Sägemehl, durch das die Gerüche der Abfälle gefiltert werden. Drei Fahrzeuge sind bereits ausgebrannt. Drei weitere können die Wehrleute retten, indem sie die Scheibe zum Betriebsgebäude einschlagen, die Schlüssel holen und sie wegfahren. Die Polizei sperrt die Landstraße nach Sindelfingen und die Kreisstraße nach Warmbronn ab. Die Geschwindigkeit auf der Autobahn wird vorsichtshalber auf Tempo 80 eingestellt. Über das Radio wird eine erste Warnmeldung gesendet, Türen und Fenster geschlossen zu halten.

2:40Die ersten Nachrücker treffen ein. Bis 3 Uhr versuchen die Einsatzkräfte, mit dem mitgebrachten Wasser in den Tanklöschfahrzeugen die übrigen Gebäude vor den Flammen zu schützen. Das Gelände wird in verschiedene Abschnitte aufgeteilt, die Zuständigkeiten zugeteilt. Das Deutsche Rote Kreuz trifft ein und richtet eine Verletztensammelstelle ein. Es wird Verpflegung für die 200 Einsatzkräfte vorbereitet, die mittlerweile da sind. Auch der erste Landesbeamte und damit Stellvertreter des Böblinger Landrats, Martin Wuttke, kommt in der kreiseigenen Vergärungsanlage an. Zwei Löschfahrzeuge aus Renningen und Rutesheim treffen in der Wache in Leonberg ein, um dort bis 7 Uhr den Grundschutz für die Stadt sicherzustellen. Die Messgruppe des Landkreises untersucht die Luftbelastung durch den Rauch, der in Richtung Warmbronn zieht. Die Rauchsäule ist zu diesem Zeitpunkt zwei Kilometer hoch. Der Stuttgarter Flughafen hat noch keinen Flugbetrieb aufgenommen und meldet, dass es durch das Feuer keine Beeinträchtigungen gab. Immer mehr Fahrzeuge und Einsatzkräfte aus anderen Kommunen kommen zur Unterstützung. Auch ein Polizeihubschrauber überfliegt das Gebiet und sucht mit Wärmebildkameras nach Menschen.

Eine massive Explosion

3:10 Ein Tank mit rund 7000 Litern Flüssiggas explodiert. „Ohne Vorwarnung“, sagt Feuerwehrkommandant Zimmermann. Die Flammensäule sticht 50 Meter in den Nachthimmel empor. „Die Leute sind die Böschung runter gesprungen, um sich in Deckung zu bringen“, erinnert er sich. Glücklicherweise gab es nur ein paar Schürfwunden. Dabei hätte es auch ganz anders ausgehen können. „Wir waren uns der Gefahrenlage bewusst. Überall gab es größere und kleinere Gastanks. In der brennenden Halle sind immer mal wieder welche explodiert. Deshalb haben wir gesagt, alle Einsatzkräfte tragen die komplette Ausrüstung“, betont der Kommandant. Man habe zudem eine Sicherheitszone eingerichtet. Als der große Tank explodierte, sei man gerade dabei gewesen, ein so genanntes Löschunterstützungsfahrzeug in Stellung zu bringen. Das ist ein ferngesteuerter Löschroboter, ein unbemannter Wasserwerfer auf einem Raupengestell. „Wir wollten unbedingt den Biogasreaktor halten, weil von ihm die größte Gefahr ausging“, erklärt Wolfgang Zimmermann.

3:30 Die nächste große Hürde ist die Wasserversorgung. Unterhalb des Geländes gibt es eine Wasserzisterne mit 50 000 Litern, zu der eine doppelte Leitung aufgebaut wird. Doch das Wasser droht wegen der Größe des Brandes schnell zur Neige zu gehen. Vier große Tanklöschfahrzeuge aus Stuttgart, Ludwigsburg und Pforzheim sind angefordert. Es werden Leitungen zu Wasserentnahmestellen in Warmbronn, Sindelfingen und am Leonberger Rappenhof gelegt. Das Wasser wird in die Zisterne gepumpt. Der Verpflegungsdienst des DRK Rutesheim, der auf Großeinsätze spezialisiert ist, bereitet 60 Liter Kaffee zu.

4:10 Weitere Kräfte des DRK werden wegen der Explosion alarmiert. Sie kommen aus Aidlingen, Weil der Stadt, Renningen, Weissach, Magstadt und Maichingen. Die Brandermittler der Polizei sind da und dokumentieren den Einsatz.

5:30 Die Presse ist vor Ort. Wolfgang Zimmermann gibt erste Interviews vor fünf Kamerateams und zehn Reportern. Die Meldungen werden bundesweit gesendet. Die Verletztensammelstelle ist einsatzbereit. Der Verpflegungsdienst bringt Kaffee, Kaltgetränke und Brezeln.

6:11 Der Brand ist unter Kontrolle, eine weitere Ausbreitung wird nicht mehr befürchtet. Zwar werden die auswärtigen Feuerwehren nach und nach wieder heimgeschickt. Der Einsatz ist aber noch lange nicht beendet. Sorge bereitet vor allem die Leitung vom Gärturm zur explodierten Gasblase, wo weiterhin eine große Flamme brennt. Hier wird ein Spezialist aus dem Landkreis Ravensburg hinzugezogen.

7:00 Am Brandort findet der erste Schichtwechsel statt. Die Rettungskräfte des DRK werden reduziert, die Verletztensammelstelle abgebaut. „Angehörige des DRK müssen bei Einsätzen nicht vom Arbeitgeber freigestellt werden, wie dies bei der Feuerwehr der Fall ist“, erklärt David Korte, stellvertretender Vorsitzender des Leonberger Ortsvereins. Das DRK Rutesheim beschafft einen Imbisswagen sowie Brätchen und Würstchen für 160 Leute. Weitere Mahlzeiten um 11 und 13 Uhr. Die Straßenmeisterei Leonberg übernimmt die Straßenabsperrungen von der Polizei.

9:00Weil auf der kompletten Anlage der Strom ausgefallen ist, wird das Technische Hilfswerk aus Leonberg angefordert. Vom THW Böblingen wird ein Toilettenwagen geholt.

10:00 Der Fachberater Biogasanlagen der Feuerwehr Bad Waldsee trifft ein. Auf seinen Rat hin wird eine provisorische Fackel installiert, eine Art Trichter, wodurch das austretende Gas kontrollierter abbrennen kann. Auch der Oberbürgermeister Martin Georg Cohn trifft am Brandort ein. Gemeinsam mit Vertretern von Landkreis und Regierungspräsidium wird die Lage sondiert und das weitere Vorgehen besprochen. So wird in der Folge oben an der Anlage ein Container mit 20 000 Litern Fassungsvermögen für die Löscharbeiten aufgestellt. Dieser wird über Tanklöschfahrzeuge sowie einen Kanalspülwagen der Stadt befüllt.

Der Brand ist unter Kontrolle

15:00Pressekonferenz mit Landrat Roland Bernhard, Oberbürgermeister Martin Georg Cohn, dem stellvertretenden Kreisbrandmeister Rainer Just sowie Kommandant und Einsatzleiter Wolfgang Zimmermann. Bernhard verspricht den Wiederaufbau der Anlage. Es bleiben viele Fragen offen: Warum wurde kein Brandalarm ausgelöst, wenn die Warnanlage doch funktionierte? Das DRK Rutesheim bereitet Lunchpakete für den Abend und die Nacht vor.

18:00 Die Löschmaßnahmen im Außenbereich sind soweit abgeschlossen. Da Teile der Hallen einsturzgefährdet sind, darf dort keiner hin. Eine Brandwache bleibt vor Ort. Das THW leuchtet den Einsatzort aus. 18 Helfer aus Leonberg, Böblingen und Calw bauen drei Lichtmasten auf. Die Leonberger bleiben über Nacht. Ein Tanklöschfahrzeug ist weiter unterwegs. Die letzten Einsatzkräfte, die um 2 Uhr alarmiert wurden, treten den Heimweg an. Es werden für die Folgezeit 8-Stunden-Schichten festgelegt. Die vier Leonberger Abteilungen mit 162 ehrenamtlichen Helfern wechseln sich ab. Gegen 19 Uhr beendet auch der Sanitätsdienst des DRK seinen Einsatz. Insgesamt waren 33 Einsatzkräfte und sechs Fahrzeuge vor Ort.

Tag 2 Die Überreste der Hallen werden abgerissen. Danach beginnt das langwierige Ausräumen und Ablöschen der Bioabfälle durch Radlader des Abfallwirtschaftsbetriebes. Dies dauert von Donnerstagvormittag bis zum Samstagabend. Das Löschwasser wird in einem Rückhaltesystem aufgefangen und abtransportiert. Das Rutesheimer DRK sorgt weiterhin für die Verpflegung. An den vier Tagen sind die Helfer über 220 Stunden damit beschäftigt. 705 Essensportionen wurden eingekauft, zubereitet und geliefert, dazu 110 Liter Kaffee.

Tag 4 Gegen 21 Uhr sind endlich die letzten Glutnester gelöscht. Vorsorglich bleibt eine Brandwache vor Ort.

Tag 5 Gegen 7 Uhr beendet die Brandwache ihren Dienst und kehrt zur Feuerwache zurück. Bis 12 Uhr werden die Fahrzeuge und Geräte gereinigt. Der Einsatz ist für die Leonberger Wehr damit nach 106 Stunden beendet. „Am Ende waren wir einfach nur froh, dass alle heil und unverletzt herausgekommen sind“, sagt Kommandant Wolfgang Zimmermann. Das THW hat um 8 Uhr mit dem Abbau der Lichtmasten begonnen und den Einsatz gegen 11 Uhr beendet. Insgesamt 50 Helfer waren dabei.