Ulinka Rublack liest am Ort des Geschehens aus ihrem Werk „Der Astronom und die Hexe“ – und hat einen Wunsch mitgebracht.

Leonberg - Der Saal im Alten Rathaus in Eltingen ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Draußen stehen die Besucher in der Kälte Schlange. Die Stadtarchivarin Bernadette Gramm ist selbst erstaunt über das große Interesse. Dann packen alle gemeinsam an und stellen die Stuhlreihen etwas enger. So passen weitere Sitze in den Raum. Dennoch müssen einige Besucher mit Stehplätzen Vorlieb nehmen.

 

Ein ungewöhnlicher Andrang ist das für eine Buchlesung. Doch das Thema scheint die Menschen auch heute noch zu berühren, obwohl es schon über 400 Jahre alt ist. „Der Astronom und die Hexe“ lautet der reißerische Titel eines kürzlich auf Deutsch erschienen Buches über den in Leonberg aufgewachsenen Astronomen und Mathematiker Johannes Kepler und den Hexenprozess um seine Mutter Katharina. Der Titel leitet etwas in die Irre, denn letztlich konnte Katharina Kepler nach einem sechs Jahre währenden Prozess und einem „Gottesurteil“ 1621 keine Schuld nachgewiesen werden, sie wurde freigelassen. Auch die Autorin, die Historikerin Ulinka Rublack, gebürtige Tübingerin und Professorin an der renommierten Universität im englischen Cambridge, kommt nach dem Studium der Quellen zu dem Schluss, dass die Anklagen gegen Katharina ungerechtfertigt waren.

Es ist eines der am besten erhaltenen städtischen Archive

Ulinka Rublack konnte die historischen Quellen am Originalschauplatz studieren. Im Alten Eltinger Rathaus befindet sich das Stadtarchiv, in dem die damaligen Gerichtsakten noch erhalten sind. Rublack lobt die gute Quellenlage in Leonberg, „sonst hätte ich das Buch nicht schreiben können“, sagt sie. „Es ist eines der am besten erhaltenen städtischen Archive in ganz Deutschland zu dieser Zeit.“ Es sei ein Glück, dass die Gerichtsbücher sehr gut im Original erhalten sind und nicht wie heute üblich digitalisiert und dann teilweise vernichtet werden. Aus diesen Akten geht laut Rublack eindeutig hervor, dass Katharina Kepler nicht so streitsüchtig war, wie sie gerade im angloamerikanischen Raum oft dargestellt wird.

Als Kepler an seinem wichtigsten naturwissenschaftlichen Werk arbeitete, der „Weltharmonik“, geht es für seine Mutter um Leben und Tod. Katharina Kepler wird 1615 der Hexerei angeklagt. Sie entspricht den damals herrschenden Vorstellungen einer Hexe: Klein, mager, klatschsüchtig und zänkisch wird sie beschrieben. Außerdem gilt sie als naturheilkundig.

Katharinas Nachbarn schwören auf die Bibel, dass die alte gebrechliche Dame durch verschlossene Türen gegangen sei oder ihnen mit Kräutertränken geschadet habe. Ihr Sohn eilte ihr zur Hilfe, um sie im anstehenden Prozess zu verteidigen. „Sehr wahrscheinlich wäre sie ohne das energische Auftreten ihres Sohnes und dessen Einfluss als kaiserlicher Mathematiker und Astronom als Hexe verbrannt worden“, sagt Rublack.

„Sie war keine Heilerin“

Ob sie denn tatsächlich eine Kräuterfrau gewesen sei, wird aus dem Publikum gefragt. „Sie war keine Heilerin“, stellt Rublack klar. Damals gab es kaum Apotheken, nur Hausmedizin, und alle haben Kräuter verwendet. „Sie hat sie der Familie und Freunden angeboten, hat die Kräuter aber nie für Geld verkauft“.

Wie es dann überhaupt zu den verleumderischen Anschuldigungen gekommen sei, fragt ein anderer Besucher. Darauf geht die Autorin in ihrem letzten Buchkapitel ein, ihrem „Lieblingskapitel“, wie sie sagt. Johannes Kepler vermutet, dass er selbst mit Schuld war.

Als Student hatte er 1609 ein Manuskript verfasst, das aus heutiger Sicht als erster Science-Fiction-Roman zu sehen ist, Keplers Traumerzählung über eine Reise zum Mond. Er beschreibt dort einen Wissenschaftler, dessen Mutter eine Hexe ist, die mit einem guten Dämon in Verbindung steht.

Ob jemand das unveröffentlichte Manuskript gelesen und daraus seine Schlüsse gezogen hat, kann er nur vermuten. Viele Jahre später lässt er es drucken und stellt dabei klar, dass es sich dabei um eine erfundene Geschichte handelte und keineswegs um ihn und seine Mutter.

Eine noch stärkere Würdigung von Johannes und Katharina Kepler in Leonberg wünscht sich Ulinka Rublack zum Schluss der Lesung. „Es ist an Ihnen, Katharina Kepler mehr ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, etwa mit einer Skulptur“.