Der Weissacher Bürgermeister Daniel Töpfer und die Kämmerin Karin Richter müssen sich nach der Greensill-Pleite bohrenden Fragen stellen.

Weissach - Der drohende Verlust von 16 Millionen Euro durch die Insolvenz der Bremer Greensill Bank sorgt in Teilen der Weissacher Bevölkerung weiter für große Aufregung. Es waren unangenehme Fragen, mit denen sich Bürgermeister Daniel Töpfer (CDU) und die Kämmerin Karin Richter am Dienstagabend dreieinhalb Stunden lang konfrontiert sahen. Zu der öffentlichen Sondersitzung des Gemeinderats, bei der die Rathausspitze Rede und Antwort stehen sollte, waren zahlreiche Weissacher in der Strudelbachhalle erschienen.

 

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Einzelne Bürger, die die Sondersitzung zum Anlass nahmen, das Wort zu ergreifen, warfen der Verwaltung „Blauäugigkeit“ im Umgang mit dem Gemeindevermögen vor. Man habe das Geld „in den Sand gesetzt“, lautet einer der Vorwürfe.

Geldanlagen in Höhe von 67 Millionen Euro

Töpfer und Richter informierten über den Stand aller Geldanlagen der Kommune, die insgesamt rund 67 Millionen Euro umfassen. Auch erhielten die Bürger Auskunft darüber, wie viele Anlagen die Gemeinde bei der Greensill Bank hält und wann genau diese unter welchen Bedingungen gezeichnet worden waren.

Vor allem Letzteres sorgt nun aber für massive Kritik aus dem Lager der Grünen und der Unabhängigen Liste. Der Hintergrund: Noch im Dezember 2019, so die Kritiker, tätigte Weissach Einlagen bei der Bank, obgleich deren Rating nicht mehr den Kriterien der damals zum selben Zeitpunkt neu gefassten Anlagenrichtlinie der Kommune entsprach. Die neue Richtlinie griff zwar rechtlich erst zum 1. Januar 2020, ihre Details waren aber spätestens seit dem 6. Dezember 2019 bekannt.

Hohes Risiko bei Greensill Bank

Dass eine solche Anlagezeichnung kurz vor Toresschluss zumindest fragwürdig sei, betonte Pierre Michael von den Grünen. „Die Schließung der Greensill Bank war nicht vorhersehbar, allerdings war die Bank schon damals mit einem hohen Risiko behaftet, denn bereits 2018 gab es hierzu Veröffentlichungen und auffallende Entwicklungen.“ Es zeige sich überdies, so Michael, dass „sämtliche heute noch bestehenden Geldanlagen aus den Jahren 2018 und 2019 gegen die 2020 in Kraft getreten Anlagerichtlinie verstoße. Kämmerin Richter setzte dem entgegen, dass die Richtlinien eben nicht rückwirkend, sondern „für die Zukunft“ gelten. Kritiker bemängeln überdies, dass es Einlagen geben könnte, die bei Abschluss den Kriterien der gemeindeeigenen Richtlinien entsprechen, durch eine Änderung der Risikobewertung im Lauf der Zeit das zulässige Mindestrating aber verfehlten. Töpfer widerspricht: „Für die seit dem Inkrafttreten der Anlagerichtlinie erfolgten Geldanlagen gab es eine Anlage, bei der sich das Rating um eine Stufe verschlechtert hatte. Daraufhin wurde die Anlage vorzeitig gekündigt. Alle anderen Anlagen verfügen weiterhin über das Rating, das zum Zeitpunkt der Zeichnung gültig war –mit Ausnahme der Greensill Bank AG aus den bekannten Gründen.“

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Dass manchem Beobachter mehr Transparenz bei der Geldmarktpolitik der Gemeindeverwaltung geboten erscheint, unterstrich ein Fall, der am Dienstag öffentlich wurde: So ging aus der Zusammenstellung des Weissacher Portfolios hervor, dass mindestens eine Einlage nicht richtlinienkonform zustande gekommen sein könnte. Brisant: Es handelt sich dabei ausgerechnet um die größte einzelne Bankanlage. Im Dezember 2020 legte die Kommune fünf Millionen Euro bei der Mercedes Benz Bank an, obwohl das Geldhaus von zwei Ratingagenturen zu schlecht bewertet wurde. Eine weitere Agentur bewertete die Bank jedoch noch ausreichend mit A3. Dies gab, nach Auskunft der Kämmerin, den Ausschlag für die Zeichnung der Anlage.

Schlechtestes Rating ist ausschlaggebend

„Unsere Richtlinie sagt jedoch, dass das schlechteste Rating als Grundlage einer Anlageentscheidung herangezogen werden muss“, so der Grüne Michael. Richter räumt daraufhin ein: „Möglicherweise haben wir uns da von dem A3 verleiten lassen.“ Sollte hier tatsächlich ein Fehler geschehen sein, so Rathauschef Töpfer, würde dies in letzter Konsequenz bedeuten, dass die Anlage zu kündigen sei.

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Weil die Weissacher Millionen allesamt bei Privatbanken liegen, bei denen seit 2017 Kommunen nicht mehr durch ein Einlagesicherungssystem vor dem Totalverlust geschützt sind, hinterfragen sowohl die Unabhängige Liste als auch die Grünen derartige Investitionen. Sie verweisen darauf, dass bereits 2018 in einer Fachzeitschrift für Finanzverantwortliche in Kommunen deutlich wurde, wie riskant andere Städte Anlagen bei Privatbanken einschätzten: Demnach gaben 81 Prozent der befragten Rathäuser an, sich aus solchen Finanzprodukten von Privatbanken komplett zurückziehen zu wollen. „Warum hat das nicht auch Weissach getan?“, fragt Susanne Herrmann von der Unabhängigen Liste. „Wir stehen vor einem Scherbenhaufen.“

Geldanlagen bei anderen Banken gekündigt

Töpfer und Richter betonten, dass mit Bekanntwerden der Greensill-Turbulenzen nun sowohl Gelder bei der niederländischen NIBC Bank als auch bei der VTB Bank, deren Mutterinstitut Sitz in Russland hat, gekündigt wurden. Die Einlagen bei der VTB Bank waren bereits 2019 von der Gemeindeprüfanstalt hinsichtlich der Bonität „gerügt“ worden. Nun soll auf Initiative der Verwaltung ein Wirtschaftsprüfer „das Handeln der Gemeinde vor dem Hintergrund der Tätigkeit von Geldanlagen bei Privatbanken“ analysieren. Die geschädigten Kommunen haben sich inzwischen vernetzt, um die rechtlichen Möglichkeiten von Schadensersatzansprüchen auszuschöpfen.