Meike Hertkorn hat die Vorbereitungsklasse für begabte Ausländer am Pfarrwiesen-Gymnasium aufgebaut. Sie ist für die Schüler Deutschlehrerin, Ratgeberin, mütterliche Freundin. Nun endet ihre Ausnahmegenehmigung zum Unterrichten.

Sindelfingen - Wehmut liegt in der Luft: in drei Wochen ist alles vorbei. Dann endet der Einsatz von Meike Hertkorn. Zwei Jahre lang hat sie als Klassenlehrerin fast 50 Jugendliche aus aller Herren Länder den schwierigen Weg ins Gymnasium geebnet. Doch zum Schuljahresende ist Schluss: weil Hertkorn, 59 Jahre alt, keine ausgebildete Lehrerin ist, endet die Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums.

 

Hertkorn, die Spätberufene, ist mit Leib und Seele Pädagogin. Eigentlich kommt sie aus der Marketingbranche. Dort hatte sie immer wieder mit Praktikanten und Trainees aus aller Welt zu tun. Der Kontakt mit jungen Leuten liegt ihr. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise engagierte sie sich privat als ehrenamtliche Helferin in einer Vorbereitungsklasse in Böblingen – und entdeckte so ihr Faible fürs Unterrichten. Sie wurde Lehrerin in einer Vorbereitungsklasse einer Berufsschule in Calw.

Und als die neue Klasse für begabte Flüchtlingskinder am Pfarrwiesen-Gymnasium vor zwei Jahren entstand, bewarb sie sich in ihrer Heimatstadt. Für den Rektor Bodo Philipsen ist die Frau mit dem warmherzigen Blick und einer natürlichen Autorität ein Glücksgriff. „Wir sind hochzufrieden mit ihrer Arbeit.“ Für ihre Schüler ist sie weit mehr als eine Deutschlehrerin. „Ich kann mit allen Fragen zu ihr kommen, auch mit privaten Dingen“, erzählt Kholoud. Die 19-Jährige ist längst in eine Regelklasse am Gymnasium integriert. Den Kontakt zu ihrer früheren Klassenlehrerin hält sie weiterhin. „Wo soll ich jetzt mit meinen Fragen hin, wenn Frau Hertkorn nicht mehr da ist?“

Kholoud gehört zu den 14 Jugendlichen , die es geschafft haben und nun den Regelunterricht besuchen. So auch Soheil, mittlerweile 18 Jahre alt. Nur wenige Monate nach seiner Ankunft in Deutschland schaffte der damals 16-Jährige den Sprung aufs Gymnasium. Ganz allein war der Junge damals über die Balkanroute aus dem Iran geflüchtet. Er gehört zu Hertkorns begabtesten Schülern. „In Musik habe ich eine Eins, und auch die Naturwissenschaften liegen mir“, berichtet er stolz.

Nicht allen Jugendlichen fällt das Lernen so leicht wie Soheil und Kholoud. „Manche haben Probleme mit unserem Unterrichtssystem, das ganz anders ist als in ihren Heimatländern“, sagt Bodo Philipsen. Viele Fächer wie Gemeinschaftskunde und deutsche Geschichte seien neu. „Und wissenschaftliches Lernen haben Jugendliche im Iran und Syrien nicht gelernt.“ Und noch etwas erschwere den Schulalltag. „Das Damoklesschwert der Abschiebung“, das vor allem über den Afghanen hänge.

Nicht alle Schüler schaffen deshalb die Anforderungen des Gymnasiums. „Wir haben einige an die Berufsschulen oder in eine Ausbildung vermittelt“, berichtet Hertkorn. Nur einen einzigen von bisher 48 Jugendlichen habe man rauswerfen müssen, weil er kaum da war. „Für alle anderen haben wir immer gute Lösungen gefunden.“ Hertkorn ist stolz auf die Entwicklung ihrer Schützlinge. „Wenn ich sehe, wie frei heute die anfangs eingeschüchterten Mädchen argumentieren, das macht Spaß.“

Weniger Flüchtlinge, mehr Südeuropäer in der Klasse

Momentan ändert sich sich die Zusammensetzung der Klasse. Waren anfangs 80 bis 90 Prozent der Schüler Flüchtlinge, werden es im kommenden Schuljahr nur noch wenige sein. „Die veränderte politische Lage macht sich auch bei uns bemerkbar“, sagt Philipsen. Der Großteil komme mittlerweile aus südeuropäischen Ländern, Kinder von Arbeitsmigranten. Philipsen hält deshalb die Vorbereitungsklasse für begabte ausländische Schüler weiter für notwendig. „In unseren wirtschaftsstarken Kreis zieht es viele Zuwanderer.“

Hertkorn wird nicht mehr dabei sein. „Ich hätte gerne weiter gemacht“, sagt sie wehmütig. Ein Abschiedsfest plant sie mit ihren Schülern und den beiden Kolleginnen, die ebenfalls ausscheiden. Zwei neue Lehrer beginnen im September. „Den Schülern fehlt Kontinuität“, klagt Philipsen. Doch Hertkorn wird weiter für ihre Schüler da sein. Alle haben ihre Telefonnummer. „Ich kann sie jederzeit anrufen“, sagt Kholoud. Das gibt ihr Sicherheit.

Demokratie im Lehrplan

Werte
Wichtig ist der Lehrerin Meike Hertkorn, Jugendlichen demokratische Werte zu vermitteln. Dazu gehörte auch ein Berlinbesuch im vergangenen Schuljahr, bei dem die Schüler Einblicke ins Parlament erhielten. Das Regierungspräsidium jedoch verbot diese Reise, nur verbeamtete Lehrer dürften auf Klassenreise. So fiel die Berlin-Tour dieses Jahr aus. Für Meike Hertkorn ist das völlig unverständlich. Zu ihren schönsten Erlebnissen zählt sie die Errungenschaften, die die Jugendlichen in ihrer neuen Heimat Deutschland schätzen: Frieden, die Freiheit, alles sagen zu dürfen und die Chance auf eine gute Ausbildung.

Zahlen
Seit September 2016 durchliefen 48 Jugendliche die Klasse. Davon sind 15 noch da, 14 völlig in Regelklassen integriert. 19 Schüler wurden weitervermittelt: eine direkt an die Universität, andere an andere Schulen oder in eine Ausbildung. Ein Schüler ging ab.