Zum allerersten Mal hat das Kultusministerium 2018 den Unterrichtsausfall dokumentieren lassen.

Böblingen - Wenn morgens bei Stefan Kunze das Telefon klingelt, steigt der Stresspegel. Der Rektor der Würmtalschule Merklingen weiß: Meistens ist ein Kollege dran, der mit 38 Grad Fieber im Bett liegt. „Vertretungslehrer, die dann einspringen könnten, haben wir aber schon lange nicht mehr“, berichtet er. Der Lehrer-Arbeitsmarkt ist leer gefegt, da sei er schon froh, dass der Regelunterricht gesichert ist.

 

Die Folge: Unterricht fällt aus. Wie viel das aber wirklich ist, war bisher unbekannt. Im vergangenen Jahr nun hat das Kultusministerium alle Schulen im Land zum ersten Mal eine Woche lang Buch über alle ausgefallenen Stunden führen lassen. Die Zahlen sind unterschiedlich: Am wenigsten Unterricht fällt an den Grundschulen aus, am meisten an weiterführenden Bildungseinrichtungen. Die Werte für den Kreis Böblingen seien „überwiegend gut“, bilanziert Angela Huber, die Leiterin des Böblinger Schulamts, das alle Schulen – außer die Gymnasien – verwaltet. „Dass Unterricht umfänglich stattfindet, ist ein Ziel, an dem wir beständig arbeiten.“

Zwei Stunden Planung – täglich

Gefragt sind da vor allem die Schulleitungen vor Ort. Das erlebt auch Gaby Bundschuh, die Direktorin des Renninger Gymnasiums. Zwei Stunden sitzt ihr Stellvertreter Ulrich Limbach an der Stundenplan-Planung – täglich. „Erst gestern hat er vier Stunden lang die Verlegungen rund ums Abi geplant“, berichtet sie. Das zeigt aber auch: Verantwortlich für Unterrichtsausfall sind längst nicht immer Schnupfen und Grippe. Nur ein Drittel machen Krankheiten aus, hat man am Renninger Gymnasium ausgerechnet. Dazu kommt ein Drittel, weil die Lehrer auf Exkursionen sind, und ein weiteres Drittel, weil sie verhindert sind, zum Beispiel wegen Fortbildungen oder Konferenzen.

„Ich bin selbst überrascht, dass Krankheiten nicht die Mehrzahl der Ausfälle ausmachen“, sagt Bundschuh. Sie selbst kann das aber bestätigen. In ihrem letzten regulären Schuljahr in Weilimdorf, als sie noch nicht Schulleiterin war, hat sie das selbst mal zusammengerechnet. Sie kam auf 20 Fehltage. „Ich war aber keinen einzigen Tag krank“, sagt die Pädagogin. Zwei Austausche nach Frankreich und England hat sie begleitet, war im Abitur gebunden. „Und all das ist ja auch Arbeit, die den Schülern zugute kommt.“

„Eine Momentaufnahme“

Dementsprechend hoch ist die Zahl für die Gymnasien. 4,5 Prozent des Unterrichts ist an dieser Schulart im Kreis Böblingen ausgefallen. „Dabei handelt es sich um eine Momentaufnahme“, erklärt Stefanie Paprotka, die Sprecherin des Stuttgarter Regierungspräsidiums, das die Gymnasien beaufsichtigt. „Im Unterschied zu den meisten anderen Schularten gilt am Gymnasium das Fachlehrerprinzip, so dass eine Vertretung nur fachspezifisch möglich ist.“ Auch an den Gymnasien gebe es Lehrermangel, vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern herrsche ein Engpass. „Da zu wenig Vertretungslehrer zur Verfügung standen, war der Unterrichtsausfall nicht vollständig fachspezifisch abzudecken“, erklärt Paprotka.

Die Schulen vor Ort tun dennoch ihr Möglichstes. „Die Kollegen übernehmen Mehrarbeit“, berichtet Gaby Bundschuh, die Leiterin des Renninger Gymnasiums. Klassen würden zusammengelegt, zudem hat sie derzeit drei Vertretungslehrkräfte am Gymnasium Renningen.

Stefan Kunze hat in Merklingen Protokoll geführt

Stefan Kunze, der Rektor der Würmtalschule in Merklingen, kann davon nur träumen. Bei ihm an der Grundschule ist die Situation besonders prekär, denn an dieser Schulart darf der Unterricht überhaupt nicht ausfallen. Von 7.45 bis 12 Uhr müssen die Kinder betreut werden. Darum auch die guten Zahlen von nur einem Prozent Ausfall. Kunze hat das für eine Woche dokumentiert: 44 Stunden wären eigentlich ausgefallen, weil die Lehrer abwesend waren. Tatsächlich haben davon aber nur drei Stunden nicht stattgefunden. Eine Stunde übernahm ein Jugendbegleiter, vier Stunden unterrichtete sein Vorgänger Georg Neininger. 37 Stunden stemmten die Kollegen durch Mehrarbeit. „Das stößt bei meinem Kollegium nicht gerade auf Begeisterung“, berichtet der Rektor. Viel davon übernimmt er daher gleich selbst.

Auffällig ist zudem die hohe Zahl von 5,3 Prozent an den Realschulen im Kreis. Im Landesdurchschnitt sind das nur 3,9 Prozent. „Die Erhebung fand im November statt, in der typischen Erkältungszeit“, sagt die Schulamtsdirektorin Angela Huber dazu. Sie verweist aber auch hier auf das Fachlehrerprinzip, das auch für die Realschule gelte. „Chemieunterricht kann zum Beispiel nicht ohne weiteres von einem Geschichtslehrer oder umgekehrt erteilt werden“, sagt Huber.

Sie lobt ihre Kollegen vor Ort. „Die Schulen leisten sehr engagierte Arbeit“, sagt die Chefin aller Grund-, Haupt-, Gemeinschafts- und Realschulen im Kreis „Aber die Pensionierungswelle ist auch im Landkreis Böblingen spürbar.“ Beschwerden von Eltern gebe es bei ihr im Schulamt nicht auffällig häufig.