Am Freitag veröffentlicht Calum Scott sein zweites Album „Bridges“. Seine Song werden Hunderte Millionen Mal gestreamt und verbreiten eine wichtige Botschaft: Steh zu dir, liebe dich – ganz gleich, wen du liebst.

Auf den ersten Blick liest es sich wie eine von zahlreiche Geschichten rund um den zweifelhaften Erfolg der inflationären Castingshows: Calum Scott, ein 26-jähriger Engländer mit Job im Personalmanagement und guter Stimme, geht 2015 zu „Britain’s got Talent“, dem britischen Gegenstück zu „Deutschland sucht den Superstar“. Weil er, wie viele andere, dieses Leben hinter sich lassen will, Popstar werden will.

 

Er singt „Dancing on my own“ von Robyn, wird damit Sechster. „Damals wusste ich nicht, was das jetzt zu bedeuten hat“, so Scott im Gespräch mit unserer Zeitung. „Sicher, Likes und Klicks gingen danach nach oben, aber nach der Show wollte niemand mehr etwas von mir wissen. Mir ist schon klar, dass das im Fernsehen so läuft, aber es war hart. Im Taxi zurück ins Hotel nach der Show wusste ich nur eines: Ich konnte nicht in meinen alten Job zurück.“ 2016 veröffentlicht er „Dancing on my own“, sie entwickelt sich langsam zur erfolgreichsten Single des Sommers in Großbritannien. Calum Scott will aber mehr, will nicht nur eines dieses One-Hit-Wonder sein, die man kurz bejubelt und dann vergisst. Sein Debüt „Only human“ wird 2018 zum Überraschungserfolg.

Auf Aufstieg folgt Leerlauf

„Es ging alles so schnell“, erinnert er sich. „Irgendwann explodierte alles, ich lief im Radio, im Fernsehen und war nur unterwegs. Das war alles aufregend und neu, aber natürlich auch anstrengend. Ich musste mir erst darüber klar werden, dass das jetzt mein Brotberuf ist.“ In dieser Hinsicht, so der heute 33-Jährige, war der Lockdown auf gewisse Weise sogar ein Segen. „Ich konnte alles sacken lassen, weil ich mal nicht in fünf Tagen fünf Länder besuchte.“

Die Kehrseite der Medaille: der fehlende Input. Calum Scott war auf sich selbst zurückgeworfen, wie der Rest der Welt nur noch zu Hause, abgeschnitten von allem, was stimuliert, inspiriert. „Während des Lockdowns war es aber unheimlich schwierig, überhaupt etwas zu Papier zu bringen. Die Jahre davor war ich auf der ganzen Welt unterwegs. Plötzlich zu Hause eingesperrt zu sein war da anfangs wie Gift für meine Kreativität. Doch irgendwann gewöhnte sich mein Geist daran, und ich fing an zu komponieren.

Eine Brücke ins Diesseits

„Bridges“, sein zweites Album, ist in gewisser Weise ein Corona-Album – und dann wieder nicht. Inspiriert von den einschneidenden Erfahrungen einer ganzen Welt im Schlummermodus, handelt auch seine jüngste Liedersammlung eher von der Liebe. Im berührenden, intimen „Boys in the Streets“ etwa thematisiert er seine Homosexualität, die ihm vor allem in jungen Jahren viele Schwierigkeiten machte. „How am I gonna answer when my Friends tell me my Son was kissing Boys in the Street?“, singt er darin aus Sicht eines unverständigen Vaters. „Ich hatte Probleme mit meiner Homosexualität. Als Teenager vertraute ich mich engen Freunden an und wurde dafür von ihnen fallen gelassen“, so der Sänger.

„Über meine Sexualität zu sprechen gab mir lange das Gefühl, Menschen zu verlieren, weil ich als Kind derart traumatische Erfahrungen gemacht hatte.“ Jetzt kann er jungen Menschen genau dabei helfen, indem er darüber singt und seine Erfahrungen in seine Stücke fließen lässt. Das macht Calum Scott zu einer willkommenen Abwechslung im internationalen Popzirkus, der Queerness immer noch als etwas mit schrillen Kostümen versteht. „Ich bekomme jeden Tag unheimlich berührende Nachrichten aus der ganzen Welt, daran werde ich mich wohl nie gewöhnen“, so Scott. „Im Gegenzug sehe ich es als meine Mission an, ihnen weiterhin Songs zu schreiben, zu denen sie eine Beziehung aufbauen können, die sie heilen lassen.“

Calum Scott: Bridges. Capitol/Universum