Katja Hechel zieht ihre Bahnen auch bei eisigen Temperaturen.

Leonberg - Bei Temperaturen über 20 Grad, so wie für das kommende Wochenende angekündigt, ist es das Normalste von der Welt, sich unter freiem Himmel in die Fluten zu stürzen. Wenn Katja Hechel zum Training aufbricht, dann muss sie ein Warnschild aufstellen. Denn schnell drängt sich der Gedanke auf, die Frau muss doch geradezu lebensmüde sein. Schließlich scheut sie auch bei eisigen Temperaturen um den Gefrierpunkt das Wasser nicht. „In Vorbereitung auf die letzten deutschen Meisterschaften hatte ein Schwimmer am Bodensee trainiert und damit einen Großeinsatz ausgelöst, weil Passanten dachten, dass er Suizid begehen möchte”, erinnert sich die Leonbergerin und grinst. Deshalb hinterlässt sie sicherheitshalber den Einzeiler am Ufer: „Komme gleich wieder!”

 

Hechel ist erfolgreiche Langstrecken-Schwimmerin im Becken wie auch im Freiwasser bei der KSG Gerlingen. Und jetzt hat sie auch noch das Eisschwimmen für sich entdeckt. Die meisten denken da an hartgesottene Russen, die bei klirrender Kälte das Eis aufhacken und ins Wasser springen, um das orthodoxe Neujahrsfest zu begehen. Das ist aber Eisbaden und beschränkt sich zumeist auf ein wenig Herumplantschen. „Beim Eisschwimmen hingegen geht es um Distanzen zwischen 25 und 1000 Metern”, erklärt sie. Oder über die „ominöse Eismeile” – das sind umgerechnet 1600 Meter. Diese Strecke hat Christoph Wandratsch als erster Deutscher geschafft und damit auch einen Weltrekord aufgestellt. Der Extremsportler aus dem ostbayerischen Burghausen hat einen großen Anteil daran, dass das Eisschwimmen hierzulande immer mehr Anhänger findet.

Abführen wie eine Betrunkene

Eisschwimmen ist unter den Extremsportarten gewiss eine der extremsten. „Vor allem der Kreislauf gerät an seine Grenzen”, sagt Hechel. Menschen mit Bluthochdruck oder Herzproblemen sollten deshalb lieber vom Ufer aus zugucken. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Muskulatur versteift. „Ich habe es auch erlebt, dass eine Schwimmerin mit einem Asthmaanfall rausgeholt wurde”, erinnert sie sich. Bei längeren Strecken komme es auch vor, dass man geistig nicht mehr voll auf der Höhe sei. „Meine Trainingspartnerin, die für die Distanz von 1000 Metern trainiert, sagte mir mal: Du musst mich rausholen, in ein Handtuch wickeln, einen Riegel in den Mund schieben und dann abführen wie eine Betrunkene”, erzählt sie.

Geschwommen wird nach den Regeln der International Ice Swimming Association (IISA), die unter anderem besagt, dass man nicht länger als fünf Meter tauchen darf. Neopren ist verboten, stattdessen geht es in normaler Schwimmbekleidung ins Wasser. Und damit es als Eisschwimmen gewertet wird, muss das Wasser kälter als fünf Grad sein. Die knapp sieben Grad im Breitenauer See bei Obersulm, wo sie im Winter meistens trainiert, sind da fast schon tropisch, hält man sich vor Augen, dass die 45-Jährige ihre Runden selbst dann drehte, als die Außentemperaturen Mitte März bis auf minus zehn Grad gefallen waren. Da sei übrigens das Wasser an der Haut schon auf dem Weg zum Handtuch gefroren, wie sie erzählt.

Draußen muss alles ganz schnell gehen

Doch wenn es nach ihr geht: Je kälter das Wasser, desto besser. „Am schlimmsten sind fünf bis sieben Grad, dann tut es einfach weh. Ist es kälter, spürt man nichts mehr”, sagt sie. Wenn man dann aus dem Wasser herauskommt, muss alles ganz schnell gehen. „Dann gibt es nur ein kurzes Zeitfenster, in dem man funktioniert”, sagt sie und meint: „Setzt das große Geschlotter ein, kriegt man den Hosenknopf nicht mehr zu.” Deswegen hat sie auch immer drei Wärmflaschen dabei, die sie nach dem Training unter ihre Winterjacke steckt.

Außerdem unverzichtbar: Badekappe, Ohrstöpsel, Schwimmbrille, Rettungsboje und Früchteriegel, um nach dem Training den Zuckerspiegel in Balance zu bringen. Dreht sie im Winter ihre Bahnen, sorgt sie aber nicht nur für Aufsehen, weil Passanten schon das Schlimmste befürchten. Das Interesse an der Eisschwimmerin hat bisweilen einen netten Nebeneffekt: Als sie in der Weihnachtszeit am Breitenauer See im Landkreis Heilbronn trainierte – dort findet auch der Weihnachtsmarkt statt – bekam sie warmen Glühwein in die Hand gedrückt – aufs Haus!

Von der Handtuchhalterin zur Extremsportlerin

Die Medizinpädagogin ist ganz zufällig zu dem Extremsport gekommen. „Ich habe eine Konkurrentin, die es seit vielen Jahren macht, und sie hatte mich zu Winterbeginn gefragt, ob ich nicht für sie die Handtuchhalterin spielen kann”, erzählt sie. Doch schon bei der ersten Trainingseinheit hatte die Leonbergerin keine Lust, nur „blöd herumzustehen”. Sie sprang kurzerhand ins Wasser und fühlte sich, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. „Ich konnte schon immer gut mit kaltem Wasser, und Schnappatmung, von der viele Anfänger berichten, war kein Thema.”

Und das, was sie im Warmbecken so erfolgreich betreibt, setzte sie jetzt auch bei klirrender Kälte fort: Bei den deutschen Meisterschaften im Eisschwimmen im fränkischen Veitsbronn im Januar war sie über 50 Meter Freistil die Schnellste, und über 200 Meter gab es den zweiten Platz (Altersklasse 40 bis 50 Jahre). Im Bodensee packte sie Ende Februar trotz starker Strömung sogar die 250 Meter. „Das nächste wären 500 Meter, aber das ist wirklich nicht ohne”, meint sie.

Glücksgefühle im kalten Wasser

Aber warum tut man sich das freiwillig an, wenn einem schon beim bloßen Gedanken die Zähne klappern? Laut Medizinern setzt der Körper beim Eintauchen ins kalte Wasser Adrenalin und Endorphine frei, die Glücksgefühle auslösen und Schwimmer süchtig machen. Allerdings sei man auch richtig platt danach. „Zehn Minuten Eiswasser-Training sind genauso effektiv wie 90 Minuten im Warmwasserbecken”, betont Hechel, die auch auf den „hohen Kalorienverbrauch” hinweist. Das ist aber sicherlich ein untergeordnetes Argument, denn um ihre Figur muss sie sich wirklich keine Sorgen machen.

Auch bei den nächsten deutschen Meisterschaften will sie wieder an den Start gehen. Auf die Weltmeisterschaft in der am Polarkreis gelegenen Hafenstadt Murmansk kann sie aber liebend verzichten. „Da ist es viel zu kalt und auch noch dunkel”, sagt sie lachend. Freilich spielen aber auch die Finanzen eine Rolle, denn für die Kosten müsste sie ganz alleine aufkommen. „Deswegen werde ich es auch künftig nebenher machen als Ergänzung zum klassischen Schwimmen”, sagt sie. Schließlich sei das Eisschwimmen eine Besonderheit, und die Wettbewerbe seien richtige Events – das nationale Finale in Veitsbronn fand im Freibad mit Flutlicht, Rahmenprogramm und viel Publikum statt. „Und wo erlebt man es schon, dass der Kampfrichter vor dem Rennen fragt: Möchtest du danach dein Handtuch haben?”, sagt sie mit einem Schmunzeln.

Tipps für Anfänger

Gewöhnung Wenn aus gesundheitlicher Sicht nichts gegen das Eisschwimmen spricht, sollte der Körper langsam und regelmäßig an das Schwimmen gewöhnt werden. Am besten ist es, schon im Sommer kalte Naturgewässer aufzusuchen und dann auch im Herbst dabei zu bleiben. Gerade als Anfänger sollte man nicht alleine schwimmen – und falls doch, dann nur im Wasser, wo man noch stehen kann. Da die Hände besonders auskühlen, hilft es, sie beim Baden in die Luft zu strecken. Der Kopf sollte nicht nass werden und ist mit einer Badekappe zu schützen.

Wärme Nach dem Schwimmen ist es wichtig, sich ausreichend aufzuwärmen. Man sollte sich zügig abtrocknen und warme Kleidung anziehen. Katja Hechel gönnt sich dann auch heißen Tee aus der Thermoskanne. „Ich nehme aber Pulvertee, der Körper braucht nach den Anstrengungen Zucker”, erklärt sie.