Heute vor genau 25 Jahren steht das Weil der Städter Spital in Flammen. Ein Teil der historischen Reichsstadt-Identität droht, verloren zu gehen.

Weil der Stadt - Sie waren beim Tanzen. „Meine Frau sagt: Schau mal da hoch“, erinnert sich Manfred Bürklen an diesen Samstag vor genau 25 Jahren. Es war Zigeunerfest, der Hof im Spital krachend voll mit Menschen und Manfred Bürklen auf der Tanzfläche. „Da brennt’s“, rufen immer mehr Leute. „So etwas hatte ich noch nie gesehen“, sagt er heute. „Das war ein Qualm, so richtig dick und dicht. Das werde ich nie vergessen.“

 

Am 19. August 1995 brennt das historische Weil der Städter Spital ab. Wirklich? Das steht doch prächtig da, mag sich ein heutiger Besucher der Stadt denken. Das liegt an der vorbildlichen Wiederaufbau-Aktion der Weiler Familie Pees. Wir erinnern an diesen Tag, der sich in die jüngere Stadtgeschichte eingebrannt hat.

Manfred Bürklen erinnert sich

Wir beginnen aber mit Manfred Bürklen. Er war zum Zeitpunkt des Brandes Beigeordneter in Weil der Stadt. Vor allem aber lässt sich an seiner Person die Bedeutung des Gebäudes für die Stadt erläutern. „Ich bin dort in den Kindergarten gegangen“, sagt er. Damals gab es im Spital, was heute wieder modern klingt: Die Franziskaner-Schwestern von Reutte betrieben im Spital einen Kindergarten und ein Altersheim unter einem Dach. Gleichzeitig war dort noch Landwirtschaft untergebracht, mit einem Zuchtbullen, der das Vergnügen hatte, alle Weil der Städter Kühe zu begatten.

Zu Bürklens Kindheit war noch zu spüren, was in einem Spital einer Stadt seit Jahrhunderten betrieben wurde: Die Fürsorge für die Armen, Alten, Waisen und Kranken. Nach der großen Pest-Epidemie im 14. Jahrhundert hatte man dafür das Weiler Spital gegründet, die älteste Urkunde stammt von 1358. Man erzählt sich, dass die Stifterin Helene Brotbeck geheißen haben soll.

„Wenn wir als Kind einen Unfall hatten und verletzt waren, gingen wir zu den Schwestern ins Spittl“, sagt Manfred Bürklen, der 1938 geboren wurde und seit 1948 in Weil der Stadt aufgewachsen ist. „Die Schwestern haben dann einen Verband dran gemacht.“

„Das vergesse ich nie“, sagt Manfred Bürklen über den Brand. Foto: factum

1955 ziehen die Alten dann aus, hoch ins neu gebaute Bürgerheim auf dem Heinrichsberg. 1973 wird auch die Landwirtschaft aufgelöst, jetzt ist Manfred Bürklen als langjähriger Gemeinderat beteiligt. 40 000 Mark hatte die Zuchtstierhaltung jedes Jahr Verlust gemacht, der Weg zur künstlichen Befruchtung war unausweichlich. „Ein Bauer meinte zwar: Mei’ Kuh will koi Spritz, die braucht d’r Stier“, erinnert sich Bürklen und muss herzlich lachen. „Die Landwirte haben aber schließlich zugestimmt, weil sie dann die großen Felder des Spitals pachten konnten.“ Die jahrhundertealte Stiftung des Spitals wird aufgelöst, das Vermögen der Stadt überführt. Zuletzt wohnen im Spital finanziell schwache Bürger.

Das Feuer bricht am späten Abend aus

Dann brennt es. Die 28 Bewohner der sieben städtischen Sozialwohnungen sind obdachlos. „Gegen 22.30 Uhr war im Innenhof des historischen Gebäudes Brandgeruch wahrzunehmen, kurze Zeit später schlugen die Flammen aus dem Dachstuhl des vorderen Gebäudeteils“, schreibt Andreas Tief, der damalige Weil-der-Stadt-Redakteur der Leonberger Kreiszeitung. Man habe erst gedacht, der Rauch stamme vom Grill des Zigeunerfestes, wird Bürgermeister Hans-Josef Straub zitiert.

Eine Viertelstunde später sind die Feuerwehren aus allen Weiler Stadtteilen da, dazu die Kameraden aus Renningen und Leonberg. Manfred Bürklen ist damals, wie der heutige Beigeordnete, fürs Bauen und die Ordnung zuständig, und mutiert in wenigen Sekunden vom Festles-Besucher zum Krisenmanager. „Ein riesiges Problem war die Spitalkapelle mit ihrer unvorstellbar wertvollen Ausstattung“, erinnert er sich heute. „Die Merklinger Wehr hatte an dem Abend nur einen einzigen Auftrag: Sie sollte die Spitalkapelle retten.“ Es gibt zum Glück eine Stahltür, die die Kapelle vom brennenden Teil des Spitals trennt – und die Merklinger schaffen es, dass die Tür hält. Böse Zungen murmeln seitdem, dass sich die Eingemeindung des Ortsteils damit endlich bezahlt gemacht habe.

Verletzt wird an diesem Abend niemand. Ursache war wohl Brandstiftung. Die Kripo ermittelt einen möglichen Täter, zur Anklage kommt es aber nie. „Sein Motiv war wahrscheinlich Ärger mit Leuten, die dort wohnten“, sagt Manfred Bürklen. Der Schaden wird auf fünf bis acht Millionen Mark geschätzt. Was tun mit so einer Ruine? Die Stadtkasse war schon damals leer. Es bildet sich ein Förderverein, Manfred Bürklen wird zum Vorsitzenden gewählt. „In diesem Kreis war auch Herr Pees“, sagt Bürklen. „Irgendwann kam er zu mir und sagte, er habe eigene Interessen mit dem Gebäude.“

Der „Meister der alten Mauern“

Gerhard Pees ist heute 76 Jahre alt und lebt mittlerweile in Stuttgart. Zuvor war er 40 Jahre lang Weil der Städter, als „Meister der alten Mauern“ hatte ihn unsere Zeitung einmal bezeichnet. Im Hauptberuf war er zwar im Vertrieb von Maschinen tätig. Irgendwann fing er aber an, historische Häuser in Weil der Stadt aufzukaufen, zu sanieren und zu vermieten. Ein gutes Dutzend Gebäude sind das inzwischen, zum Beispiel die Häuser am Marktplatz, in denen sich die Touristen-Info befindet.

„Vom Spital-Brand haben wir nichts mitbekommen, wir waren im Urlaub“, erinnert sich Gerhard Pees. Dann aber gab es Probleme mit der Sanierung seines Gebäudes Stuttgarter Straße 30. Der Zimmermann hatte plötzlich keine Zeit. „Er hat uns gesagt, dass er das Notdach im Spital errichten müsse.“ Pees schaut sich die Sache an, tritt dem Förderverein bei. „Nach zwei Wochen habe ich zu meiner Frau gesagt: Das machen wir selbst.“

Das Spittl in der Hand eines privaten Investors?

Kann man das Spital – eines der Herzen der Alten Reichsstadt – in die Hände eines privaten Investors geben? Damit muss sich jetzt Manfred Bürklen, der Beigeordnete, beschäftigen. „600 Jahre hat es der Stadt gedient, und jetzt verkaufen wir es“, sagt er über die Gewissensbisse. Der Kompromiss findet sich dann aber: Gerhard Pees bekommt es auf Basis des Erbbaurechts, er bekommt den Besitz also für 99 Jahre, danach fällt es wieder in die Hände der Stadt, die Eigentümerin bleibt.

Unkritisch begleiten die Weil der Städter das Engagement nicht. Will da jemand mit der Denkmalsanierung nur Steuern sparen? Gerhard Pees sagt, er habe damals natürlich gut verdient. „Bei historischer Gebäudesubstanz weiß man aber nie, was einen wirklich erwartet.“ Und eine Stadt, in der viel von solcher historischer Substanz steht, die aber selbst kein Kapital hat, ist darauf angewiesen, dass es wagemutige Privatleute gibt, die sich solche Sanierungen antun. Jeder, der sich ein bisschen auskennt, weiß, dass das schnell zum schwarzen Loch werden kann. Dass Annelie und Gerhard Pees das so umgesetzt haben, kann man als Glücksfall für die Stadt bezeichnen. An anderer Stelle, zum Beispiel beim großen Hotel am Marktplatz, warten die Weil der Städter seit Jahren auf ähnliches Engagement.

Das Ehepaar Pees hat schon so manches Weiler Gebäude saniert. Foto: Rafael Binkowski

Zunächst aber brauchte es ein Konzept. „Für Wohnen war es nicht geeignet“, sagt Gerhard Pees. „Mir schwebte ein kleines Boutique-Hotel vor.“ Dann aber habe sich eine Psychologin gemeldet, die an der Miete einer Praxis dort interessiert war. „Damit war die Richtung klar“, sagt er. Eine Rückbesinnung auf den Spital-Gedanken, auf das Soziale, sollte her. Heute hat dort auch die Volkshochschule ihren Sitz, der Orthopäde Klaus Fischer, eine Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie und weitere Praxen.

5,5 Millionen Mark hatte Pees investiert, magere 63 000 Mark schoss das Denkmalamt zu. „Wenn an dem Gebäude jetzt nichts Größeres passiert, läuft es auf eine schwarze Null hinaus“, sagt er heute über das Investment. Sicher war das nicht. Allein der Gipser hatte 70 000 Mark veranschlagt, am Ende 700 000 verlangt. Zunächst nicht klar war auch, dass es sich um Schwemmland der Würm handelt. „Im Mittelalter hatte man Pfähle aus Tannenholz in den Boden gerammt“, berichtet Pees. „Jetzt mussten wir spezielle Pfähle aus Beton gießen.“ Denn vom Brand erhalten war nur das Erdgeschoss. Alle oberen Geschosse liegen nicht auf diesem Erdgeschoss, sondern auf den nunmehr neuen Pfählen. „Ich würde es immer wieder machen“, lautet das Fazit von Gerhard Pees.

Und wie geht es weiter? Eine Frage, die an einen 76-Jährigen erlaubt sein muss. „Meine beiden Töchter werden sich kümmern“, sagt er, zusammen mit einem Verwalter. Auch von Manfred Bürklen gibt es ein großes Lob. „Mit welcher Sensibilität Herr Pees an das Gebäude gegangen ist, ist einfach toll“, sagt er. „Er hat damit eine öffentliche Aufgabe übernommen, die sich die Stadt nie hätte leisten können.“