Mit dem Stück „Komm, schöner Tod“ erinnert das Heimatmuseum an die NS-Kindermorde.

Weissach - Im Jahr 1933 wird das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von den Nationalsozialisten verabschiedet. Die Grundlage für Zwangssterilisation körperlich, psychisch oder geistig Kranker und asozial stigmatisierter Menschen ist damit geschaffen. Mehr als 200 000 Anstaltsinsassen fallen der Rassenideologie zum Opfer. Darunter unzählige Kinder, die mit einer Überdosis an Medikamenten ermordet werden. Eines dieser Kinder ist die dreijährige Gerda Metzger aus Flacht, getötet am 12. Juli 1943 in der Stuttgarter Kinderfachklinik.

 

In der Ausstellung „Die Kinder und der Tod“, erinnert die Stuttgarter Malerin Mechtild Schöllkopf-Horlacher an sie. Sie gibt dem Unfassbaren ein Gesicht – den vielen Kindern, die aus rasseideologischen oder erbbiologischen Gründen heimtückisch von den Nationalsozialisten umgebracht wurden. Das dokumentarische Theaterstück „Komm, schöner Tod“, aufgeführt vom Theater La Lune im Heimatmuseum Flacht am Sonntag, knüpft direkt an das erschütternde Schicksal der kleinen Gerda Metzger an. Das Stück muss gleich zweimal aufgeführt werden, da der Andrang so groß ist.

Eine Collage aus Gesprächen wird eingespielt. Wortfragmente wie „Pränatale Diagnostik“ und „Fruchtwasseruntersuchung“ werden in den Raum geworfen, auch einzelne Sätze sind zu hören. „Trauer, dass wir ein kaputtes Kind bekommen…“ Im Hintergrund läuft der Film eines kleinen Mädchens auf einer Schaukel. Das Kind hat Trisomie 21. Es sieht glücklich aus, sprüht vor Leben und symbolisiert alle „kaputten Kinder“, die nicht in die gesellschaftliche Norm passen.

Verstörend und aufrüttelnd

Dann betreten die Schauspieler Julianna Herzberg und Jan Uplegger den Raum. Sie halten einen Dialog – verstörend, aufrüttelnd. Darf man überhaupt noch ein Kind in diese Welt setzen, und weshalb vermehren sich Leute die keine Verantwortung übernehmen, wie die Karnickel? Wie Maschinengewehrsalven prasseln die Worte im Stakkato auf das Publikum ein. Eine frappierende Ähnlichkeit zu der Rassen-ideologie der Nationalsozialisten zeichnet sich ab: „Die Welt ist überbevölkert von minderwertigen Menschen. Diese sollten keine Kinder bekommen“ Die Sätze haben es in sich. Es erinnert an die Einführung der Zwangssterilisation 1933.

Dann wieder ein kurzer Einblick in Gerdas Leben. Auch ihre Familie wurde stigmatisiert. Der Großvater ein Alkoholiker, die kleine Gerda behindert – spastische Lähmung. Grund genug, dass Gerda nach einer Zwangsuntersuchung ihrer Mutter entrissen wird und in die Stuttgarter Kinderfachklinik kommt. Am nächsten Tag ist sie tot – getötet mit dem Schlafmittel Luminal. Der Leiter der Kinderklinik, der NS-Arzt Karl Lempp, wird im Jahr 1947 vom Vorwurf der Euthanasie-Morde freigesprochen. 2000 Reichsmark Sühnebeitrag muss er leisten – es ist die Mindeststrafe für solche Fälle. Er hat mehr als 50 Kinder ermordet. Im Jahr 1963 wird das Verfahren gegen seine Assistentin Magdalena Schütte, die ehemalige NS-Ärztin in der Stuttgarter Kinderfachklinik, eingestellt. 20 Jahre arbeitet sie noch als Chefärztin in Aalen, bis sie 1980 stirbt.

Wie sieht der perfekte Mensch aus?

Die Dialoge der beiden Schauspieler rütteln auf. Erbarmungslos werden Details der Euthanasie ins Licht gezerrt und zugleich die Parallelen zu der heutigen Gesellschaft aufgezeigt. Passt ein krankes Kind in eine Gesellschaft, deren Hauptgedanke der Perfektionismus ist? Wie definiert sich lebensunwert, damals und heute? War es im Dritten Reich die ethnische Rassenideologie, die zur konsequenten Umsetzung des Euthanasie-Befehls führte, so stellt sich nun die Frage, ob durch pränatale Selektion, die krankhafte Ideologie des perfekten Menschen wieder an Boden gewinnt.

Mit „Schalom Chaverim“, dem jüdischen Friedenslied, entlässt das „kaputte Kind“ auf der Schaukel, fröhlich lachend das Publikum. Ein Anblick, der vor Augen führt, dass jedes Leben lebenswert ist.