Nationale und internationale Vielseitigkeitsreiter gehen bis 1995 in Leonberg an den Start. Das verfolgen bis zu 5000 Zuschauer.

Leonberg - Einen kleinen Hindernis-Parcours hat Martin Seitter auf einer Wiese im Glemstal, schräg gegenüber des Seehauses, das gleich in Sichtweite ist, aufgebaut. Dort gibt er, wenn die Temperaturen wärmer sind, regelmäßig Lehrgänge für Vielseitigkeitsreiter. Jetzt in der kalten Jahreszeit hat er alles winterfest gemacht. Sein Blick schweift einmal ringsherum, wenn er von vergangenen Jahren erzählt. Als genau hier – auf dem Gelände ab dem Glemseck bis zum Autobahnanschluss Leonberg Ost – immer im April eine gut 3000 Meter lange Strecke mit bis zu 32 aufwendig gebauten Sprüngen den „Buschreitern“ von Hamburg bis in die Schweiz vieles abverlangte.

 

Team-Olympiasieger Matthias Baumann kam gerne ans Seehaus nach Leonberg. Foto: red
Mehr als 30 Jahre lang – mit einigen Unterbrechungen – bis zu ihrem Aus im Jahr 1995, zog die Leonberger Seehaus-Military nationale und internationale Vielseitigkeitsreiter in ihren Bann. In den besten Zeiten verfolgten bis zu 5000 Zuschauer das Ereignis im Frühjahr. Für die Sportler, darunter auch Weltklasse-Reiter, war es stets der ideale Saisonstart. Sie genossen die kameradschaftliche und familiäre Atmosphäre. Wie beispielsweise Matthias Baumann, der bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul mit der Mannschaft Gold gewann. Auch der Bundestrainer der Buschreiter, Martin Plewa, schaute am Seehaus vorbei, um sich von Ross und Reiter ein aktuelles Leistungsbild zu machen.

Originell gestaltete Hindernisse

Baumeister Gottfried „Gogo“ Seitter, der jüngere Bruder von Martin, scheute keine Mühe und entwickelte jede Menge Kreativität, wenn es um die Gestaltung der Hindernisse ging. Mal baute er ein Bett mit einer Daunendecke auf der Strecke ein, mal mussten die wagemutigen Reiter durch die Beine eines haushohen Strohpferdes springen, mal über einen überdimensionalen Billardtisch, mal stand da das Seehaus als Holzkonstruktion. „Gogo ist noch immer der große Bastler“, sagt der 68-jährige Martin Seitter, der mit seinem jüngeren Bruder weiter im Parcoursbau tätig ist. „Heute wären solche Hindernisse gar nicht mehr erlaubt, sie sind mittlerweile alle bis ins kleinste Detail genormt und weniger originell.“

Nach dem Motto „Wer bremst, verliert“, geben die Vielseitigkeitsreiter auf der Strecke alles. Foto: red
Die Turniervorbereitung kostete immer viel Zeit und auch Kraft, benötigte viele Helfer, sagt Martin Seitter, der von 1984 bis zum Jahr 2003 der Eigentümer des hufeisenförmigen Seehaus-Gebäudes war und mit seinen Brüdern die Military-Tradition in Zusammenarbeit mit dem Reit- und Fahrverein Leonberg auf diesem Gelände fortgesetzt hatte.

Der Großvater pachtet 1904 das Seehaus

Seit Generationen ist die Familie Seitter den Pferden verbunden. Martin Seitters Großvater Viktor hatte ursprünglich eine Lederfabrik in Zuffenhausen. Er verkaufte diese und pachtete im Jahr 1904 das Seehaus in Leonberg, das sich damals im Besitz der Familie Bareiß befand, die sich mit ihrer Kammgarnspinnerei Schachenmayr in Salach bei Göppingen ein Imperium geschaffen hatte. „Mein Opa Viktor, den ich selbst leider nicht mehr kannte, weil er früh verstarb, war ein Lebemann und ein Aussteiger, schaffte sich im Seehaus Pferde an.“ Seine spätere Frau stammte aus Eltingen.

Martin Setter heute. Foto: nam
Die beiden Söhne wuchsen im Seehaus auf, so auch die sechs Enkelkinder. Fünf Buben – darunter die Zwillinge Martin und Otto – sowie zwei Mädchen. Der Älteste von ihnen, Oskar, war bis in die 1980er Jahre Reitlehrer beim RFV Leonberg und bereits Mitorganisator der Turnierserie, die ursprünglich in der Altstadt ihre Anfänge fand. Martin Seitter entschied sich für die Landwirtschaft, machte eine Zusatzausbildung zum Pferdewirtschaftsmeister im Bereich Zucht und Haltung und hatte zeitweise bis zu 80 Pferde im Seehaus-Stall.

ADAC verkauft an Martin Seitter

1972 verkauften die Schachenmayr-Erben das Seehaus an den ADAC, der das Solitude-Rennen wieder beleben wollte, was letztendlich scheiterte. Der Pachtvertrag mit den Seitters blieb bestehen – bis 1984, als der Automobil-Club das Anwesen wieder verkaufte und in Martin Seitter einen neuen Besitzer fand.

Die Seehaus-Military hatte ihre Höhepunkte 1994/95. Da fand die Veranstaltung allerdings die letzten Male statt. Mit Geländeprüfungen der leichten und mittelschweren Klasse. Dann wurde es immer schwerer Sponsoren zu finden. „Und wir bekamen Probleme mit dem Umweltschutz, durften die Autos nicht mehr auf den Wiesen parken“, erinnert sich Seitter, der nach dem Kauf des Seehauses immer stärkere gesundheitliche Probleme bekam. „Ich habe mich finanziell übernommen.“ 2003 ging das Seehaus an den Ulmer Ratiopharm-Erben und Sozialpädagogen Tobias Merckle, der dort seitdem das Projekt für straffällige Jugendliche leitet.

Der vierfache Vater Martin Seitter erwarb aus dem Erlös eine Reitanlage in Vaihingen-Enz, kam dort aber auch nicht auf die Beine, verkaufte erneut und begab sich in eine Klinik. Seit acht Jahren lebt er auf der Schwäbischen Alb in Nellingen bei Merklingen, gibt dort im Reitverein noch Vielseitigkeitslehrgänge. „Seitdem geht es mir wieder gut“, sagt der Pensionär, der mit sich mittlerweile im Reinen ist und in der Zwischenzeit ohne Gram zum Glemseck kommen kann. Dann erinnert er sich nur zu gerne an die schöne Zeit der Seehaus-Military.