Lisa Kießling hat sich auf pferdegestützte Interventionen bei Kindern mit ADHS spezialisiert.

Leonberg - Wenn Lisa Kießling als Kind überschüssige Energie hatte, zappelig und unausgeglichen war, schickte ihre Mutter sie mit dem Pferd raus in die Natur. Oder sie tobte sich mit ihren Freunden aus, kletterte auf Bäume. „Dann war es wieder gut“, sagt die 29-Jährige aus Friedersdorf in Sachsen-Anhalt.

 

Von einer Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, kurz ADHS genannt, sei nie die Rede gewesen, sagt die studierte Pädagogin mit Schwerpunkt Psychologie, die während ihres Studiums die Leitung der Reittherapie der Psychiatrie Chemnitz übernommen hatte. 2016 machte sie sich selbstständig und führt seitdem eine Firma für aktives Coaching und Therapie. „Wenn ich so überlege, erkenne ich bei mir einige Symptome, die auf ADHS schließen könnten“, sagt Kießling, die gestern zum Auftakt des Leonberger Pferdemarktes als Referentin beim Seminar für Therapeutisches Reiten im Reiterzentrum Tilgshäusle eingeladen war.

Es muss nicht immer gleich ADHS sein

Wer hyperaktiv, impulsiv oder auch unaufmerksam sei, müsse nicht zwingend an ADHS erkrankt sein, sagt die Fachfrau, die, bevor sie sich selbstständig machte, zweieinhalb Jahre einen Berittstall mit 25 Ausbildungspferden hatte und zudem eine Ausbildung zur Psychotherapeutin begann. Sie arbeitet viel mit betroffenen Menschen im Kindesalter zusammen. Ihr Seminar-Thema lautete daher „Pferdegestützte Interventionen bei Kindern mit ADHS“. Lisa Kießling, Mutter eines kleinen Jungen, nimmt die Krankheit, die vor allem in den vergangenen Jahren fast schon zu einer „Modeerscheinung“ wurde, ernst. „Es gibt viele Kinder mit krankheitswertigen Symptomen.“ Dabei warnt sie aber auch, alle lebhaften Kinder gleich mit einem Stempel zu versehen.

Erschreckend findet sie die Tatsache, dass es momentan in Deutschland rund 808 000 Menschen mit der Diagnose ADHS gibt. Und während im Jahr 2002 noch 34 Kilogramm des Medikamentes mit dem betäubenden Wirkstoff Methylphenidat verschrieben wurden, seien es 2012 bereits 1,8 Tonnen gewesen. „Da muss man sich natürlich fragen, welchen Einfluss die Pharmaindustrie hat“, sagt Lisa Kießling, die sich selbst bei ihrer Behandlungsform auf den tiefenpsychologischen Ansatz spezialisiert. „Fragen Sie immer, weshalb ein Kind so ist, wie es ist, das hat immer einen Grund, und oft stecken verborgene Konflikte dahinter.“