Der Sindelfinger Gestaltungsbeirat tagt zum ersten Mal. Vier honorige Herren sprechen ihr Urteil über drei aktuelle Bauprojekte, nur eines bleibt ohne Kritik. Die Änderungswünsche können für die Bauherren teuer werden.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Die Szene erinnert an den Videoschiedsrichter der Fußball-Bundesliga. Allerdings schallt der Vetoruf nicht aus einem vollverkabelten Keller in Köln, sondern quer durch den Sitzungssaal des Sindelfinger Rathauses. Im Zentrum des Geschehens sitzen vier honorige Herren mit akademischen Titeln: Eckart Rosenberger, Jens Wittfoht, Michael Glück und Wulf Daseking. Sie sind Architekten und Stadtplaner. Keiner von ihnen stammt aus Sindelfingen, aber ihre Aufgabe ist, Oberschiedsrichtern gleich, über Sindelfingens städtebauliche Zukunft zu urteilen.

 

Amtlich nennt sich das neue Gremium Gestaltungsbeirat, es kommt an diesem Tag zum ersten Mal zusammen. Es ist eine Zwischenstufe, bevor der Gemeinderat endgültig entscheidet. Offenkundig können mehr Sindelfinger Bürger dem seelenlosen Begriff Gestaltungsbeirat Inhalt abgewinnen, als geahnt. Am Ende wird sogar eine Bierbank in den Saal getragen, um allen Besuchern eine Sitzgelegenheit zu bieten – an einem Montagnachmittag um 16 Uhr.

Für einen Neubau am Marktplatz gibt es eine Klatsche

Was der Architekt Karl-Heinz Huschka sich zu seinen Plänen anhört, lässt sich kaum anders umschreiben als mit dem Wort Klatsche. Er hat für die Firma Ideal-Bau einen Neubau am Eingang des Marktplatzes geplant, gleich gegenüber dem Alten Rathaus. Im Erdgeschoss des Stahl-Glas-Baus sind Läden mit Schaufensterfronten vorgesehen, darüber Büros und Wohnungen, allesamt mit Loggien. Jens Wittfoht wirft Huschka vor, die Höhe des Hauses verschleiern zu wollen. An allen Übergängen zu den Nachbarbauten seien Bäume eingezeichnet. Und überhaupt: „Das Erdgeschoss wirkt, als ob eine Schublade aus ihm herausgerissen worden wäre“, sagt Wittfoht. An einen Ort wie diesen gehöre ein bodenständiges Gebäude, kurz: Aus seiner Sicht sind die Pläne inakzeptabel.

Frank Widmann ist der nächste Kandidat. Er ist Geschäftsführer des Stuttgarter Büros W2. Widmann und sein Kompagnon Stefan Willwersch sind durchaus gewohnt, mit dreistelligen Millionensummen zu jonglieren. Sie sind auch durchaus gewohnt, dass kommunalpolitische Gremien ihnen zusätzliche Millionenausgaben ins Lastenheft schreiben und nehmen dies, in aller Regel, gelassen zur Kenntnis. W2 will einer der Sindelfinger Industriebrachen zu neuer Blüte verhelfen. Im Gewerbegebiet Sindelfingen-Ost, in der Nachbarschaft zum Marriott-Hotel, sollen alte Hallen modernen Bürobauten weichen. Das Grundstück hat die Firma gekauft.

Ein Millionenprojekt wird klaglos geändert

Schritt eins ist der kleinste. Bis 2022 sollen 21 000 Quadratmeter Bürofläche entstehen. Goldberg-Campus ist das Projekt getauft. Wie er aussehen soll, ist im Internet bereits zu besichtigen – oder auch nicht. Wulf Daseking urteilt, „dass eine Überarbeitung notwendig ist“. Die Bauten stehen ihm zu eng, und die Führung eines Radweges missfällt. W2 möge „das Parkhaus drehen und den Bauteil eins verschieben“, überdies auf ein vorgelagertes Hochhaus verzichten – damit selbstredend auch auf Mieteinnahmen. Widmann lobt „den sehr hochkarätigen Beirat“ und verspricht „wir werden überarbeiten“.

Kritikfrei verließ – für Laien nicht unbedingt zu erwarten – einzig Lidl den Saal. Unweit des Goldberg-Campus will das Unternehmen seit Jahren eine Brache an der Mahdentalstraße bebauen. Dies keineswegs im Discounter-üblichen Würfelformat mit vorgelagerter Asphalteinöde für Kundenautos. Lidl hatte vier Architektenbüros im Wettbewerb beauftragt, um zur besten Lösung zu kommen. Gewonnen hat das Pforzheimer Büro Peter W. Schmidt. Lidl plant, in den Geschossen über einem 1700 Quadratmeter großen Markt Wohnungen zu bauen. Außerdem sind auf dem Grundstück vier weitere Wohnhäuser vorgesehen. Insgesamt sollen fast 5000 Quadratmeter Wohnfläche entstehen.

Im Gemeinderat haben die Pläne hartnäckige Kritiker. Das Nörgeln dürfte ihnen nach dem Urteil des Gestaltungsbeirats künftig schwerer fallen. „Das ist ein grundsätzlich gutes Projekt für die Stadt“, sagte Eckart Rosenberger, „die Zufahrten sind gut gelöst, und hinter den Plänen steckt sehr viel Innovation“.