Vor allem an den Grundschulen fehlen die Pädagogen. In Ditzingen sind die Folgen krass. An der Gemeinschaftsschule fällt erstmals seit den 60ern Pflichtunterricht aus. 

Kreis Ludwigsburg - Die Schule endet um 14 Uhr statt um 15 Uhr, freitags ist für alle Klassen nach der vierten Stunde Schluss. „Es gibt das allererste Mal eine Kürzung im Pflichtunterricht“, beklagt der Rektor Jörg Fröscher die Situation an seiner Theodor-Heuglin-Gemeinschaftsschule in Ditzingen. Er müsste die Lücke schließen, die vier schwangere Grundschullehrerinnen hinterlassen haben. Doch das Schulamt hatte keinen Ersatz, sagt Fröscher. Zwar habe die Behörde getan, was sie habe tun können. Doch „es ist niemand da“. Erstmals seit den 1960er Jahren gebe es einen „echten Lehrermangel“, sagt Fröscher. Ihm fehlen Lehrer für wöchentlich 97 Unterrichtsstunden. Durch Kürzung und Umorganisation wurde die Situation etwas entschärft. Dennoch fallen wöchentlich zwei Stunden weg. Das wird bis Schuljahresende so bleiben.

 

Ein extremes Beispiel?

Fröschers Situation mag ein extremes Beispiel für den Lehrermangel im Land sein, da er gleich vier Lehrkräfte langfristig ersetzen muss. Dem Kultusministerium ist kein vergleichbarer Fall bekannt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hingegen spricht von „einem so großen Lehrermangel an Grundschulen, wie er noch nie da gewesen ist“. Zu Beginn des aktuellen Schuljahres konnten laut der GEW rund 500 Lehrerstellen nicht besetzt werden. Die Schulen im Landkreis Ludwigsburg waren allerdings „am ersten Schultag zu hundert Prozent grundversorgt“, teilt das Schulamt mit. Pflichtunterricht, Ganztages- und Förderunterricht seien abgedeckt worden. „Trotz der angespannten Unterrichtsversorgung konnte der Unterrichtsausfall bei langfristigen Ausfällen – die uns bisher bekannt sind – relativ gering gehalten werden“, sagt der Behördenleiter Hubert Haaga. Es sei bisher fast durchgängig gelungen, auch durch die Hilfe des Kultusministeriums, Ersatz zu beschaffen. Ein einmaliger Effekt verschärfte laut dem Ministerium die Situation noch: Durch die Verlängerung des Studiums um zwei auf nun acht Semester sind 2017 400 Pädagogen weniger einsatzbereit als üblich.

Zu den Initiativen des Ministeriums zählt Haaga die Aufstockung von Lehrerdeputaten, die Gewinnung von Pensionären, beurlaubten Kollegen und Pädagogen anderer Schularten, sowie Mehrarbeit. Nicht erfasst werden vom Schulamt allerdings die kurzfristigen Ausfälle, die sich bei einer Grippewelle laut Haaga ebenfalls zu erheblichen Personalengpässen summieren können. „Wir gehen davon aus, dass in diesen Phasen Unterrichtsausfälle nicht vollständig zu vermeiden waren“, schränkt der Behördenleiter deshalb ein.

Inwiefern das Maßnahmenpaket des Ministeriums greift, ist unklar. Die GEW berichtet von 800 Gymnasiallehrern, die dieses Schuljahr angeschrieben worden seien – nicht mal 30 von ihnen hätten sich für die Arbeit an einer Grundschule beworben. Das Ministerium bestätigt die Zahlen.

Der GEW-Geschäftsführer Matthias Schneider nennt den Vorstoß des Landes eine „Notlösung“. Zumal das Grundproblem der mangelnden Lehrerversorgung damit nicht gelöst werde. Denn auch „bei den Realschulen droht ein Engpass“. In Ditzingen ist er schon da: Heiderose Hügle kann drei Lehrer nicht ersetzen. Die Rektorin ist seit 20 Jahren in leitender Funktion tätig. Aber „so eine Situation habe ich noch nie erlebt“. So schwierig wie in Ditzingen ist die Situation andernorts nicht. „Kurzfristige Ausfälle sind zu bewältigen“, sagt etwa Astrid Awad, die geschäftsführende Schulleiterin Korntal-Münchingens. Allerdings könnten Langzeitausfälle die Schulen in Nöte bringen. „Es hängt immer davon ab, wann eine Lehrkraft ausfällt und eine Schule Ersatz braucht.“ Di e Liste der Stellen im Vertretungsfall sei wegen fehlender Grundschullehrer kürzer geworden.

Die Liste der Vertretungsleher ist kürzer geworden

Aus Sicht des GEW-Geschäftsführers Schneider sind „Fehlplanungen“ in mehrfacher Hinsicht der Vorgängerregierungen für den Mangel verantwortlich: Studienplätze seien abgebaut, der Trend zu steigenden Geburtenraten sei nicht berücksichtigt worden, obwohl auch die damit verbundenen Schülerzahlen planbar gewesen wären. Schon 2012 hätten selbst die Schulleiter die Zahlen des Statistischen Landesamtes angezweifelt, berichtet auch Fröscher. Das inzwischen CDU-geführte Kultusministerium sieht das Versäumnis bei der grün-roten Vorgängerregierung. „Sie hätte reagieren müssen“, sagt eine Sprecherin. Die Fehlplanung spiegelt sich in Zahlen wider: 2017 waren laut dem Ministerium von 5100 zu besetzenden Stellen 4300 Ersatzbedarf. Diese Stellen wurden überwiegend frei, weil Pädagogen in den Ruhestand gingen. Dieser Trend hält – abgeschwächt – 2018 und 2019 an.

Pensionierungswelle
Steigende Schülerzahlen – durch mehr Geburten und Zuwanderung –, bildungspolitische Ziele wie die Ganztagsschule und eine Pensionierungswelle, die wohl noch drei Jahre lang dauert: Im Südwesten gehen vor allem den rund 2500 Grundschulen mit derzeit etwa 380 000 Schülern die Lehrer aus. Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg war Anfang September 2017 an den Grundschulen ein Drittel der Stellen unbesetzt. Aktuell gibt es rund 22 000 Grundschullehrer.

Verschärfung Der Bildungswissenschaftler Klaus Klemm ist in einer Studie im Auftrag der GEW zu dem Ergebnis gekommen: Im Jahr 2030 könnten im Land rund 9000 Grundschullehrer in den Klassen eins bis vier fehlen. Um künftig alle Stellen zu besetzen, werden rund 19 000 Grundschullehrer nötig sein. Bleiben die Studienzahlen gleich, ist jedoch mit lediglich 10 500 Berufseinsteigern zu rechnen. Nächstes Schuljahr fehlen im Land mindestens 500 Grundschullehrer: Den 1600 freien Stellen stehen nur 1100 Bewerber gegenüber.