Nikolai Ott lässt Kantaten aus dem 18. Jahrhundert aufleben, die in der Stadtkirche entdeckt wurden.

Leonberg - Es gibt Zufälle, die können eigentlich gar keine Zufälle sein. So perfekt fügen sie sich irgendwann, dass eine richtig tolle Geschichte daraus entsteht. Im Fall der Leonberger Kantaten ist es sogar eine richtige Detektivgeschichte. Das klangvolle Ergebnis wird im September im Rahmen zweier Konzerte zu hören sein. Doch davon später mehr.

 

Der erste Zufall, der das Ganze ins Rollen brachte, war der Abbau der alten Orgel in der Leonberger Stadtkirche 1963. Dabei fand man Abschriften von 82 Kantaten. Diese hatte offenbar der Präzeptor und Kirchenmusiker Johann Christoph Maier angefertigt, als er von 1770 an fast zehn Jahre lang in Leonberg wirkte. Abgeschrieben hatte Maier eine Reihe von Kantaten des Komponisten Georg Anton Benda, der auch am Weimarer Hof und in Berlin bei Friedrich II. in Diensten stand; außerdem Werke des Komponisten Georg Eberhard Duntz.

Vergessenen Komponisten wiederentdeckt

Zufall Nummer zwei wollte es, dass die Abschriften ins Archiv der Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen wanderten, um das sich unter anderem der Tübinger Musikwissenschaftler Helmut Völkl kümmert. Der machte seinen damaligen Studenten Nikolai Ott darauf aufmerksam – und der fing Feuer. Später schrieb Ott seine Diplomarbeit über diesen Komponisten, zu dem es – anders als bei Benda – kaum Quellen gab. Er habe alle biografischen Fakten im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart zusammengetragen, erzählt er. Schriftwechsel hat er studiert, Gehaltsverhandlungen und auch Beschwerden, die er gefunden hat. Dank Nikolai Ott gibt es nun ein Werkverzeichnis von Georg Eberhard Duntz: Insgesamt sind 152 Kantaten und eine Trauermusik bekannt. Außerdem hat er alle Adventskantaten als Anhang seiner Diplomarbeit ediert.

Der Zufall führt zurück nach Leonberg

Erst der dritte Zufall wird nun für die Leonberger entscheidend: Nach Abschluss seines Diploms in Tübingen und des Kapellmeister-Studiums in Trossingen galt es für ihn 2018, mit einem praktischen Jahr seine Ausbildung abzuschließen. Und dieses hat Ott nach Leonberg zu Bezirkskantor Attila Kalman geführt. Am 30. September wird es enden. Ehe ihn jedoch seine Wege zu seiner ersten Anstellung nach Mössingen führen, möchte er den Leonbergern etwas schenken. „Man soll ja seine Arbeitsstelle gestalten“, erläutert er mit einem Lächeln. „Ich möchte ein Stück Stadtgeschichte ans Tageslicht bringen.“

An dieser Stelle schließt sich nun der Kreis: Was läge näher, als in Leonberg Musik erklingen zu lassen, die auf Papier so viele Jahrzehnte, ja Jahrhunderte, in der Leonberger Stadtkirche schlummerte? Kurz gesagt: vom 19. bis 29. September findet die Leonberger Kantatenwoche statt. Sie startet am Donnerstag, 19. September, mit einer offenen Probe. „Da kann jeder mitsingen“, sagt Ott. „Alle, die Lust haben, eine Leonberger Kantate zu singen, sind eingeladen. Die Musik ist nicht kompliziert.“ Am 22. September wird die Kantate dann in der Stadtkirche im Gottesdienst (10 Uhr) gemeinsam mit der Kantorei zum Kirchplatzfest aufgeführt, das dieses Jahr den Titel „Schätze der Leonberger Stadtkirche“ trägt.

Nach 200 Jahren wieder gespielt

Am Mittwoch, 25. September, 19.30 Uhr, berichtet Nikolai Ott dann im Rahmen eines Vortrages von der Entstehung der 82 Abschriften, die 1963 beim Abbau der Leonberger Kirchenorgel gefunden wurden. Und am Sonntag, 29. September, gestaltet Ott schließlich zum Abschied ein Abschlusskonzert, bei dem vier Kantaten aufgeführt werden: zwei von Duntz und zwei von Benda, die noch nicht ediert sind. Es wird sicherlich ein Gänsehautmoment: „Diese Musik ist seit 200 Jahren nicht mehr erklungen“, unterstreicht Ott.

Begleitend gibt es übrigens im Stadtarchiv eine Ausstellung vom 22. bis 29. September, bei der beispielsweise die Bestallungsurkunde von Johann Christoph Maier gezeigt wird – am ehemaligen Ort seines Wirkens. Denn dort, wo heute das Museum ist, war früher die Lateinschule, an welcher er unterrichtete.

Anmeldung:
Per Mail an die Adresse: mail@nikolai-ott.de.