Die Korntal-Münchingerin Adelheid Kreisz betreibt die Kunstform Schattentheater, wie sie heute nur noch selten zu sehen ist. Nun wagt sie Neues.

Schlaflose Nächte hat Adelheid Kreisz immer, wenn sich eine Aufführung nähert. Obwohl sie Expertin ist in Sachen Schattentheater – die Nervosität bleibt. Diesmal aber ist die Künstlerin aus Korntal-Münchingen aufgeregter als sonst. Erstmals ist ihr Schattentheater nicht im kleinen Saal der Stadthalle Korntal, sondern auf der großen Bühne. Denn nur dort entfalten die Mäntel aus Papier ihre Wirkung. Überdimensionale, raumhohe Papiermäntel des Künstlerinnenduos Katherine Newton aus Basel und Katia Rudnicki aus Berlin – für Adelheid Kreisz eine neue Art von Projektionsfläche.

 

Zwei Mäntel hängen in ihrer Werkstatt in Korntal, Platz für mehr bietet der gut drei Meter breite Kellerraum nicht. Was der 79-Jährigen etwas Bauchgrimmen bereitet: Bei der Aufführung am 10. Dezember projiziert sie ihre Figuren auf neun Mäntel – und hat auf der Bühne eine Breite von rund zehn Metern zur Verfügung. „Von der Tiefe ganz zu schweigen“, sagt Adelheid Kreisz. Eine Probe vor Ort sei erst am Abend vor der Aufführung möglich, weil die Stadthalle gut gebucht ist. „Da muss ich jetzt durch“, sagt die Schattenspielerin und lacht. Die „wahnsinnige Herausforderung“ sei aber zugleich ein Reiz. Worum es in dem Stück geht, das um 20 Uhr Premiere feiert? Um die vier Jahreszeiten. „Jetzt aber nicht an Vivaldi denken“, sagt Adelheid Kreisz. Sondern an die Mäntel, die man passend zum Wetter brauche. So heißt das Stück auch „Mantelwald“. Der Raum und Fläche bietet für Geräusche, Töne, Musik – und natürlich Schattenbilder.

Die Figuren schweigen, die Spielerin kniet

Es sind Dutzende, bunte, aus Plastik, aus Pergament, die Adelheid Kreisz für jedes ihrer Stücke in so liebe- wie mühevoller Handarbeit herstellt, seitdem sie vor etwas mehr als 25 Jahren die Schattenbühne Cadrage gründete, sich selbstständig machte und im In- wie Ausland auftritt. Die Nichte des anno 1995 verstorbenen Stuttgarter Künstlers Otto Herrmann ist eigentlich Puppenspielerin, studierte an der Kunstakademie Stuttgart mit dem Schwerpunkt Figurenbau und -spiel. Normalerweise spielt Adelheid Kreisz im Kleinen und Verborgenen, allein hinter der Leinwand, kniend. Ihre Figuren schweigen, hinzu kommt Musik. „Sprache, die einen Vorgang erklärt, mag ich nicht so gern“, sagt Kreisz. Bilder müsse man nicht erklären, „der Zuschauer soll sich eigene Gedanken machen“. So auch, wenn er den Mantelwald besucht, wo Adelheid Kreisz dann im Stehen und mit dem Rücken zum Publikum spielt, sichtbar für alle also und doch mit der nötigen Diskretion.

Die für ihre Raum- und Klanginstallationen bekannten Katherine Newton und Katia Rudnicki hat Adelheid Kreisz voriges Jahr im schweizerischen Werdenberg bei der Schlossmediale kennengelernt, dem Internationalen Festival für Alte Musik, Neue Musik und Audiovisuelle Kunst. Dort ist die Korntalerin mal Akteurin, mal Besucherin. Im Keller des Schlossturms hätten die Mäntel an zehn Meter langen Seilen gebaumelt, das habe etwas Geheimnisvolles gehabt. Sie durfte schattenspielen – „und dann kam Els Jordaens mit der Flöte vorbei“, berichtet Adelheid Kreisz. Die Session habe alle begeistert.

Kreisz’ Art des Schattentheaters – „ein Auslaufmodell“

Die Idee entstand, gemeinsam ein Projekt zu starten. Mit der Solistin und Kammermusikerin Els Jordaens arbeitet Adelheid Kreisz schon lange zusammen, ebenso mit Frank Kroll. Der preisgekrönte Jazz- und Popularmusiker – im Jahr 2003 erhielt er den Jazzpreis des Landes – lässt im Mantelwald die Bassklarinette erklingen. Als die Korntal-Münchinger Kulturreferentin Melanie Thamm-Beck von dem Vorhaben erfuhr, war sie begeistert. Es sei ein ganz besonderes kulturelles Erlebnis, das so in anderen städtischen Veranstaltungsprogrammen mit vergleichbarer Größe nicht gezeigt werde.

Adelheid Kreisz sagt, die riesigen Mäntel würden zum ersten Mal in der Form bespielt. Newton und Rudnicki hätten einen anderen Blick auf die Dinge. „Sie arbeiten ganz modern und zeigen, was in Zukunft sein wird.“ Dagegen sei ihre Art des Schattentheaters altmodisch, am Aussterben, ein Auslaufmodell. Die viele Arbeit stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag, sagt Kreisz. Selbst ihre Lampe, die sie im Dunkeln stets anknipst, sei handgemacht. In den vergangenen zehn Jahren habe etwa das Menschentheater an Bedeutung gewonnen.

Technik spielt doch noch eine Rolle

Gleichwohl, die Korntalerin übt auch Selbstkritik. „Ich bin nicht sehr geschäftstüchtig“, gibt sie zu. Sie habe es nie gemocht, sich anzubieten „wie sauer Bier“. Dennoch war und ist Adelheid Kreisz gefragt mit ihrer Kunstform, die nur noch sehr selten zu sehen ist. Eine Zeit lang zeigte sie alle ein bis zwei Jahre eine neue Produktion, immer erst in Korntal. Seit dem Jahr 1979 arbeitet sie an diversen Projekten des Staatstheaters Stuttgart mit. Von den Gagen finanziert sie sich ihre Leidenschaft. Besonders der Lohn für Figuren und Spiel für ein Szenenbild in Achim Freyers Inszenierung des „Freischütz“ habe ihre Bühne am Leben gehalten. Geld aus dem Bundesförderprogramm „Neustart Kultur“ ermöglicht jetzt den Mantelwald.

Trotz ihres Alters kann sich Adelheid Kreisz nicht vorstellen, das Schattentheater komplett aufzugeben. So wagt sie sich mit bald 80 dann doch noch an die Technik: Sie plant, von ihren Schattenspielen kleine Videoclips zu drehen, sollte es einmal mit der Bühne zu viel werden – „als Trost und sanfter Übergang in den Ruhestand“.

Karten für den Mantelwald am 10. Dezember gibt es unter den Nummern 07 11/83 67 25 10 und 0 71 50/92 07 15 40 sowie auf reservix.de.